Es ist immer schön, wenn sich ein ganzes Volk einmütig über etwas freut. So war es, als die Deutschen vor vier Jahren keinen besonders schönen, dafür aber einen „frischen“ Fußball spielten und viele Leute Fernseher in den Hof stellten und Fahnen an ihre Autos steckten. Und so scheint es auch jetzt zu sein, da ein neunzehnjähriges Mädchen den europäischen Schlagerwettbewerb gewonnen hat. Es tut gut, so etwas zu sehen. Wir haben ja nicht so viel, worüber wir uns freuen können. Gemeinsam, meine ich.
Die soziologischen Deutungen dessen, was da geschehen ist, lese ich mit dem größten Interesse. Dass etwa die Briten auch gern wieder den europäischen Schlagerwettbewerb gewinnen würden, weil sie das lange nicht mehr geschafft haben. Und wie sich jedes einzelne Land so damit fühlt, seine Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht zu sehen. Gern denke ich auch an Nicole und „Ein bisschen Frieden“ zurück, unseren letzten Sieg im europäischen Schlagerwettbewerb. Damals, 1982, fuhr ich nach Griechenland, und ein spanischer Freund, der Nicoles Lied auf einer Cassette hatte, auf der sonst nur englischsprachige Lieder waren, drehte Nicole auf, als wir uns Delphi näherten, und wenn ich mich richtig erinnere, sang er sogar mit. Oder wir sangen beide mit. Ich weiß es nicht mehr. Wir waren beide in einem Alter, in dem man sich für kaum etwas schämt.
Neulich in der Sahara, bei den Saharauis im Flüchtlingslager Dakhla, freuten sich die Menschen auch. Sie freuten sich, weil ein paarhundert Leute aus Spanien kamen, um vier Tage bei ihnen zu sein und an ihrem Leben teilzuhaben. Wovon ich hier noch gar nicht erzählt habe, ist, dass die Saharauis der Lager von diesem Jahr an eine eigene Filmschule haben werden. Sie befindet sich im Lager „27. Februar“ – der Name erinnert an die Gründung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara vor vierunddreißig Jahren – und wurde am letzten Tag unseres Aufenthalts eingeweiht. Ich sprach mit Mario Crespo, einem Venezolaner, der die Schule im ersten Jahr leiten wird. Die Idee ist, den Menschen den Umgang mit der Kamera beizubringen, damit sie von sich selbst berichten können.
Die Aufnahmeprüfung für das erste Jahr bestand in einem fünfminütigen Kurzfilm. Die besten Arbeiten wurden auf dem Sahara-Filmfestival gezeigt. Die Nachwuchsregisseurin, die bei der Eröffnung der Schule alle Blicke auf sich zog, war schön, jung und trug ein rotes Gewand. Während sie mit der Filmkamera durch das Treiben ging und unentwegt Bilder drehte, wurde sie ihrerseits unablässig fotografiert. Ich wiederum stand dabei und fotografierte sowohl die Filmende als auch die sie Fotografierenden. Natürlich kam mir die Situation reichlich absurd vor, aber an diesem Nachmittag, an diesem Ort hatte sie eine gewisse Poesie. Auf dem Bild unten sehen Sie meinen geschätzten Kollegen Manuel Meyer, der keinen sportlichen Einsatz scheut, um schöne Fotos zu machen.
Mario Crespo erzählte mir, wo und wie er früher Regie gelehrt hat. „Wir gehen zu den Ärmsten, den am Rand Lebenden, wir geben ihnen eine Kamera in die Hand und schauen, was passiert.“ Im Jahr 1997 zum Beispiel hatte er die Genehmigung erhalten, in einem venezolanischen Gefängnis mit Häftlingen zu arbeiten. Man konnte den Häftlingen die Geräte nicht dalassen, der Unterricht beschränkte sich darauf, sie ein oder zwei Stunden täglich mit der Kamera hantieren zu lassen, in den Fluren, beim Hofgang, in der engsten Umgebung, die sie jeden Tag sahen. „Diese Leute“, sagte Crespo, „galten als gefährliche Verbrecher. Gewalttaten unter den Häftlingen gehörten zum Alltag. Aber sobald sie anfingen, mit der Kamera über sich selbst nachzudenken, nahm ihre Gewaltneigung schlagartig ab. Sie steckten sich keine Messer mehr in den Leib, sondern begannen, eine Perspektive zu entwickeln und sich für ihre Geschichte zu interessieren.“
Das Projekt war ein großer Erfolg. Und eigentlich sind solche Unternehmen – mit den Benachteiligten und Ausgestoßenen zu arbeiten – das Einzige, was Mario Crespo interessiert. Er wird die Schule in der algerischen Wüste mit seinem spanischen Kollegen ein Jahr lang leiten, wird fünfzehn Schüler und Schülerinnen (darunter auch die Schöne in ihrem roten Gewand) zehn Monate betreuen, so dass sie etwas vorweisen können, und dann wohl weiterziehen. Niemand bleibt lange in den Lagern. Es sind Orte ohne Zukunft, und die Jungen versuchen, in Algerien oder Kuba zu studieren. Manche schaffen es auch nach Spanien. Irgendwann werden nur noch jene da sein, die nicht wegkönnen, die Frauen, die Kriegsveteranen, die Alten, und vielleicht werden sie nicht einmal mehr von der Hoffnung auf Besserung sprechen. In den ersten Jahren des Sahara-Filmfestivals hieß es immer, das Festival arbeite daran, endlich überflüssig zu werden, es werde es nur solange geben, bis die Saharauis in einem eigenen Staat leben. Aber einerseits lässt der eigene Staat so lange auf sich warten, dass man gut daran tut, irgendwann zu akzeptieren, welche Richtung das reale Leben nimmt, und andererseits hat sich die Absicht verfestigt, das Filmfestival auch dann auszurichten, wenn es nicht mehr notwendig sein sollte – dann eben in einem eigenen Staat der Westsahara. Ein paar Utopien wird man sich noch leisten dürfen.
Sagen wir also, von diesen fünfzehn Filmschülern gelänge es zweien oder dreien – vielleicht ja auch der Schönen in ihrem roten Gewand -, mit Hilfe von Filmen etwas über sich mitzuteilen. Auf eine Weise, die man in anderen Ländern versteht. In einer Sprache, die nicht an Kontinente, Dritte Welten oder Klimazonen gebunden ist: Das wäre alles, was man sich erhoffen dürfte. Hören wir nicht seit Samstagabend, dass diese Neunzehnjährige, die den europäischen Schlagerwettbewerb gewonnen hat, so unverkrampft und natürlich rüberkommt, dass man sie einfach mögen muss? Dass sich sonderbarerweise viele Millionen Menschen für sie interessieren, die vorher nicht einmal ahnten, dass so eine junge Frau ihnen etwas zu sagen haben könnte? Dass diese deutsche Siegerin frisch, unverdorben, dabei unbefangen und „ganz sie selbst“ sei? Eben. Darum geht es. In den kälteren und den heißeren Zonen.
[ Fotos: Ulrich Korn (1,2,5), Sanchos Esel (3,4) ]
Postkarten aus der Sahara...
Postkarten aus der Sahara benötigen manchmal wohl etwas länger. Was nicht bedeutet, daß sie etwa weniger willkommen sind! Ganz im Gegenteil, möchte man sagen. Wir wünschen uns mehr davon!
Mich hat das erste Foto ganz...
Mich hat das erste Foto ganz besonders beeindruckt. Wie lange soll das Wassgeschenk ausreichen? Ist es ein persönliches Geschenk, eine aufgeteilte Spendung? Auch die verschiedene Körperhaltung der beiden Frauen: die mit der Sonnenbrille empfinde ich als selbstbewusst, so lässig wie sie sich mit dem Unterarm auf die Wasserflaschen stützt. Ich frage mich die ganze Zeit, ob die Sonnenbrille reine Koketterie ist, oder ob ihre Augen operiert sind. Manchmal neige ich dazu hinter den dunklen Gläsern zu sehen, dann wiederum denke ich, dass sie sich einfach cool findet mit der Sonnenbrille. Die andere Frau sieht eher zurückhaltend aus. Selbst die Farben ihres Gewands sind weniger schillernd. Ist sie die arme Verwandte? Da ich mich noch nicht losreissen konnte von dem Bild, wäre ich unserem Gastgeber dankbar wenn er weiteres dazu erzählen könnte. Sonst werde ich keine Ruhe finden, um mich den anderen Fotos zu widmen.
Mein lieber mugabarru, bei...
Mein lieber mugabarru, bei Ihrer Fabulierlust: hätten Sie nicht unten anfangen können?
Dulcinea, selbst die...
Dulcinea, selbst die langsamste Post kommt irgendwann an. Es könnte also sein, dass es das jetzt war mit den Postkarten. Danke für Ihre freundlichen Worte.
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mugabarru, leider kann ich Ihnen nur wenig Weiteres erzählen. Die Aufnahme ganz oben stammt von Ulrich Korn, der mir einen Schwung seiner Fotos zur Verfügung gestellt hat. (Er hat meinen Dank!) Die Sonnenbrillen sind kein modischer Gag, sondern wirklicher Augen- und Gesichtsschutz. Ebenso die Handschuhe. Vielleicht sollte ich noch eine kleine Modeseite über die Sahara machen? Bildmaterial dafür gäbe es. Dulcinea? Haben Sie gehört? Ich denke darüber nach!
Ich sprach von Handschuhen,...
Ich sprach von Handschuhen, obwohl sie auf den Fotos hier nicht zu sehen sind. Es gibt andere Bilder, auf denen man sie bewundern kann.
Ich weiss Dulcinea, manchmal...
Ich weiss Dulcinea, manchmal bin ich halt furchtbar konventiell. Die Bücher lese ich vom Anfang zum Ende, nicht umgekehrt. Ich lese von rechts nach links, und von oben nach unten. Aber ich kann in manchen Themen einfach nicht über meinen Schatten springen. Nun, ich habe entschieden, dass die Frau mit der Sonnenbrille tatsächlich eine Augenoperation hinter sich hat und noch Mullbinden auf den Augen trägt, was aber ihre sozialen Stellung und ihrem Stolz nicht beeinträchtigt haben. Schauen sie nur auf ihre Hände. Vergleichen sie diese mit der leicht verkrampften Hand ihrer armen Cousine, die im Haushalt gegen Kost und Logis schuftet, und auch dankbar sein muss. Schauen sie nur auf ihren ergebenen und trostlosen Blick. Alle Menschen sind gleich, aber manche gleicher als andere. So, nun sind sie dran mit dem letzten Bild. Bestellen wir noch was zu trinken, und sie erzählen……
Als Sanchos Esel neulich in...
Als Sanchos Esel neulich in die Wüste kam, nach einer anstrengenden Reise, wie berichtet wird, rieb er sich die Augen und blickte sich um. Es gab hauptsächlich Sand. Viel Sand. Und es ist für einen Esel nicht leicht, sich wüsten Sand aus den Augen zu reiben! Mit den Hufen und so. Als die Augen sandfrei waren, wollte Sanchos Esel der WG zu Hause gern von seinen Abenteuern berichten. So verfiel er auf die Idee, eine Karte nach Hause zu schicken. Mit Briefmarken und allem. Eine gute Idee!, befanden auch zwei Frauen, die sich in der Wüste auf einige blaue Wasservorräte stützten. Aber… hast Du bedacht, Esel, fragten sie, was für eine Karte Du schicken möchtest? Eine Landkarte? Eine Wandkarte? Eine Speisekarte? Eine Reisekarte? Eine Freikarte? Eine Karteikarte? Du mußt darüber nachdenken, sagten die Frauen. Sie sahen weise aus. Ich hatte an eine Postkarte gedacht, sagte Sanchos Esel und trottete weiter. Weißt Du vielleicht, wo ich hier eine Postkarte herbekomme? fragte er ein vorüberlaufendes Mädchen. Nein, sagte das Mädchen. Ich kenne nur Spielkarten, Stempelkarten, Lebensmittelkarten und Bestellkarten. Dagegen kenne ich keinerlei Postkarten, Opernkarten, Bahnkarten, Dauerkarten oder Trauerkarten. Es tut mir sehr leid. Ich danke Dir trotzdem, sagte der Esel und trottete weiter. Hier gibt es etwas! witterte er, als er eine lange Schlange von Frauen sah, die von mehreren Seiten zugleich gefilmt und photographiert wurde. Gab es hier vielleicht Freifahrkarten? Flugkarten? Lohnsteuerkarten? Chipkarten? Geldkarten? Kurkarten? Retourkarten? Gar… Postkarten? Zwei Frauen lachten laut. Nein! sagten sie. Hier gibt es bloß Kinokarten! Das tut uns sehr leid. Ich danke Euch trotzdem, sagte der Esel und trottete weiter. Meine Kusine hat einmal eine Ansichtskarte erhalten!, sagte ein kleines Mädchen. Aus einem fernen Land! Sie war sehr lange unterwegs! Wir haben sie unzählige Male abgemalt und das Motiv verwendet als Geburtstagskarte, Einladungskarte, Namenskarte, Neujahrskarte, Gratulationskarte und Grußkarte! Aber Postkarten haben wir nicht, das tut uns leid. Ich danke Euch trotzdem, sagte der Esel und trottete weiter. Er staunte über die Freundlichkeit und Geduld dieser Menschen. Durch seinen Kopf schwirrten schon unzählige unschöne Wörter, unter anderem Korrespondenzkarte, Kondolenzkarte, Permanenzkarte, Grenzkarte und andere noch viel schlimmere, die ich jetzt nicht erwähnen möchte. Suchst Du etwas bestimmtes, lieber Esel? fragte plötzlich eine freundliche junge Dame, die mit der rechten Hand ihren Mund vor dem Wüstensand schützte. Ach!, sagte der Esel. Ich bin nicht mehr sicher. Ich wollte etwas nach Hause schicken. Eine… Niveaukarte? Spezialkarte? Generalkarte? Ich hätte mir doch ein Eselsohr in mein Notizbuch machen sollen! Die junge Frau lächelte und nahm Sanchos Esel bei der Hand. Also beim Huf. Ich kann Dir helfen!, sagte sie. Du brauchst gar keine Seekarte und keine Umsteigekarte, keine Reliefkarte und keine Briefkarte! Was brauche ich denn? fragte Sanchos Esel. Nun, Du brauchst eine Postkarte, sagte die junge Dame. Du brauchst eine KUNSTpostkarte. Und hier ist eine.
Dulcinea, das war herrlich!...
Dulcinea, das war herrlich! Vielen Dank!
Ich rechne: 25 Sixpacks à 6 je 1,5-Liter Flaschen = 225 kg Wasser und 3,75 kg Plastik. Das Wasser reicht für zwei Wochen, die Verpackung hält 250 Jahre. So ein Pech. Das Foto ist es jedoch wert, die Frauen haben selbstverständlich ein Anrecht auf Wasser (wir haben uns ohnehin etwas anderes zu trinken bestellt!). Blaue Flaschen in der Wüste. Blau wie ein See, wie das Meer. Aber die Flaschen sind geordnet, in Reih und Glied. Das ist kein See, das ist ein Staudamm. Ihr Freund Ulrich Korn hat ein gutes Auge, Don Paul.
Wunderbar, Dulcinea,...
Wunderbar, Dulcinea, herzlichen Dank.
Das ist eine schoene Visitenkarte Ihrer Erzählkunst.
Don Paul, danke fuer die schoenen Bilder und den Einblick in eine fremde Welt.
Sehr schön dulce Dulcinea,...
Sehr schön dulce Dulcinea, und jetzt in umgekehrter Reihenfolge, nämlich von unten nach oben. Keine Sorge wir haben Zeit, der Kellner kommt gleich mit den Getränken, der Himmel ist klar und der Mond schein so schön. Bitte, fangen sie an….. wir alle hören und lesen gebannt zu.