Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Das Ausplaudern sinnloser Geheimnisse

| 33 Lesermeinungen

Es ist ein schönes Zeichen, dass das spanische Militär ausrückt und Flughäfen übernimmt, nicht, um ein Land zu besetzen oder Krieg zu führen, sondern weil die Bevölkerung ungehindert in Urlaub fahren soll. Diese Fluglotsen! Kommen auf die Idee, zum Auftakt spanischer Feiertage zu streiken!

Es ist ein schönes Zeichen, dass das spanische Militär ausrückt und Flughäfen übernimmt, nicht, um ein Land zu besetzen oder Krieg zu führen, sondern weil die Bevölkerung ungehindert in Urlaub fahren soll. Diese Fluglotsen! Kommen auf die Idee, zum Auftakt spanischer Feiertage zu streiken! Wenn ein Land solche Ereignisse auf sämtliche Zeitungstitelseiten setzt, ist ein gewisser Grad an normalem Wahnsinn erreicht. Und wie könnte Zapatero jemals hoffen, den Beifall von ABC, El Mundo und La Razón zu erhalten, wenn nicht durch eine entschlossene militärische Geste?

Womit ich mich nicht über jene erheben will, die stundenlang auf spanischen Flughäfen festgehockt haben. Ich hoffe, alle kommen demnächst gut und sicher an. Und natürlich wünsche ich mir, dass der FC Barcelona nicht allzu unbequem nach Pamplona reist, wo auch noch das Spielfeld verschneit ist. Die Aufgabe könnte schwieriger werden als die am letzten Montag gegen Real Madrid. An dieser Stelle ergreife ich die Gelegenheit, die Leser des Blogs von Javier Cáceres zu grüßen, dem Spanien-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, mit dem ich gerade telefoniert habe. Er sitzt in Lissabon und kommt erst heute nacht mit dem Zug nach Madrid zurück, scheint den verlängerten Aufenthalt aber nicht zu bedauern.

Etwas anderes hat mich in den letzten Tagen sehr erstaunt. Dass die größte Tageszeitung des Landes uns täglich auf vielen Seiten mit Klatsch von den Esstischen der Diplomaten füttert. Ich schlage El País vom Freitag auf und sehe folgende Schlagzeile: „Aznar: Wenn ich Spanien verzweifelt sehe, müsste ich vielleicht in die Politik zurückkehren“. Aha. Das Fundstück von Wikileaks ist nun nicht unbedingt ein Gedanke, der irgendjemanden überraschen würde. Das Schlimme an der Schlagzeile ist deshalb nicht der Inhalt dieses Satzes, sondern die Tatsache, dass er am 28. Juni 2007 nach einem Abendessen in der Residenz des spanischen Botschafters in Washington, Eduardo Aguirre, gesprochen wurde. Vor dreieinhalb Jahren! Und nicht in einer Pressekonferenz, sondern bei Kaffee und Zigarre. Ist diese Zeitung noch zu retten? Das bietet sie ihren Lesern am 3. Dezember 2010 als Aufmacher an??

Vielleicht ist es an der Zeit, etwas klarzustellen. José María Aznar, der vielerorts auf Ablehnung, anderenorts auf starke Sympathien stößt, hat lange vor seinem Abgang im Jahre 2004 angekündigt, zwei Amtszeiten seien genug. Daran hat er sich gehalten. Dass er im Hintergrund noch kräftig mitmischt und Fäden zieht, Einfluss nimmt, Stimmung verbreitet, unterscheidet ihn nicht wesentlich von Felipe González. Haken wir das ab. Beide sind relativ jung aus dem Amt geschieden, Aznar freiwillig, González nicht. Beide tun im Hintergrund, was animales políticos eben tun. Was diesen ganzen Themenkomplex betrifft, erwarte ich von einer seriösen Tageszeitung, dass sie mich nicht für blöder hält, als ich bin. Sonst müsste ich glauben, sie wäre es.

Insgesamt erscheint mir die von Wikileaks in die Öffentlichkeit gepustete Masse an diplomatischem (und reichlich undiplomatischem) Gerede, an Klatsch, der sich als Information tarnt, an Gerüchten, Meinungen und Befürchtungen oft so niederschmetternd nichtssagend, dass der allgemeine Schaden größer ist als der Nutzen. Die Diplomatie muss Berichte schreiben. Sie muss recherchieren, beurteilen, abwägen und Informationen austauschen. Dafür ist sie da. Es ist unmöglich zu beurteilen, welchen politischen Effekt die aus dem Zusammenhang gerissene Meinung eines bestimmten Botschafters oder Botschaftsangehörigen hatte, haben könnte, haben wird oder hätte haben können. Dafür müssten wir die gesamte Textproduktion kennen, aber dann bitte auch alle gesprochenen Äußerungen, die niemand aufgezeichnet hat und daher auch niemand weitergeben kann. Die zweihundertfünfzigtausend Dokumente in der Hand von Wikileaks kommen mir vor wie die profane Einlösung von Borges‘ unendlicher Bibliothek. Auch hinter dem Reich von Julian Assange wartet ein ontologischer Schwindel, dem niemand anheimfallen will.

Im Klartext. Wenn die Diplomatie ihre Aufgabe nicht mehr wahrnehmen kann, weil keiner ihrer Mitarbeiter einen ungeschützten Satz sagen darf oder es kein off the record-Prinzip gibt, nimmt das internationale politische Tagesgeschäft Schaden. Dann ist Sondierung, Annäherung, informeller Austausch, ja diplomatische Tätigkeit selbst unmöglich. Wir sprechen hier nicht von geheimen Informationen über den Irak-Krieg oder Folter in Afghanistan. Wir haben es mit einer gigantischen Menge an Meinungen zu tun, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und im Geheimen hätten bleiben sollen.


33 Lesermeinungen

  1. mugabarru sagt:

    Eigentlich wollte ich noch...
    Eigentlich wollte ich noch weiterplaudern über …. alles mögliche, spanische Fluglotsen, Wikileaks… doch „lloro por ti Argentina“…. https://www.abc.es/20101211/internacional/ausencia-policia-deja-saldo-201012111608.html

  2. mugabarru sagt:

    Heut ist doch der Tag der...
    Heut ist doch der Tag der Menschenrechte. Meine geliebte Freundin J. reist zurück, Paris ist zu …. alles. J. ist schwanger, und will ihr Kind in Madrid gebären, trotz französischem Gatten. Nach ihren Erfahrungen in Europa: München, Düsseldorf, Madrid, Bilbao, Barcelona, Paris… ist Madrid die Stadt in der sie sich sicher fühlt. Ihr Mann kommt nächste Woche nach, trotz Krisis. Es ist ein Mädchen. Da ich Trauzeuge war, habe ich – leider – kaum Chance noch einmal Pate zu sein. Trotzdem würde es mich freuen – obwohl der Distanz – Pate ihrer Tochter zu sein. Ich wünsche ihrer Tochter nur, sie soll das Lächeln, das Lachen, und die Frohnatur ihrer Mutter erben. Peru sei dank.

  3. mugabarru sagt:

    Eigentlich habe ich vergessen,...
    Eigentlich habe ich vergessen, zu erzählen warum ich so sentimental bin. Habe heute bezw. gestern, am Tag der Menschenrechte, den Film “ Biutiful“ von Alejandro González Iñárritu gesehen. Habe ich blöde Sorgen, kann ich nur sagen.

  4. mugabarru sagt:

    A la tercera va la vencida....
    A la tercera va la vencida. Nach dem genannten Film, noch diese Nachricht. Dieser link war eigentlich meine erste Absicht, aber ich habe es erst beim dritten Anlauf geschafft. Freud…?

  5. mugabarru sagt:

    ...
    https://www.abc.es/20101211/internacional/ausencia-policia-deja-saldo-201012111608.html
    Also hat es erst beim 4. Anlauf geklappt. Katalanischer Wahlkampf, Frankreich, Schweiz, gebenedeit jene, die die jeweils richtigen Papiere haben….

  6. Dulcinea sagt:

    Von Ihren Kämpfen, mugabarru,...
    Von Ihren Kämpfen, mugabarru, haben wir nur eine geringe Ahnung. Dennoch, herzlichen Glückwunsch an Ihre Freundin J., trotz französischem Gatten! Die Stadt, in der man niederkommt, hat ja eine ganz besondere Bedeutung für das weitere Leben, ich sage nur, Camp Nou. Danke, daß Sie uns teilhaben lassen und unterrichten Sie uns weiterhin! Suerte!

  7. mugabarru sagt:

    Bin zwar kein Flamenco-Fan,...
    Bin zwar kein Flamenco-Fan, aber Morantes war mehr als puro flamenco. Scheinbar soll Flamenco ja hoffähig sein, ich zweifele nicht daran, doch als ich diese Szene sah, hatte ich doch das Gefühl, dass gitanos und payos noch Jahrzehnte auseinander wenn auch miteinander leben. Estrella Morente, die Tochter, eine bildschöne gitana, glamureus und angepasst, was auch immer dies heissen mag. Doch vor dem Sarg ihres Vaters sehe ich das lorquianische Spanien, die oder den gitano – sie sieht so ganz anders aus, mit ihrer männlichen Trauerkleidung, dem schwarzen Halstuch, sie leugnet ihre so oft offen zur Schau getragenen Weiblichkeit im Anblick des Todes. Fühlt sie, die erfolgreiche Tochter, sich als der Sohn den er nicht hatte oder der es nicht geschafft hat? Ist es der Schmerz über den Tod des Vaters der Estrella so verwandelt? Ist es, dass das ländliche Spanien noch da ist, vielleicht sind die gitanos die wirklichen Erben unserer (Trauer)Kultur? Es fühle und weiss es ist Lorca, Flamenco, Andalusien und Gegenwart. Aber ich kann die Elemente nicht miteinander verbinden. Ich komme aus der nörlichen Ecke. Wer hilft weiter?
    https://www.abc.es/20101215/cultura-musica/estrella-morente-feretro-201012151656.html

  8. Madrid sagt:

    <p>Während ich dies schreibe,...
    Während ich dies schreibe, mugabarru, läuft gerade die „Homenaje flamenco a Miguel Hernández“, eine wunderbare (alte) Platte von Enrique Morente. Es ist dort so wie bei mancher Musik: Auch die Nichteingeweihten kann es packen. Allein die Stimme ist umwerfend. Dazu eine Gitarre und nichts weiter. Ich weiß nicht, ob Sie die CDs von Estrella Morente kennen, aber sie sind auch sehr gut. Ich muss nur eine Kleinigkeit korrigieren. Morente war kein gitano, was auch für seine Tochter gilt. Aber sie tragen die gitano-Kultur, das entsprechende Gefühl und den Leidensausdruck in sich. Und natürlich stimmt Ihre Vermutung, dass in der Musik, aber auch in der Trauergeste der Tochter am Sarg des Vaters ein älteres Spanien zum Ausdruck kommt. Der Gesang war herzzerreißend. Dass Estrella dort gesungen hat, wird den Menschen unvergesslich bleiben. Achten Sie im Filmclip auf den Mann hinter ihr, dem sofort die Tränen kommen. Das ist Estrellas Musik.

  9. pardel sagt:

    Sehr interessantes Video,...
    Sehr interessantes Video, mugabarru, so fremd für einen nicht dazugehörigen. Den Tod beklatschen? Sehr andersartig. So vieles, was ich nicht verstehe.
    Übrigens, Don Paul, wenn die Kommentarfunktion weiterhin nach zwei Wochen vom System abgeschaltet wird, brauchen wir bald einen neuen Beitrag von Ihnen, spätestens am 22. – Sie wissen ja schon – werden wir hoffentlich einiges zu besprechen haben. Der Beitrag braucht ja nicht lang zu sein, nur neu. 😉

  10. Madrid sagt:

    Ja, pardel, der Beitrag wird...
    Ja, pardel, der Beitrag wird kommen. Bevor wir gewinnen!

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