Ich kann es mir sogar vorstellen. Seine Verachtung für diesen Pöbel, seine Wut über die spanischen Jungwähler, die für seine Partei und die Nuevas Generaciones verloren sind, die immer noch Pullover, schmuddelige Bärte und versiffte Turnschuhe tragen und nicht aufhören, ihn, den ehemals machtvollen Regierungschef Spaniens, einen „Faschisten“ und Kriegstreiber zu nennen, nur weil er zusammen mit George W. Bush die Füße auf den Tisch gelegt und sich mit allem, was er hatte, dem Wahnsinnsunternehmen des Irak-Kriegs verschrieben hat. Damals, beim „Azoren-Foto“. Ja. Ich kann es mir vorstellen und fühle mit ihm. Auch José María Aznar ist nur ein Mensch, also fehlbar. Ihm kann der Kragen platzen wie uns allen.
Nur sollte er ihm nicht so leicht platzen. Aznar hat als Politiker in seinen acht Amtsjahren als Ministerpräsident so ziemlich alles gesehen und müsste in der Lage sein, den chulo in sich selbst zu zügeln. Er hat ein Attentat von ETA überlebt, hat Beleidigungen und Schmähungen über sich ergehen lassen, wie es nun einmal das Los der öffentlichen Figuren ist, und schwerlich wird man für ihn den Bonus geltend machen können, den Javier Marías in einem hübschen kleinen Fußball-Essay für den Fußballer Eric Cantona reklamierte, der 1995 gegen einen ihn wüst beleidigenden Fan zurückschlug und dem Stadionbrüller einen Kung-Fu-Tritt verpasste. Cantona, so Marías, habe den sich feige in der Masse versteckenden Mann isoliert und ihm gezeigt, dass man sich nicht alles bieten lassen müsse. Wie alle noch wissen, die sich ein wenig für diesen Sport interessieren, wurde über Cantona eine halbjährige Spielsperre verhängt.
José María Aznar dagegen kann von keinem Fußballverband gesperrt und von keinem Trainer auf die Ersatzbank verbannt werden. Doch gäbe es Grund dazu. Am Donnerstagabend ging der chulo mit ihm durch. Nach einer Veranstaltung an der Universität von Oviedo rief ihm eine Gruppe Studenten „Faschist!“, „Mörder!“, „Terrorist!“ und ähnlich nette Dinge zu, die bei der Passage der Mächtigen und Berühmten durch die Flure des irdischen Lebens schon einmal fällig werden. Und was tut Aznar? Er zeigt dem Grüppchen den Stinkefinger und lächelt dazu. Nun macht sein Lächeln die Sache nicht besser, im Gegenteil, denn anders als ein wütender Ex-Präsident, den man ja noch halbwegs verstehen könnte, trat hier ein höhnischer, seine Mittel sehr bewusst einsetzender Aznar auf. Sein Lächeln ist vielleicht sogar das Schlimmste an der Geste, so inakzeptabel schon jener Fingerzeig ist, für den Stefan Effenberg aus der deutschen Nationalmannschaft flog.
In den letzten Tagen musste ich viel über die Berühmten nachdenken. Im besonderen über ihre Haltung, ihre Formen und Manieren. Gestern hatten die Korrespondenten einiger ausländischer Medien in Madrid das Vergnügen, sich ausführlich mit dem Anwalt des Ermittlungsrichters Baltasar Garzón zu unterhalten, Gonzalo Martínez-Fresneda. Garzón gehört sicherlich zu den Juristen, die guten juristischen Beistand brauchen, schweben über seinem Haupt doch zwei Gerichtsverfahren und die Möglichkeit, dass der spanische Richterverband ihn mit einem zehn- bis zwanzigjährigen Berufsverbot belegt. Lassen wir den Franquismus und das Rechts-links-Thema mal einen Augenblick beiseite. Konzentrieren wir uns auf den „Mann“ und seine Formen. Sein Anwalt formulierte sehr hübsch, Garzón hätte als Ermittlungsrichter niemals geleistet, was er geleistet hat, wäre er ein anderer, als er ist. Er ließ ungesagt, was er damit genau meinte, aber da er zuvor auf das allseits bekannte Temperament, die Geltungssucht, das Ego seines Mandanten angespielt hatte, ohne jemals von Ego oder Geltungssucht zu sprechen („actitudes que todos conocemos“, sagte er ungefähr, und wir alle verstanden ihn), war der Zusammenhang klar. Aber stimmt er auch? Ergibt dieser Zusammenhang wirklich einen Sinn? Hätte nur ein so eitler, geltungssüchtiger Mann wie Garzón einen Haftbefehl gegen Pinochet ausstellen und die Verbrechen des Franquismus wiederaufrollen können? Muss man ein solches Super-Ego sein, um als Ermittlungsrichter Außergewöhnliches zu leisten?
Ich habe da meine Zweifel. Mehr, ich lehne diese These ab. Denn sie gestattet all denen, die nicht ins Rampenlicht drängen, sich in ihrer Untätigkeit einzurichten und sich obendrein wie die besseren Menschen zu fühlen. („Ich bin nicht so eitel wie Garzón, ich verhandele nur ganz normale Fälle, die über das Wohl und Wehe gewöhnlicher Menschen entscheiden.“) Und sie gestattet den Berühmten und Populären, ihren Launen nachzugeben, die Geduld zu verlieren, dumme Fehler zu machen und sich auch noch wie die verfolgte Unschuld aufzuführen. Die Begründung für Letzteres liegt in Spanien nahe: der Neid. Die Masse will den Star immer nach unten ziehen, so heißt es. Die Masse erträgt die außergewöhnliche Leistung nicht. Mag sein. Wer Außergewöhnliches leistet, sollte aber auch charakterlich auf der Höhe der Anforderungen sein. Und so zeigen beide aufeinander, die Masse auf den Berühmten, der sich so anders fühlt als sie. Und der Berühmte auf die Masse, die ihn aus der sicheren Deckung der Anonymität heraus verhöhnt. Diesmal hat der Berühmte den Stinkefinger zu Hilfe genommen. Und ich gestehe, ich komme immer noch nicht darüber hinweg.
[Foto: Reuters]
was dem einen der...
was dem einen der stinkefinger, ist dem anderen das v-zeichen. und so mancher angry old man hat ja auch schon ganz handfest einen poebler aus der masse gezogen. sind das verzweiflungshaltungen und -handlungen, weil „lebenswerke“ noch vor ableben ihrer schoepfer auseinanderzufallen drohen? oder handelt es sich um eine sehr selbstgerechte auslegung unverdauter und falsch verstandener lektuere von ortega y gasset? denn unaristokratischer als das zeigen des stinkefingers ist wohl nur noch das anpinkeln oeffentlicher gebaeude.
Das ist mein erster Beitrag in...
Das ist mein erster Beitrag in diesem, Ihrem Blog (ich bitte schon jetzt um Verzeihung für dessen Länge), den ich aufmerksam mitverfolge (aus naheliegenden Gründen, lebe ich doch in Katalonien, wobei – erschwerend bin ich fast geneigt zu sagen – hinzukommt, dass ich in Deutschland als Sohn galicischer Einwanderer geboren wurde, was auch die Nähe, wenn nicht notwendigerweise zur FAZ, so doch zur deutschen Sprache erklärt), und wenngleich ich Ihre Eindrücke nicht immer teile (würde auch fast verdächtig sein, wenn dem so wäre) sind diese doch beinahe ausnahmslos meist sehr lesenswert.
Vorliegend jedenfalls kann ich Ihnen fast vollumfänglich beipflichten. Etwas plakativ gesagt ist die Ironie (um der Sache einen Namen zu geben) im „Fall Garzón“, dass hier einem spanischen Richter für seinen übergrossen Eifer, Verfahren an sich zu ziehen oder Untersuchungen einzuleiten, der Prozess gemacht wird, was, sofern man ein wenig Einblick in den spanischen Justizalltag besitzt, einer gewissen Ironie eben nicht entbehrt. Sicher kann man der spanischen Justiz nicht den Vorwurf machen, „auf dem rechten Auge blind zu sein“, aber es hat einen eigenartigen Beigeschmack, dass die vom Tribunal Supremo zugelassenen Strafanzeigen von einer selbsternannten „Gewerkschaft“ namens „Manos Limpias“, der Gruppe „Libertad e Identitad“ und der „Falange Española de las Jons“ herrührt: allesamt reichlich obskure, rechtsradikale Gruppierungen (man möge sich nur die Kommentare zu den Attentaten am 11.März auf dem Webauftritt von „Manos limpias“ ansehen). Mag sein, dass es sich beim Fall Garzón und dem Stinkefinger Aznars um zwei Erscheinungsformen ein und derselben Sache handelt: der Neid der Ordinären, der Gewöhnlichen auf die Herausragenden. Aber ich bezweifle, dass dies die Existenz der so allgegenwärtigen, spanischen „crispación“ erklärt. Und die genannten Fällen weisen genügend Merkmale auf, um sie als Fälle dieser „crispación“ zu typisieren. Und leider glaube ich nicht, dass Ihr „Psychologismus“ allein hinreichenden Erklärungswert für diese soziologische Erscheinung besitzt. Da steckt (wie gesagt: leider, da ein gesunder Reduktionismus nicht schaden könnte) mehr dahinter.
<p>"Haltung, Formen und...
„Haltung, Formen und Manieren“: Ich halte genauso wie Sie einen Einfluß von Geltungssucht und Ego auf das Amtshandeln oder wie auch immer man es nennen will für nicht wünschenswert. Geltungssucht scheint der Willkür die Tür zu öffnen, und das will man im Bereich der öffentlichen Angelegenheiten nicht. Willkür zumal scheint der Idee des Rechts zu widersprechen. — Der Anwalt in Ihrem Blog-Beitrag scheint nun aber von seinem Mandanten fast wie von einem Künstler zu sprechen. Welche Maßstäbe gelten eigentlich für den Künstler?
feine geste von aznar. schoen...
feine geste von aznar. schoen zu sehen, dass das vorbildliche benehmen unseres deutschen ‚vizekanzlers‘ auch international schule macht. so erhofft man sich das von einem aussenminister.
abfeldmann, interessant, dass...
abfeldmann, interessant, dass Sie Westerwelle ansprechen. Der Vergleich ging mir naemlich heute auch durch den Kopf. Sind beide „Ausraster“ kalkuliert provokatorisch eingesetzt, oder muss man an der Urteilsfaehigkeit der beiden Maenner zweifeln. Bei der Art und Weise, wie Westerwelle dass Thema jetzt treibt, vermute ich bei ihm zumindest (auch) ersteres.
Danke uebrigens auch fuer die Kunsthinweise im vorigen Thema. Welche Fotogalerien haben Sie dabei angesprochen? Das interessiert mich sehr.
delachevalerie, lassen sie es...
delachevalerie, lassen sie es mich so versuchen: selbstverstaendlich duerfen sie den kuenstler kritisieren. – sein ’streng subjektives‘ schaffen fordert die auseinandersetzung – die distanzierung oder identifikation.
bei oeffentlichen aemtern, auch in managementpositionen, erwartet man hingegen etwas mehr ‚objektivitaet‘ des agierenden – ein staerkeres unterwerfen und antizipieren allgemeiner konsenzformen oder legitimationsriten, auf das der kuenstler pfeifen kann, ja pfeifen soll. … was umgekehrt natuerlich schon wieder soweit fuehrt, dass man sich nicht selten in politik und wirtschaft den mittlerweile sprichwoertlichen ‚maverick‘ wuenscht… – wir erinnern uns.
trozdem. jeder maverick findet dort seine grenze und taumelt bei missachtung seiner nur gerechten bestrafung entgegen, wo er den bereich gegenseitiger achtung – sprich: im anderen immer sich selber, unter moeglicherweise anderen umstaenden, zu sehen – verlaesst.
Hallo Sanchos Esel,
wieso...
Hallo Sanchos Esel,
wieso sollten „Berühmte“ sich stärker im Griff haben?
Meinen Sie etwa so, wie „Angela Merkel“ sich im Griff hat auf die Frage nach Herrn Schäubles Eignung zum Finanzminister?
(Quelle: https://faz-community.faz.net/blogs/stuetzen/archive/2009/10/24/der-unmoegliche-bank-run-auf-buergerkonzern-deutschland.aspx
darin Textstelle zum
Link auf Youtube:
„. Und sogar der neue Finanzminister hat einschlägige Erfahrung mit der Finanzierung durch Gelder,“)
Ich finde es „erfrischend und aufschlussreich“, dass die Panzerung bei Aznar eben doch „verrutscht“ ist und sein „Innerstes“ in diesem Theater zu Tage tritt. Das Theater übrigens, dass wir jeden Tag durch unsere Anwesenheit beehren und dadurch Leute wie Aznar zu „Berühmtheiten“ werden lassen.
Das Foto ist ästhetisch...
Das Foto ist ästhetisch wirklich erschreckend. Einerseits Aznar, der uns auch im Sommer mit Fotos von seinem durchstrainierten Körper behelligt (wahrscheindlich Angst vor dem Alter), und nun eine schlecht sitzende Hose mit nationalem Gürtel zeigt, links von ihm ein – ich nehme an Mitglied von „Nuevas Generaciones“ – mit dem schrecklichen chirugie-grünem Hemd, und an der rechten Seite – mit bepixeltem Gesicht – der arme Body Guard, der scheinbar beschwichtigend die selbstbewusste Geste Aznars zu vermeiden versucht. Nun, von Aznar kann ich mich sehr gut an seine täglichen, griesgrämigen Abkanzelungen an alle die nicht so dachten wie er, erinnern. Die Beleidigungen waren fast täglich. Er, der mit den „Master del Universo“ verkehrt hat, der sich in den amerikanischen Wahlkampf einmischte weil x Millionen wahlberechtiger Amerikaner hispanischen Ursprungs sind, verträgt seinen Macht- und Prestigeverlust einfach nicht. Eigentlich sollte er sich lieber dem Englisch lernen widmen. Manieren von ihm zu erwarten bedeutet „pedir peras al olmo“, und damit wären wir bei seiner Gattin, Ana Botella, und ihrem Obstladen. Doch das ist wirklich zu viel..
Was Garzón anbelangt, räume ich gerne ein, dass er als Ermittlungsrichter stümperhaft arbeitet, auch seine Geltungssucht usw. usw. Doch muss ihm, als Lebenswerk, angerechnet werden, dass er den Haftbefehl gegen Pinochet ausgestellt hat. Auch viele Richter anderer Länder, deren Staatsangehörige in Chile ermordert wurden, hätten es tun können. Doch nur er hat es getan. Und diese „Kreativität“ oder wie das auch immer eingeschätzt werden mag, ist mir lobenswert. Ansonsten kann ich den Kommentaren von hempel54321 nur zustimmen. Auch ich gehöre zu denen die glauben, dass es seine Gerichtsverfahren eine späte Rache der Sozialisten für seine späte, aber immerhin wichtige Rolle gegen den „Schmutzigen Krieg“ gegen ETA, also den GAL-Terrorismus der 80-iger Jahre, der zur Verurteilung des ehemaligen Innenminister Barrionuevo, des Staatssekretär Vera, eines Gerals der Guardia Civil und meherer höherer Beamten der Polizei führte. In Spanien ist die Rache ja bekanntlich „un plato que se sirve frio“. Er hat im Jahre 95 die verschiedenen Prozesse die die 102 Kläger der Volksklage gegen die GAL aktiv gehalten hatten, aufgenommen. Aus Rachsucht? Keine Ahnung, aber es war wichtig für die spanische Demokratie.
hempel54321, "Manos Limpias"...
hempel54321, „Manos Limpias“ und die Falange sind sicherlich nicht Vereinigungen, denen man Erfolg bei ihren Klagen wünscht. Der Hintergrund meiner Überlegungen zu Garzón war eben, warum diese im Kern völlig richtige und gute Sache – den Opfern des Franquismus Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – an der Übereiltheit oder der Ruhmsucht oder dem großen Ego von Herrn Garzón scheitern muss. Das ist das eigentlich Tragische.
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schuschumann, Vorsicht bei den „Berühmten“. Ich meine damit nicht Leute wie Dieter Bohlen, deren Ruhm gerade darin besteht, kalkuliert gegen jeden Takt zu verstoßen und das unmögliche Benehmen in ein Kultobjekt der Proleten zu verwandeln; das wäre ein eigenes Thema. Ich meine führende Politiker, die als Repräsentanten eines Systems, auf das sich Demokraten etwas zugutehalten, ein gewisses Verhalten an den Tag legen sollten. Klingt altmodisch, ich weiß. Aber so ist es nun einmal.
delachevalerie, an die...
delachevalerie, an die Repräsentanten (und ehemaligen Repräsentanten) der Demokratie darf man gewisse Maßstäbe anlegen, meine ich, weil sie ja von uns gewählt und von unserem Geld bezahlt werden. Jedes Land – womit ich die Wähler dieses Landes meine – hat ein anderes Empfinden, was es zu tolerieren geneigt ist. In den USA etwa sind außereheliche Affären für die Karriere tödlich; in anderen Ländern nicht unbedingt. Bei Künstlern wiederum sehe ich keine anderen Kriterien als bei anderen Bürgern. Gutes Benehmen ist immer schön. Allerdings neige ich dazu, kreativen Berufen mehr Spielraum zuzugestehen.