Sanchos Esel

Einer von uns

Einer von uns feierte seinen fünfzigsten Geburtstag und hatte nach Lanzarote auf eine große Finca eingeladen. Die meisten hatten ihre Frauen dabei und die Kinder zu Hause gelassen, nur zwei von uns kamen allein. Die Gruppe stammt mehrheitlich vom Niederrhein, das ist die Heimatbasis für Wanderungen, die einmal im Jahr stattfinden und die ehemaligen Schulfreunde schon nach Frankreich und Belgien (vielleicht war es auch Luxemburg, aber ich weiß nicht, wie gut man dort wandern kann) geführt hat. Diesmal also sollte es Lanzarote sein.

Bekanntlich hat jeder sein eigenes Verhältnis zum fünfzigsten Geburtstag. Nicht immer ist es lustig. Persönliche Befindlichkeit, Gesundheit, Beziehungsglück, Lust oder Lustlosigkeit, berufliche Situation, finanzielle Mittel, philosophischer Über- oder Unterbau, all das will in ein vernünftiges Verhältnis gebracht und sorgfältig austariert werden. War es das jetzt? Steht man dort, wo man einmal ankommen wollte? Kennt man den Weg, den man noch zu laufen hat? Manche Menschen sind nicht für Rückschauen, sondern nur für Vorausblicke gemacht.

Der Letzte von uns, der seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, hatte alles von langer Hand geplant, und das Wetter war ihm und uns gewogen. Von der Finca aus schauten wir auf leeres Land hinunter, weiter hinten glitzerte das Meer, nachts zeigte sich der dicke Mond, wie unser Freund ihn für diese Tage zusammen mit dem Neunsitzer bestellt hatte.

Nicht das Geburtstagskind, sondern andere sprachen vom Alter, als träfe einen die volle Wucht der Zahl fünfzig erst mit ein paar Monaten Verspätung. Einer von uns sagte, er baue keine Muskeln mehr auf, das sei vorbei, und entblößte zu Demonstrationszwecken seinen Oberarm. „Hier“, sagte er. „Schlaff.“ Ich habe nicht so genau hingeschaut, aber wirklich schlimm kann es nicht gewesen sein. Ein bisschen labberig vielleicht. Na und? Zu wenig Sport getrieben. (Zum Glück nicht geraucht.) Was aber Fünfzigjährige sind, die können die Witze nicht lassen und trinken mehrere Abende lang nicht nur auf Gesundheit und Übliches oder Unübliches, sondern eben auch auf den Muskelschwund.

 

Am Samstagmorgen setzten wir von Lanzarote nach Isla Graciosa über, denn dort sollte die eigentliche Wanderung stattfinden, eine jener Unternehmungen, die für die niederrheinische Gruppe den selbstverliehenen Namen „Gipfelstürmer“ begründet. Mit Gipfeln hatten wir es dann aber nicht so, denn kaum hatten wir die letzten Häuser von Caleta del Sebo hinter uns gelassen, fing es an zu regnen. Sanchos Esel war der einzige, der keine regenfeste Jacke mitführte. Sanchos Esel hatte im Internet etwas von 24 Grad gelesen und vertrat die Meinung, die Isla Graciosa habe sich daran zu halten. Die erste Stunde war also eher unwirtlich. Einer von uns, Mr. Muskelschwund, sagte warnend, das mit dem Umlaufen der Insel könnten wir bei diesem Wetter vergessen. Wir anderen murrten wie die Mulis. Dann kamen wir nach Pedro Barba. Dort beschlossen wir, uns die Erschlaffungstheorien des einen nicht zu eigen zu machen: Wir liefen weiter.

Und es wurde eine wunderbare Wanderung. Bald zeigte sich wieder die Sonne. Die Landschaft ist ja einerseits variabel – Küste oder Landinneres -, andererseits sieht man kaum einen Menschen und fühlt sich fast wie ein Pionier. Manche von uns wollten schwimmen gehen, aber wir verpassten den Sandstrand, also hockten wir uns an die Felsen, sahen den Wellen beim Brechen zu und aßen jeder ein Ei. Dann Sandwich, Wasser, Gummibärchen, was man so zum Durchhalten braucht. Ein- oder zweimal sahen wir Fahrradfahrer. Man kann in Caleta de Sebo, direkt an der Fähre, Fahrräder mieten, aber so gern ich das mal täte, die wahren Gipfelstürmer gehen zu Fuß. Während wir gingen, machten wir weitere Witze über das Alter.

Nach genau fünf Stunden kamen wir ins Dorf zurück. Vier von uns brauchten jetzt dringend ein Bier, sechs wollten schwimmen. Das Wasser war wärmer als im Pool der Finca. Mr. Muskelschwund war es sich schuldig, mit zum Schwimmen zu kommen, und im Sonnenlicht sah er für seine fünfzig Jahre prima aus, wenn man nicht auf die Idee kam, an der Haut am Oberarm zu zupfen. Wir sahen leerstehende Appartements, die gerade fertiggestellt schienen und schon alt aussahen. Wir dagegen, schon länger dabei, fühlten uns ziemlich gut. Auch die Natur hat Falten und überlebt damit. 

Nahe der Finca, bei Abfahrt und Ankunft, sahen wir ein paar Esel, und das war der Augenblick, als ich beschloss, von unseren Tagen auf Lanzarote und Isla Graciosa zu berichten. Nachts sahen wir die Langohren daliegen, und ich rief: „Foto! Foto!“, aber weil ich ganz hinten saß und kein wirklicher Gipfelstürmer bin, fuhr der Steuermann unbeirrt weiter. Am nächsten Morgen, als wir wieder ausfuhren, rief ich abermals: „Foto! Foto!“ Doch auch diesmal wurde ich überstimmt.

Erst am letzten Tag stieg einer von uns aus und machte von den Eseln einige Porträts. Im Hintergrund spannte sich ein Regenbogen, der Esel sah halb glücklich, halb nachdenklich aus, und erst, als wir schon in der Flughafenhalle standen (nur noch Mr. Muskelschwund und ich waren übrig), fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, den Esel etwas Wichtiges zu fragen: Wie alt bist du?

                                                  [ Fotos : Haadee ]

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