Dies wird kein Beitrag zur spanischen Debatte um den Nichtraucherschutz, in der manche eine spanische Attacke auf den Rechtsstaat, die Anmaßung einer gängelsüchtigen Regierung oder gleich das Ende der iberischen Genusskultur sehen. Vielmehr beobachte ich fasziniert das Theater der Gefühle, das die am 2. Januar in Kraft getretene Gesetzgebung ausgelöst hat. Einen hochinteressanten Fall – eine Raucherin prügelt auf eine Kellnerin ein, die sie daran erinnern wollte, dass sie ihre Rechnung in der Bar nicht beglichen hatte -, habe ich knapp in unserer Zeitung geschildert. Es macht Spaß, neue Gesellschaftserscheinungen zu sammeln wie den simpa, von welchem dort ausführlicher die Rede ist. Die Kollateralphänomene, die das neue Gesetz hervorbringt, sind jedenfalls um einiges interessanter als das Gesetz selbst.
Was mich vor allem erstaunt, ist der Deutungsaufwand, der an einer simplen gesundheitspolitischen Maßnahme betrieben wird. Vermutlich führt an einer strengen Regulierung der Raucherlaubnis gar kein Weg vorbei, wenn man sich nicht der Fahrlässigkeit schuldig machen und spätere Schmerzensgeldprozesse heraufbeschwören will. Kommende Generationen werden uns richten. Aber diese Überlegung ist den Verteidigern einer permissiven Gesetzgebung nicht zugänglich.
Vor fünf, sechs Jahren traf ich mich mit Spaniens berühmtestem Literaturwissenschaftler, Francisco Rico, in einem Café in Barcelona, um über den Don Quijote zu sprechen. Rico hatte einige Jahre zuvor eine kritische Ausgabe des Quijote herausgegeben, deren philologisches Unikum darin bestand, dass eine gute Hundertschaft Hispanisten den größten Roman der spanischen Literatur kommentierte. Jenes Gespräch in Barcelona ist mir aus mehreren Gründen in lebhafter Erinnerung. Einmal, weil Don Francisco mit einer ganz unverhohlen zelebrierten Eitelkeit auftritt, die mich nicht abstieß, sondern glänzend unterhielt; dann, weil er verkündete, er werde nur noch in Länder reisen, die er schon kenne (allen voran Italien), er sei zu alt für neue touristische Erfahrungen ( so alt war er aber noch gar nicht); und schließlich, weil er seinen Kaffee trank und einige Zigaretten rauchte und allgemein das Verhalten eines Mannes an den Tag legte, der mit seiner Sucht im schönsten Einverständnis lebt.
Am 11. Januar veröffentlichte Francisco Rico in El País einen Artikel, in dem er das neue Nichtraucherschutzgesetz auf witzige, pedantische und leicht verschrobene Art kritisierte. Sein Text hat einiges für sich; tatsächlich enthält das Gesetz ja Bestimmungen, die man als anmaßend empfinden kann und die auf einen Staat schließen lassen, der durchaus nichts gegen ein bisschen Verfolgung, Intoleranz und denunziatorischen Eifer hat. Besonderes Aufsehen erregte aber nicht so sehr Don Franciscos Argument, sondern sein letzter Satz, der da lautet: „P.S. Ich habe in meinem Leben eine einzige Zigarette geraucht.“
Das trifft nicht zu, wie nicht nur ich weiß. Viele Leser beeilten sich, die Behauptung Don Franciscos richtigzustellen. Die Defensora del Lector bei El País, Milagros Pérez Oliva, schrieb kurz darauf einen langen Artikel, in welcher die heftigen Leserreaktionen dargelegt wurden. Interessant war, wie Francisco Rico auf die Vorwürfe, er habe manipuliert und gelogen, reagierte. Er verteidigte sich nicht, sondern schrieb, die Debatte stärke nur sein Argument, denn nicht über seinen Artikel sei diskutiert worden, sondern über die Frage, ob Francisco Rico ein Raucher sei oder nicht. Dann zitierte er Rimbauds „Ich ist ein anderer“ und setzte schlau hinzu, das Schreiben sei nicht die Autobiographie. Weitere Auskünfte waren nicht zu haben. Die Verteidigerin des Lesers vermochte aus seinen Sätzen keine klare Aussage zu destillieren und schloss mit dem Hinweis, wenn der Einsatz identitätsverschleiernder literarischer Mittel in der Literatur schon problematisch sei, so werde er im Journalismus zur Katastrophe: „Ein Meinungsartikel ist kein literarisches Stück mit Elementen von Fiktion. Erst recht nicht ein so politischer Text wie der des Professors Rico.“
Befremdliche Zeiten. Ich könnte mir denken, dass demnächst einer der wichtigeren spanischen Intellektuellen ein Buch zum Thema herausbringt. Und warum nicht Francisco Rico? Vielleicht könnte Helmut Schmidt es rezensieren.
Bisher habe ich selbst von...
Bisher habe ich selbst von Rauchern tendenziell nur Positives zum Gesetz gehoert, wenn sie nicht zu den Gegnern der aktuellen Regierung gehoeren, die grundsaetzlich jede Entscheidung kritisieren. Ein Freund (Raucher) sagt, dass er jetzt morgens beim Fruehstueck eben nicht mehr eine Zigarette zum Kaffee in der Bar und eine auf dem Rueckweg raucht, sondern nur noch die zweite. Sein Päckchen reicht jetzt zwei Tage statt einem, und er findet das gut.
Ich glaube, dass sich die Aufregung in ein paar Wochen gelegt haben wird. Wie in allen anderen Laendern zuvor auch. Die Spanier sind ja erfindungsreich im Auslegen von Gesetzen und vielleicht ahmen sie die deutschen Errungenschaft der Raucherclubs nach. Ich kenne Nichtraucher, die Mitglied in einem Raucherclub geworden sind, weil sie weiter in ihre Lieblingsbar gehen wollen, die sich zum Raucherclub umgewandelt hat. Freiwillig. Wuerde das spanische Gesetz eine solche Einrichtung erlauben?
Das mit dem Tabak führt schon...
Das mit dem Tabak führt schon zu merkwürdigen Ausfällen. Die Franzosen haben 20 Jahre gebraucht, um einige der eklatanteren Fehler zu korrigieren:
https://www.elpais.com/articulo/cultura/Francia/fuma/censura/cigarro/elpepicul/20110120elpepicul_3/Tes
Andere haben ganz neue Sorgen:
https://www.elpais.com/articulo/cultura/Francia/fuma/censura/cigarro/elpepicul/20110120elpepicul_3/Tes
In beiden Artikeln sind die Lesermeinungen sehr erhellend. Ich lerne viel über den Mitmenschen und sehe viele Vorurteile bestätigt.
Ich bleibe bei meiner bereits geäußerten Meinung: Ein vernünftiges Nichtraucherschtzgesetz, oder ein Anti-Rauch-Gesetz (bitte kein Anti-Raucher-Gesetz, sonst haben wir den Salat) ist richtig und notwendig. Nur die Schadenfreude mancher Nichtraucher empfinde ich als schäbig. Das zeigt in meinen Augen, dass dieses Gesetz in der Ausgestaltung nicht wirklich vernünftig ist. Schade um die convivencia, dafür ist eine schöne Debatte losgetreten worden. Ist ja auch was.
Und Sie, Don Paul? Darf ich fragen, ob Sie literarisch, journalistisch oder im „richtigen“ Leben un cigarrillo, ningún cigarrillo oder un cigarrillo con la colilla del otro rauchen oder geraucht haben?
PS: Schade um die schöne Serie, beim 29. Spiel war’s vorbei. Glückwunsch an Betis, sie haben hervorragend gespielt. Beide Spiele.
Auch ich, pardel, sehe mit...
Auch ich, pardel, sehe mit Interesse die Facetten dieser Debatte, gerade dort, wo das Wasser über die Ufer steigt. Auf beiden Seiten. Ich selbst habe zu Zeiten geraucht, bin kein prinzipieller Gegner des Tabaks, sondern gelegentlicher Genießer, aber gegen Versklavung durch so ein weißes Stängchen. Außerdem bin ich Sportler. Das neue Gesetz halte ich in den allermeisten Punkten für sinnvoll und notwendig und freue mich außerdem, dass man jetzt auch am späten Abend eine Cocktailbar betreten kann, ohne gleich wieder rauszufallen. Unser Heim ist rauchfrei, das ist schon seit vielen Jahren so. Gäste sind eingeladen, auf die Terrasse zu gehen. Niemand beklagt sich.
Danke für die Auskunft, Don...
Danke für die Auskunft, Don Paul, so ungefähr habe ich mir das bei Ihnen auch vorgestellt.
Der zweite link hat nicht geklappt, gemeint war
https://blogs.elpais.com/el-comidista/2011/01/huele-peor-bares-prohibicion-tabaco-mal-olor.html
Aber es gibt so viele Meinungen zu diesem Thema, dass es schon beinahe beliebig ist. Nur die Häufung an Beschimpfungen in den Leserkommentaren in ansonsten ausgewogenen und gemäßigten Medien wundert mich. Bei den Medien, die jede Ausrede nutzen, um die Regierung als faschistisch zu diffamieren, HenryCharms, brauchen wir nicht zu reden. Das nimmt in der entsprechenden Presse langsam US-amerikanische Züge an, dort wird auch mit der Faschismus-Keule auf jeden eingedroschen, mit dem man nicht einer Meinung ist. Aber wenn man in einem Kochblog die Kommentare dazu und die zu anderen Themen vergleicht, fällt mir schon ein Unterschied auf.
Wirklich interessant, wie...
Wirklich interessant, wie diese Debatte in den verschiedenen Ländern geführt wird und ich bin gespannt, was sich nun in Spanien einspielt. Ein gemeinsamer Nenner scheint mir aber zu sein, dass oft die ehemaligen Raucher zu den unnachgiebigsten Verfechtern der totalen Rauchfreiheit werden – was auf unseren Gastgeber glücklicherweise nicht zutrifft.
Und manchmal geht es gar nicht mehr um den Schutz vor realer Belästigung (Gefährdung ist es ja nur selten) durch den Rauch, sondern „ums Prinzip“. Das ist in Deutschland oft eher peußisch geprägt und in den USA eher puritanisch – was sich dann aber erstaunlich anders anfühlt.
Dazu fällt mir eine Anekdote aus New York ein: ich saß rauchend in einem öffentlichen Park und wurde von einem Obdachlosen um eine Zigarette angeschnorrt. Als ich ihm freundlich die Packung hinhielt, verzichtete er nach einem misstrauischen Blick – er suchte Filterzigaretten … (Ich rauche selbst nur sehr selten, dann aber filterlose Virginias – wenn ich sie denn auftreiben kann).
Filterlose Virginias, das hat...
Filterlose Virginias, das hat natürlich Stil. Wo wird denn der Stil hingehen, wenn es den des Rauchens nicht mehr gibt?
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Bitte sehen Sie mir in den nächsten Tagen mögliche Verzögerungen nach. Ich bin unterwegs. Aber wenn das Modem mitspielt, werde ich mich rühren.
Kommende Generationen werden...
Kommende Generationen werden sich einmal gar nicht mehr vorstellen können, daß man vormals in Restaurants und Cafés rauchen durfte, so, wie wir uns heute fast nicht mehr vorstellen können, daß man früher im Flugzeug auf den hinteren Reihen rauchen durfte. Im Flugzeug und überall! Als einfaches Landmädchen bin ich aber – ehrlich gesagt – auch niemals gefragt worden, ob es mich etwa stören würde. Nicht das Rauchen in meiner Gegenwart, und nicht, was davon übrigbleibt. Nicht im Flugzeug, nicht im Büro, nicht im Café und auch sonst nicht. Was soll daran stilvoll sein? „Stört es Sie, meine Dame, wenn ich jetzt rauche?“ Das habe ich fast nie gehört, und wenn, dann immer nur von älteren Herren. Und das liegt daran, daß zuerst der Stil untergegangen ist. Vor langer Zeit. Vor dem Rauchen jedenfalls. Und den stillosen Rauchern, die übrig blieben, denen muß man es heute eben verbieten. Zumindest kommen die Kellner und Gastwirte so ein paar mal am Tag an die frische Luft!
Liebe WG-Freunde, in der...
Liebe WG-Freunde, in der RaucherInnendiskussion bin ich ganz zwiegespalten: Als Hin- und -wieder-Raucherin nach dem Essen oder bei einem Glas Wein/ Gin Tonic und/oder in netter Gesellschaft war es für mich stets ein Hochgenuss, mich in den spanischen Bars zu tummeln- vor allem, seit das in Resteuropa so nicht mehr möglich war. Und schon seit einiger Zeit nicht mehr im Casino in Davos. Sonst sähe das Leben vielleicht anders aus, lieber mugabarru!
Aber nun zu einem anderen, nicht so persönlichen Aspekt: ich schaue dahin, wo ich mich gut auskenne, nämlich in die LehrerInnenzimmer dieser Welt. Für deutsche Schulen gab es ein Jahrzehnt, in dem auf die Süchte der RaucherInnen Rücksicht genommen wurde. Da gab es 2 Lehrerzimmer. Und raten Sie mal, in welchem es interessanter war? Schließlich saßen im NichtraucherInnenzimmer nur noch die Menschen, die, sagen wir es einmal vorsichtig, nicht gerade die kreativen Impulsgeber waren. Und alle anderen, egal ob süchtig oder nicht, tummelten sich in dem Raum der Underdogs, dort hinten jenseits des Dachbodens, hinter dem Latein- oder Landkartenraum, in den Verliesen, die als so unattraktiv galten, dass man sie für die RaucherInnen bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte. Doch auch diese Romantik ist der Gesundheit zum Opfer gefallen.
Was bleibt ist die Frage: Warum waren die Insassen der Raucherräume so viel kommunikativer und interessanter als der Rest der Kollegien?
Virtudes, das fragen Sie noch?...
Virtudes, das fragen Sie noch? Weil Sie selbst dort verkehrten, warum denn sonst!
Lieber Gastgeber, lassen sie...
Lieber Gastgeber, lassen sie doch bitte die kommenden Generationen in ruhe. Carpe Diem! Sprechen wir über uns.
Liebe Virtudes, das nicht rauchen im Casino von Davos bekommt ihnen bezw. mir überhaupt nicht. Einverstanden! Doch dies ist kein Argument. Ich habe den Verlust meiner Yacht fast schon überstanden! Und ihre Anekdote über kreative Menschen in Raucherräumen… nun, es kommt mir sehr bekannt vor. Mein fast kettenrauchende amatxu erzählt etwas ähnliches, aber auf ihren ersten rauchbegrenzten Parties. Da soll sie – als Raucherin – fast die gesamten rauchende und nicht rauchenden Gäste in der Raucherecke versammelt habe. Ich glaube ihnen und ihr gerne: charmante, intelligente Frauen – rauchend oder nicht – sind nun mal interessant. Doch dies ist kein Argument. Und was Argumente anbetrifft, bin ich eigentlich sehr enttäuscht von den Rauchern. Das einzige Argument das ich mehrmals, und in verschiedener Darbietung gelesen habe ist: ICH, ICH, ICh, ICH und wieder ICH. Als Garnition dazu wird ein abstraktes Freiheitsgefühl ((der freiheitlich reitende MARLBORO-Cowboy oder der meilenweit laufende CAMEL-Individualist oder der happpy LUCKY STIKE guy…. ) also Rauch gleich Freiheit, jegliche Einschränkung ist ein Attentat gegen die – ihre – individuelle Freiheit. Wenn das nicht der Tabakindustrie verschriebene Schreiber sind…. ¡que venga Dios y lo vea! Der/die andere neben sich, die werden nicht einmal wahrgenommen. Die werden als Denunziation verschrien, als Talibane… Aber bitte. Herr Ingendaay, selbst ihr Bekannter/Freund D. Javier Marías droht ja fast mit einem echten Rückzug in seine vier Wände, sollte er nicht mehr rauchen dürfen (siehe seinen letzten Beitrag in El Pais Semanal. Selbst amatxu, die den gleichen Genüssen frönt, meinte er solle vorsichtig sein, es könne sein der Rest der Menschheit könne damit einverstanden sein, und statt eiinen Schritt zurück zu treten, damit er sich wohl fühlt. Es ist eine ihrer kleinen Gemeinheiten mit denen sie mich – als Teenager – daran erinnerte, dass ich nicht der Nabel der Welt bin. (Und trotz ihrer erzieherischen Bemühungen befallen mich, manchmal, Zweifel diesbezüglich).
Nun, interessant fand ich den Beitrag von Vicente Verdú, gerade weil er ein Thema anschnitt, das mich auch sorgt: mein eigenes Selbswertgefühl als Nichtraucher, Schuldkomplexe usw. Aber er hat es sehr gut beschrieben. Anfang März bin ich in Madrid, und ich brenne darauf meine eigene Bestandaufnahme zu unternehmen.
https://www.elpais.com/articulo/madrid/Simpas/guardacopas/lateros/elpepiespmad/20110119elpmad_18/Tes
Übrigens war ich, entgegen meinen heiligen Schwüren letzten Jahres, wieder in der Tamborrada in Donostia. Nun SIE macht ja mit. Es war unser 1. Jahrestag. Damals habe ich sie endgültig überzeugt, dass ich interessanter bin als der öde, aber beruflich erfolgreichere, und als „Schwiegerrsohn“ viel vorzeigbareren Nebenbuhler, den ich endgültig ausschalten konnte. Nun in den „sociedades gastronómicas“, den txokos, wurde geraucht als müssten alle Gäste der Tabakindustrie noch eine grosse Freude bereiten. Ich habe masochistisch gelitten, der Nachbarprivinz aber klipp und klar gesagt: N¡e wieder! Aber dennoch würde ich so sehr pardel als auch Virtudes liebend begleiten, wenn sie ihrem Drank nach Nikotin nicht mehr aushalten können. Ich bin mir sicher, es wäre ein Vergnügen.