Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Wir Männer täuschen alle den Orgasmus vor (und andere Nachrichten aus der Zeitung)

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Letzten Samstag, nach dem Gang zum Kiosk, legte ich mir El Mundo auf den Frühstückstisch und freute mich auf eine anregende Lektüre. Ich weiß, dass diese Zeitung Feinde hat. Aber mir geht es damit meistens so wie mit Haribo-Goldbären oder Toffifee: Ich freue mich darauf, Süßes zu naschen, obwohl ich weiß, dass es schädlich für mich ist.

Letzten Samstag, nach dem Gang zum Kiosk, legte ich mir El Mundo auf den Frühstückstisch und freute mich auf eine anregende Lektüre. Ich weiß, dass diese Zeitung Feinde hat. Aber mir geht es damit meistens so wie mit Haribo-Goldbären oder Toffifee: Ich freue mich darauf, Süßes zu naschen, obwohl ich weiß, dass es schädlich für mich ist. Wenn ich zum Beispiel ein paar Tage lang nicht El Mundo gelesen habe, sehe ich fröhlich dem Moment entgegen, wenn ich wieder El Mundo aufschlagen kann und darin alles genauso vorfinde, wie ich es zurückgelassen habe. Jeden dritten Tag zum Beispiel kann man lesen, dass in Katalonien wieder ein Ladeninhaber eine Geldbuße zahlen musste, weil er vergessen hat, seine Ware auf katalanisch auszuzeichnen. Und im Baskenland gibt es dauernd Ehrungen für die Opfer des Terrorismus. Und auf der letzten Seite stehen die heißesten Artikel Spaniens.

Ich mache keine Witze. Erinnern Sie sich daran, was am Samstag auf der letzten Seite von El Mundo stand? Überschrift: „Wir Männer täuschen alle den Orgasmus vor.“ Im Ernst. Natürlich musste ich darüber lachen. Es war ein Interview mit dem Komiker José Mota. Ich überflog es aber nur, um mich sofort dem Innenteil zuzuwenden, gewissermaßen dem innersten Innenteil, dem Herzen aller Dinge. Dieser Teil nennt sich „La otra crónica“ und bringt manchmal auch interessante Sachen. Manchmal, sage ich. Diesmal schwirrte mir noch dieser Satz im Kopf herum: „Wir Männer täuschen alle den Orgasmus vor…“ Und ich sah überall nur noch Klatsch, Oberflächlichkeit, Lügen und die typischen grobkörnigen Fotos des Diffamierungsgeschäfts.

Bild zu: Wir Männer täuschen alle den Orgasmus vor (und andere Nachrichten aus der Zeitung)

Um es genauer zu sagen: Seiten 1 bis 3 handelten von einem verführerischen polnischen Prinzen, der ein Hochstapler sein soll. Man sah die angeblich betrogene und misshandelte Frau im seidenen Abendkleid und in der rechten Spalte die Fotos dreier weiterer mutmaßlicher Opfer des polnischen Prinzen. Seite 4 brachte neuen Klatsch über die Scheidung der Infantin Elena von Jaime de Marichalar. Auf Seite 5 reckte sich der Tennisspieler Fernando Verdasco in Calvin-Klein-Unterwäsche. Überraschenderweise musste ich bis Seite 11 blättern, bis ich das Echo auf die Story der Woche fand: Dort standen die beiden Frauen des englischen Fußballers John Terry, seine Geliebte und seine Gattin, im Bikini. Auch er selbst war zu sehen, mit nacktem, schweißglänzendem Oberkörper.

Tja. Und plötzlich wurde mir das alles zu viel, die schlechten Fotos, die schlechten Artikel, die hässlichen Menschen und all die klebrigen Details, die über sie ausgebreitet wurden. Vielleicht bin ich ungerecht. Aber der Medienreflex auf die Privatangelegenheiten so vieler verschiedener Leute schien mich als Zeitungskäufer zum Komplizen dieser unerwünschten Vertraulichkeiten zu machen. Dabei kann ich noch nicht einmal sagen, dass ich mich mit solchen Geschichten überfüttern würde. Ich lese selten die Klatschpresse und gucke kein Klatschfernsehen. Ich sollte wohl einsehen, dass viele Seiten von El Mundo längst Klatschjournalismus geworden sind.

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Wie ich es in solchen Fällen gern tue, wandte ich mich dem Sportteil zu. Auch dort war von John Terry und seinen Frauen die Rede, aber immerhin hatten die abgebildeten Menschen im Sportteil etwas an. Unter dem Foto, auf dem sich Fabio Capello und Terry die Hand schüttelten, fiel mein Blick auf einen kleinen Artikel mit der Dachzeile „Der andere Skandal“. Dort war zu lesen, der ehemalige Chelsea-Trainer Avram Grant sei von der Presse beim Bordellbesuch ertappt worden, doch seine Frau habe ihn öffentlich verteidigt. Wie sie als Paar lebten, so die Frau, gehe niemanden etwas an. Ihrem Mann gefielen eben Massagen, sie könne das gut verstehen. Wer so eine miese Mannschaft wie Portsmouth trainiere, brauche täglich zwei Massagen.

Das gefiel mir. Die Frau ist nicht auf den Mund gefallen. Alle, die diesen schrecklichen Klatschreportern eine hübsche Frechheit um die Ohren hauen, haben meine Unterstützung.

Später las ich dann noch „El correo catalán“ von Arcadi Espada, seine Briefkolumne an Pedro J. Und worüber sprach der gute Arcadi Espada? Über die angeblich gefilmten sexuellen Aktivitäten von Gabriel García Márquez in Havanna. Das Gerücht gab es ja schon länger. Diesmal jedoch, in seinem nächsten Buch, wolle der Exilkubaner Norberto Fuentes (der es wesentlich GGM verdankt, dass er 1994 aus Kuba herauskam) wohl einige Details nennen. Espada seinerseits will in seiner nächsten Kolumne verraten, wie Gabo hinter die Schnüffelei des kubanischen Geheimdienstes kam und was er dann tat. Die Seite ist übrigens mit einer TDK-Audiocassette illustriert, deren Beschriftung lautet: „Memoria de tus putas tristes“. Das ist immerhin lustig. Und so lachte ich zum zweitenmal an jenem peinigenden sonnigen Samstagmorgen.

Dann nahm ich einen Schluck Tee, faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Zeitungsstapel. Wieder fiel mein Blick auf die Überschrift „Wir Männer täuschen alle den Orgasmus vor“. Diesmal lachte ich nicht. Denn oben links auf der Seite, über dem Logo von El Mundo, steht allen Ernstes die Eigenwerbung der Zeitung: „Líder mundial de la información en español“. Wie es dazu kam, das muss ich ein andermal erzählen.


124 Lesermeinungen

  1. mugabarru sagt:

    Um es ganz klipp und klar zu...
    Um es ganz klipp und klar zu sagen: meine Orgasmen sind echt und ohne Socken, oder echt weil ohne Socken. Keine Ahnung, aber echt auf jeden Fall!

  2. Madrid sagt:

    Das freut mich, mugabarru....
    Das freut mich, mugabarru.

  3. schuschumann sagt:

    Guten Morgen,
    nicht zu diesem...

    Guten Morgen,
    nicht zu diesem Thema aber dennoch:
    Am 09/02/2010 war in TVE1 der interessante Film „Camino“ zu sehen.
    Mich würde Ihre Einschätzung zu diesem Film interessieren. Haben Sie dazu oder zum „Phänomen Opus Dei“ irgendwann mal etwas geschrieben?
    Beste Grüsse

  4. Madrid sagt:

    Danke, schuschumann. "Camino"...
    Danke, schuschumann. „Camino“ habe ich vor anderthalb Jahren beim Festival von San Sebastián gesehen. Schauspielerisch war das sehr gut, aber das sagt man wohl oft: Wenn man am Drehbuch oder der Story oder der Inszenierung etwas auszusetzen hat, lobt man immerhin die Schauspieler. In diesem Fall muss ich sagen, dass schon das Thema an mir vorbeiging. Ich habe den Film nur gesehen, weil er im Wettbewerb präsentiert wurde. Darüber hinaus fand ich ihn zu lang. Und wenn drittens mein hartgesottener Kollege Manuel Meyer im Kino weint, kann etwas nicht stimmen. Haben Sie Nachsicht mit einem ehemaligen Klosterschüler, der viel gesehen hat.
    Zu Opus Dei gibt es eine einfache Journalistenregel, die übrigens auch für Scientology gilt: Die drin sind, reden nicht. Die draußen sind, haben keine Ahnung. Zeigen Sie mir einen gutinformerten Opus-Dei-Aussteiger, und ich bitte ihn um ein Interview.

  5. Melibea sagt:

    Herr Ingendaay, vor ein paar...
    Herr Ingendaay, vor ein paar Tagen hatte ich mir wieder einmal „When Harry met Sally…“ angesehen; und dann lese ich hier Ihren neuen Blogeintrag… das ist lustig!
    Nochmal zu Frau Hegemann: im Nachbarblock bei Frau Diener wird gerade darüber berichtet, dazu kommentiert und v.a. weiter verlinkt. Dort trifft man auch wieder auf Rosinante…

  6. Madrid sagt:

    Ja, Melibea, das ist...
    Ja, Melibea, das ist interessant bei Frau Diener. Ich setze noch einmal den Link zum heutigen FAZ-Artikel dazu:
    https://www.faz.net/s/Rub642140C3F55544DE8A27F0BD6A3C808C/Doc~E03654DCBDA6D44F299AF3CCE34313DCD~ATpl~Ecommon~Sspezial.html

  7. mugabarru sagt:

    Schuschumann mich hat der Film...
    Schuschumann mich hat der Film „Camino“ sehr beeindruckt. Und ich kann nur auch bestätigen, dass die Opus-Dei Anhänger wirklich auf sachlichere Mitmenschen manchmal wie Sektenmitglieder wirken. In Navarra, wo meine Mutter wohnt, hat „la obra“ sehr viele Anhänger. Und ich muss dabei an eine Trauerfeier denken der ich beiwohnte, und wie die „Opusinos“ mit strahlendem Lächeln der Mutter zum Tode des Sohnes fast gratulierten weil er ja nun das Antlitz Gottes sehen könne. Diese rücksichtslose Geschmacklosigkeit war nicht auf die Taktlosigkeit des konkreten Menschen zurück zu führen, sondern auf seine Ideologie. Gerade diese knallharte Ideologie ist es, die Opus Dei-Mitglieder manchmal fast als Monster erscheinen lässt. Ich könnte noch viele Details in der gleichen Richtung erzählen, aber wir unser Gastgeber sagt: ich bin draussen. Es sind nur meine persönlichen Eindrücke und Empfindungen. Aber mir machen sie Angst.

  8. Madrid sagt:

    mugabarru, fühlen Sie sich in...
    mugabarru, fühlen Sie sich in keiner Weise eingeschränkt oder am Erzählen gehindert. Solange ich nicht erzählen muss.

  9. schuschumann sagt:

    Hallo Mugaburra
    im...

    Hallo Mugaburra
    im Zusammenhang mit der Ideologie ist meiner Ansicht nach insbesonders interessant dass bei der „möglicherweise Opus-nahen“ IESE Businessschule Personen „ausgebildet“ werden die dann in wichtigen Positionen weitreichende Entscheidungen treffen.
    Nebenaspekt:
    IESE bietet oder bot Schülern der Schule die Erstellung psychologischer Entwicklungsprofile als Serviceleistung an…
    ——–
    Sorry fuer die Ablenkung vom Thema

  10. pardel sagt:

    Das man zum Tode eines...
    Das man zum Tode eines Verwandten gratuliert wird, von wegen Gottes Antlitz sehen können, das habe ich persönlich im Allgäu auch erlebt. Dem betreffenden Pfaffen wünsche ich noch heute, sofern er noch lebt und nicht selber des höchsten Glückes teilhaftig geworden ist, er möge beim läuten der großen Kirchenglocke von derselben erschlagen werden.
    Als mein Vater noch am Wirtschaftsleben teilnahm und daher gelegentlich an Konferenzen, Seminaren u. dgl. teilnehmen musste, verriet er mir, dass man in Spanien Mitglieder des „Werkes“ an ihrer Pünktlichkeit erkennt. Das heißt natürlich nicht, alle Schweizer seien vom Opus.

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