Neulich hatte ich das Vergnügen, mich wieder mit Mark Twain zu beschäftigen, und dabei habe ich gelernt, dass, als er wieder auf Lesereise gehen musste, um den völligen Bankrott abzuwenden, seine Familie gegen eben diesen Namen – „Mark Twain“ – heftig aufbegehrte. „Wie ich diesen Namen hasse!“, schrieb seine Tochter Clara. „Ich will ihn nie wieder hören! Mein Vater sollte nicht damit zufrieden sein! Er sollte nicht unter diesem Namen bekannt sein! Er sollte sich als der große Schriftsteller zeigen, der er ist, nicht als komischer Mann. Komisch! Das ist alles, was die Leute in ihm sehen – einen Mann, der komische Reden hält!“
Hier haben Sie, nur zum Spaß, ein paar seiner Sentenzen, von denen wir annehmen dürfen, dass sich seine Zuhörer beim Vortrag vor Vergnügen auf die Schenkel geschlagen haben, weil sie nichts davon auf sich bezogen:
„Die Schöpfung des Menschen war eine gute und originelle Idee, aber dann auch noch das Schaf zu erschaffen, war eine Tautologie.“
Oder: „Verschiebe nichts auf morgen, was ebenso gut auf übermorgen verschoben werden kann.“
Oder: „Es ist höchste eigenartig, dass körperlicher Mut in der Welt so gängig ist – und moralischer so selten.“
Oder: „Besser ein gebrochenes Versprechen als gar keins.“
Oder: „Es hat bisher nur einen Christen gegeben. Man hat ihn erwischt und gekreuzigt – gleich am Anfang.“
Oder: „Wahrheit ist das Kostbarste, was wir haben. Man muss sparsam damit umgehen.“
Aber es half natürlich alles nichts, „Mark Twain“ war pleite, hatte Schulden, wollte dafür haften, zählte auch zu den Stützen der Gesellschaft, so dass Nichtzahlen und Davonrennen keine Option für ihn war, und so bereitete er grummelnd die größte reading tour seines Lebens vor, ein ganzes Jahr Tingeln über fünf Kontinente mit mehr als 150 Auftritten, kein Witz. In einer schönen Bildbiographie habe ich die playbills gesehen, auf denen er angekündigt wurde, immer in irgendwelchen feinen Hotels, wie es sich für die Stützen der Gesellschaft gehört, immer ausverkauft, die Leute klasse angezogen und bester Stimmung, er selbst einer gegen alle, praktisch ohne Manuskript, er konnte anderthalb Stunden reden, Witze und Anekdoten erzählen und sehr, sehr geistreich sein.
Eigentlich hieß er aber Samuel Langhorne Clemens. Seine Mutter hatte ihn „Sammy“ genannt, seine Frau und seine Freunde nannten ihn „Sam“. Was sonst? Wir dürfen „Mark“ – von Mark Twain – nicht als Vornamen verstehen. Mark twain! war ja der Ruf der Mississippischiffer, wenn die Wassertiefe stimmte, nämlich mindestens zwei Faden bzw. 3,70 Meter. Erst dann konnte so ein Kahn ohne Gefahr passieren.
Jedenfalls. Sam war sechzig und hatte sich nicht etwa durch privaten Luxus, sondern durch hirnverbrannte Investitionen ruiniert, und nirgendwo mehr als bei dem Wahnsinnsprojekt einer zukunftweisenden automatischen Setzmaschine aus rund 18.000 Einzelteilen, deren Erfinder und Konstrukteur, James W. Paige, das komplizierte Ding aber immer wieder auseinander nahm, um es zu perfektionieren. So dass es am Ende tatsächlich niemals fertig wurde. So dass es auch niemandem Geld einbrachte. Und am allerwenigsten dem Mann, der am meisten hineingesteckt hatte, nämlich Samuel Clemens oder Sam. Im Jahr 1880 zum Beispiel hatte er die ersten 2.000 $ investiert, fünf Jahre später erwarb er die Hälfte des ganzen Projekts für weitere 30.000 $, und irgendwann musste er jeden Monat 3.000 bis 5.000 $ in den Traum von der besten Setzmaschine der Welt schaufeln.
Seine Hoffnungen waren gewaltig: „Diese Maschine“, sagte er, „kann alles, was ein Mensch kann, außer saufen, fluchen und streiken!“ Am Ende, nachdem er noch einmal 160.000 $ aufgenommen hatte, musste er erkennen, dass sie etwas zu menschlich, ja geradezu mit erstaunlichen seelischen Komplexitäten ausgestattet war. Tja. Die Geschichte des technischen Fortschritts wird gern von der einfacheren Lösung geschrieben. Um uns übrigens von der heutigen Kaufkraft dieser wie peanuts anmutenden Dollarsummen einen Begriff zu machen, sollten wir sie mit 20 oder 30 multiplizieren, genau weiß ich es nicht. Vielleicht reicht es ja zu sagen, dass ein damaliger Durchschnittsamerikaner rund 500 $ jährlich verdiente. Bei Sam aber verschlang um 1880 schon die Haushaltsführung mit sieben oder acht Bediensteten 30.000 $. Wie gesagt, er zählte zu den Stützen der Gesellschaft.
Welche Gesellschaft er andererseits grauenhaft, verlogen, brutal, hinterhältig, militaristisch, stumpfsinnig und verheuchelt fand. Auch wenn er ein Entertainer und der bestbezahlte standup-comedian seiner Zeit war, auch wenn er den Beifall der Dummköpfe genoss und mit Vergnügen seinen ungeheuren Ruhm verwaltete: seine Schriften machen uns bezüglich seines Skeptizimus nichts vor.
Noch etwas, was Sie wissen sollten. Alles hat einmal ein Ende. Ein Buch. Ein Blog. Ein Leben. Sam wusste das genau. Seiner Frau zuliebe, so lese ich in der Briefsammlung Sommerwogen, ging er sogar in die Kirche, obwohl es ihn „schier umbrachte“. Seine Frau wiederum, Olivia, genannt Livy, verzichtete am Ende ihm zuliebe auf den Kirchgang, an dem ihr wirklich lag, weil sie (so lese ich in den sorgfältigen Anmerkungen dieses Briefbandes) „seinen vorgetäuschten Glauben durchschaute“. Ist das nicht schön? Und hier ihre Begründung: „Wenn du verloren bist, will ich mit dir verloren sein.“
Abschließend, gleichsam als Wegzehrung, zumal uns Don Alphonso hier nun nicht mehr amüsieren wird, noch einige von Sams Sprüchen, mit denen er die Menschen auf unvergleichliche Weise unterhielt. Zum Beispiel:
„Ein runder Mensch passt nicht ohne weiteres in ein eckiges Loch. Man muss ihm Zeit lassen, sein Format zu ändern.“
Oder: „Ich mag Arbeit nicht – auch nicht, wenn sie ein anderer erledigt.“
Oder: „Nichts ist reformbedürftiger als die Gewohnheiten anderer.“
Oder: „Damals hatte ich Ideale. Ich habe sie überlebt.“
Oder: „Hunde sind Gentlemen. Ich hoffe, ich komme in ihren Himmel, nicht in den der Menschen.“
Großartig!...
Großartig!
Grandios!...
Grandios!
Danke für diesen herrlichen...
Danke für diesen herrlichen Beitrag. Also eine Stütze der Gesellschaft werde ich nie, jedenfalls nicht in diesem Leben. Doche vielleicht, wenn ich den Schnurrbart nicht kastillisch, sonder twainig wachsen lassen.. Könnte es sein..? Auf jeden Fall wäre ich gerne mal so, na, halt so nonchalant, intelligent und guter Beobachter wie Mark Twain. Glauben sie so was wächst mit dem Schnurrbart?
Aber als Desaster der...
Aber als Desaster der Gesellschaft bin ich fast unschlagbar.
mugabarru, mein Lieber, Sie...
mugabarru, mein Lieber, Sie sind doch bereits auf dem richtigen Weg, das habe ich schon immer gespürt. Weiter so!
PS: Wenn es aufhört zu regnen beginne ich mit der diesjährigen Bleiche. Oder haben Sie Sonne da in Ihrem … Bilbao?
Danke für die freundlichen...
Danke für die freundlichen Worte.
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Mugabarru, wer ist schon eine Stütze der Gesellschaft? Jedenfalls keiner, der sich selbst so nennt. Das gilt dann aber auch für das Desaster der Gesellschaft. Der Schnurrbart … also, da bin ich kein Experte. Ich selbst habe es etwa zur Halbzeit meines jetzigen Alters mal mit einem Vollbart versucht, sah aber aus wie Jesus und empfand mich eher als Fehlbesetzung. Lustig, wie sich manche Fragen für immer erledigen.
Oder gar nicht erst stellen....
Oder gar nicht erst stellen.
Wunderbar, Don Paul. Etwa um...
Wunderbar, Don Paul. Etwa um dieselbe Zeit wie Sie, hatte ich auch einen Vollbart. Heute betrachtet sah es furchtbar aus. Aber ich habe es ueberlebt.
Gruss auch an Don Alphonso. Ich habe ihn zwar nicht so regelmaessig gelesen wie Sanchos Esel, mich aber dennoch meist gut unterhalten gefuehlt.
Ach, mugabarru, was macht...
Ach, mugabarru, was macht eigentlich die Suche nach der Million bei den Nonnen? Sie muessen die Sache schnell erledigen, denn es wartet schon die Jagd auf „Mini-Madoff“. Da ist der Schnurrbart eine bessere Tarnung als im Kloster.
Nun, HenryCharms, Don Alphonso...
Nun, HenryCharms, Don Alphonso hat etwa fünf Mal so viel geschrieben wie Sanchos Esel. Er ist eben ein echter Blogger. Das wird er ja bleiben, trotz seines Abschieds hier. Und wer weiß, ob wir ihn nicht einmal wiedertreffen?