Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Postkarte aus Buenos Aires

| 44 Lesermeinungen

Es wird in den nächsten Monaten noch so viel über die argentinische Literatur zu lesen sein, dass ich heute nur ein paar Eindrücke aus Buenos Aires schildere und Ihnen eine Handvoll Fotos dazulege. Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals in meinem Leben zu einem Konzert von Dionne Warwick gehen würde, aber in Buenos Aires dachte ich plötzlich: Warum nicht?

Es wird in den nächsten Monaten noch so viel über die argentinische Literatur zu lesen sein, dass ich heute nur ein paar Eindrücke aus Buenos Aires schildere und Ihnen eine Handvoll Fotos dazulege. Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals in meinem Leben zu einem Konzert von Dionne Warwick gehen würde, aber in Buenos Aires dachte ich plötzlich: Warum nicht? Und da war die Lady, im Teatro Gran Rex, vor halbvollem Saal, und wird sich gefragt haben, ob das wirklich alles ist. Im Dezember wird sie siebzig, da möchte man nur noch Schönes erleben. Sie hatte ihren Sohn dabei, David Elliott, ein wunderbarer Soulsänger, aber soweit ich mich erinnere, hat uns an jenem Abend niemand gesagt, dass dort Mutter und Sohn auf der Bühne stehen. Ich habe es nachher gelesen.

Und es war ein wirklich schönes Konzert. Gut zusammengestellt, mit erstklassigen Arrangements und einer inspirierten Band. Außerdem mit genau der richtigen Dosis an Publikumsmanipulation, die sich besonders die Damen reiferen Alters gern gefallen ließen. Ich sah sie mitklatschen, ich hörte sie lachen und gurren, und direkt vor mir sank eine blonde Argentinierin, die zuvor mitgeschnippt und auf ihrem Platz herumgehibbelt hatte, immer wieder gegen die breite Schulter ihres Partners. Das war schön.

Rechts neben mir saß ein großer, mächtiger Herr mittleren Alters. Wir plauderten vor dem Konzert ein wenig über die Karriere von Dionne Warwick, die er viel genauer kannte als ich. Dann wollte er wissen, was ich so täte, und als ich es ihm gesagt hatte, fragte er nach meinem Namen. Ich musste ihm den Namen buchstabieren. Er schien ihn sich fest einzuprägen, ich sah es hinter seinen Schläfen arbeiten. Als wir uns nach dem Konzert verabschiedeten, sagte er: „Ich werde nach Ihrem Namen Ausschau halten.“

Das fand ich nett. Er wird nach meinem Namen Ausschau halten. Wahrscheinlich spricht der Mann gar kein Deutsch. Wahrscheinlich könnte er Kommentare auf Sanchos Esel nur auf Spanisch verfassen, aber egal. Der Mann wird dort in Buenos Aires Ausschau halten.

Bild zu: Postkarte aus Buenos Aires

Direkt neben dem Hotel, in welchem ich untergebracht war, liegt die Librería de Ávila, vormals genannt Librería del Colegio. Der Namen bezieht sich auf das Colegio Nacional, die berühmteste Schule des Landes, die gleich gegenüber liegt und aus der die wichtigsten Männer der argentinischen Geschichte hervorgegangen sind, nur Maradona nicht. Über diese Kaderschmiede hat der Schriftsteller Martín Kohan den bemerkenswerten Roman Ciencias naturales (erschienen bei Anagrama) geschrieben. Ich unterhielt mich mit dem Autor im Kellergeschoss der Buchhandlung, wir saßen auf fetten Sesseln, gelegentlich rief jemand eine Bestellung durch den Raum, weiter hinten standen Bücher zu Philosophie und Sozialwissenschaften. Mir ist aufgefallen, dass alle argentinischen Autoren, mit denen ich mich unterhalten habe, sehr genau und mit einem gewissen theoretischen Anspruch über ihr Handwerk sprachen. Es schien ihnen sogar Spaß zu machen. Das wiederum hat mir Spaß gemacht, denn natürlich gibt es über das Erzählen sehr viel zu erzählen. Welchen Erzählerstandpunkt man wählt. Wie man den Ton findet. Was man sagt und was man nicht sagt. Das alles sind beim Schreiben fundamentale Fragen, die man früh beantworten muss, um weiterzukommen.

Bild zu: Postkarte aus Buenos Aires

Wirklich umhergeschlendert, wie man das ja gern tut, bin ich erst am letzten Tag. Bis dahin bin ich eigentlich von einem Termin zum anderen geeilt, obwohl mir auch das gefallen hat, es waren schöne Herbsttage, und da zwei Termine platzten, stand ich plötzlich mit einer freien Stunde da. Auf der Buchmesse habe ich mit fünf, sechs sehr interessanten Verlegern gesprochen, Leuten, die erst nach dem Inhalt fragen und dann danach, was sie damit verdienen können. Die Argentinier übersetzen viel, sie wollen einfach wissen, was in anderen Teilen der Welt los ist, schlimm genug, dass die wichtigsten Orte so weit entfernt sind. Und sie haben ja recht.

Beim Schlendern in der Calle Florida sah ich dann doch noch Tango, nämlich auf der Straße, dargeboten von einem nicht mehr ganz jungen Herrn mit viel Haargel und einer frierenden Dame. Die Temperaturen waren zwei Tage zuvor gefallen, der Herbst kündigte sich mit scharfen Windstößen an. Ich schaute ein wenig zu und ging weiter.

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Ich fotografierte noch die bettelnden Kinder. Die einen trommelten auf Blechdosen und sangen dazu ein paar schiefe Noten, ein kleines Mädchen sprach die vorbeilaufenden Menschen an der Ampel an und bekam kaum etwas.

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Im Park an der Plaza San Martín lagen Männer auf Matratzen und schliefen. Es sind keine einfachen Zeiten in Argentinien.

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Immerhin durfte ich gleich am ersten Tag miterleben, wie vor meinen Augen der Helikopter von Cristina Fernández de Kirchner abhob. Das ist ihre Art, das Büro zu verlassen. Ich kann sagen, ich bin dabeigewesen.

Noch etwas. Ich fahre jetzt für fünf Tage in die Wüste. Nach Algerien. Ich werde nach Internet suchen. Was sonst? Sollten Sie nicht so schnell von mir hören, heißt das nur, dass ich ohne Internet in die Sterne schaue.

                                                                                         [Fotos: Sanchos Esel]


44 Lesermeinungen

  1. mugabarru sagt:

    Danke für den Gruss aus...
    Danke für den Gruss aus Buenos Aires. Sterne schauen ist immer schön, in der Wüste ganz besonders. Doch seien sie bitte vorsichtig in Algerien.
    Ansonsten können sie beruhigt aufatmen. Es wird nicht mehr notwendig sein den Cibeles-Brunnen überraschend abzubauen zwecks Reparaturen …..
    Mein Beileid an alle culés im Blog. Ich hätte mich über einen Sieg gefreut.

  2. pardel sagt:

    Ooohhhh, Don Paul.... Wir...
    Ooohhhh, Don Paul…. Wir hätten es verdient, wir hätten…
    Konjunktiv ist doof, es bringt eh nichts. Im Fußball sowieso nicht.
    Und dennoch: Oh Herr! Oh Herr! Oh Jammer! Oh schlimm! Nächstes Jahr aber! Danach. Und übernächstes, endlich.
    Und dann, wie man liest, gibt es Wichtigeres. Nicht nur in Argentinien. Ach! Morgen wird es mir besser gehen.
    Verdammt!!
    Morgen, ja, sicher. Natürlich. Besser. Ja, ja… Aber nicht heute.
    PS: Schöne Fotos.
    Grrrr!

  3. Dulcinea sagt:

    pardel, Virtudes, danke, es...
    pardel, Virtudes, danke, es geht. Und Ihnen? So ist es eben. Ich mag Mourinho nicht. Soll er nach Madrid. Bitte.
    Dagegen freue ich mich über die Postkarte aus Buenos Aires. Die Tangodame hat trotz dieser schönen Strümpfe, trotz Tango und trotz des gegelten Partners gefroren? Ich verstehe. Dann dürften diese Überlegungen in der algerischen Wüste wiederum vollkommen abwegig sein. Daher von mir nur: alles Gute! Mögen Ihnen die Sterne wohlgesonnen sein.

  4. Dulcinea sagt:

    O! Ich freue mich für...
    O! Ich freue mich für Atlético! Das habe ich nicht gesagt. Ich mag den Quique so gern. Tja.

  5. Madrid sagt:

    Vergeben Sie mir. Ich habe mit...
    Vergeben Sie mir. Ich habe mit Muehe eine arabische Tastatur erkaempft, um Sie zu gruessen. Mehr wird das nicht werden, denn die Geraete sind rar. Ja, und es ist sehr heiss. Zwischen eins und sechs kann man eigentlich nur liegen und auf die Abendkuehle warten. Die aber ist wunderbar. Und die Sterne sind wunderbar. Und der Mond. Bald ist schon Montag, dann hoeren wir uns wieder oefter. Bis dann. Ich denke an Pep und Xavi und all die anderen.

  6. Madrid sagt:

    Dulcinea, vielleicht mögen...
    Dulcinea, vielleicht mögen Sie den Quique so gern, weil er auch so ein schlanker schöner Mensch mit gutem Geschmack für Anzüge ist? Noch besser wäre natürlich, sich vorzustellen, dass dieser gute Geschmack auch zu attraktivem Fußball führt. Aber was machen wr dann mit dem schlanken, gutangezogenen Mourinho?

  7. Dulcinea sagt:

    Bedeutet das "ö", verehrter...
    Bedeutet das „ö“, verehrter Don Paul, daß Ihnen wieder eine europäische Tastatur vorliegt? Ich freue mich, wenn Sie unversehrt zurück sind! Vielleicht schreiben Sie uns eine Pöstkarte?
    Was Quique angeht. Nein, ich glaube nicht, daß attraktive Anzüge zu attraktivem Fußball führen. Das wäre zu einfach, glaube ich. Außerdem mache ich mir nichts aus Äußerlichkeiten. Oder aus schönen Menschen. Nur aus netten.

  8. Madrid sagt:

    Ja, Dulcinea, das bedeutet es....
    Ja, Dulcinea, das bedeutet es. So ein „ö“ ist doch sehr schön. Übrigens auch das „ü“. Ähnlich wie das „ä“.
    *
    Demnächst zeige ich ein paar Aufnahmen von schönen Menschen, die wahrscheinlich auch nett sind. So mein Eindruck. Ich bin froh, dass meine Kamera bei all dem algerischen Wüstensand nicht kaputtgegangen ist. Gestern hat es beim Zoomen sehr unschön, übel und hässlich geknirscht. Ein paarmal hakte der Zoom sich sogar fest.

  9. mugabarru sagt:

    Ña schön, dass sie wieder...
    Ña schön, dass sie wieder zurück sind, Herr Ingendaay. Ich kann Dulcinea nur zustimmen: ich will auch ein Pöstkärtchen from the desert.
    Dulcinea, glauben sie Quique würde mir einen seiner eleganten Anzüge für nächsten Samstag leihen? Ich bin der Trauzeuge einer ehemaligen Kollegin und, da ich in den „rebajas“ aufgegeben habe, nachdem mir irgend ein gemeiner Typ meinen lang ersehnten Anzug von Toni Miró vor der Nase weg geschnappt hat, stehe ich plötzlich da und habe nichts zum Anziehen. Es ist schrecklich! Und „Noteinkäufe“ sind teuer und nicht immer das gewünschte. Alle Anzüge die mir gefallen, sind viel zu teuer. Nachdem ich aber die teuren anprobiert habe, gute Stoffe, elegante Schnitte, kann ich mich mit den weniger teuren nicht anfreunden. Ausserdem bin ich IHR Trauzeuge. Die Konkurrenz, also die Zeugen und Gäste seinerseits, kommen aus Paris. Der Ruf meines Stammes ist in Gefahr. Die baskische Regierung sieht keinerlei Subvention für diese Situationen vor. Und die Braut, ist eine Peruanerin, india, die mit 19 Jahren nach Deutschland flog, sich dort durchschlug, später in verschiedenen spanischen Städten gelebt hat, ausgenutzt und betrogen wurde weil sie illegal hier war, die aber nie weder ihren Mut noch ihren Humor verloren hat. Sie misstraute mir anfangs, doch nach und nach wuchs unsere „complicidad“. Sie ist eine sehr intelligente, kämpferische – fast baskische – Frau, mutig, gutmütig, humorvoll und voller Initiative. Nach ihrer Hochzeit zieht sie nach Paris zu ihrem Mann. Und sie wird französisch lernen, und was auch immer notwendig sein könnte. Und ich hoffe nur, dass sie nicht weiter an den Flughäfen von den anderen getrennt und befragt wird, wie letztes Jahr in München. Denn sie heiratet aus Liebe. Sie hat längst ihre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für den Schengener Raum erkämpft, braucht also nicht zu heiraten um an „Papiere“ zu kommen. Va por ti, J. Te quiero y estaré en tu boda con anginas y con pulmonía si hace falta. ¡¡Que seas muy feliz!! Ich wünsche dir nur, dass du in diesem Europa, dass dich so unfreundlich aufgenommen hat, so glücklich wirst wie du es verdienst. Es ist auch eine grosse Ehre für mich, als einziger Mann an deiner „despedida de soltera“ dabe zu sein, so wie dein Trauzeuge zu sein. Es ist meine erste Hochzeit als Trauzeuge, also dürfen wir beide weiterhin vor Aufregung ausflippen. Für deine Schwigermutter in spe habe ich mir was ausgedacht. Aber das ist meine Überraschung. Keine Sorge, es hält sich in Grenzen. Bis Freitag abend.

  10. Melibea sagt:

    Mugabarru,...
    Mugabarru, Trauzeuge/Trauzeugin zu sein ist toll. Mein allerallererstes Mal war auch erst vor kurzem, Ende März. Toll! Und da der andere Trauzeuge seinen Ausweis vergessen hatte, steht mein Autogramm als einzige und besonders besondere Zutat auf der Trauurkunde. Toll! Feiern Sie schön und berichten Sie uns danach von der Feier. Die wird mit Sicherheit auch toll. Und tragen Sie bis dahin Funktionsunterwäsche, damit Sie nicht krank werden!

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