Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Damals hatte ich Ideale – ich habe sie überlebt.

| 37 Lesermeinungen

Neulich hatte ich das Vergnügen, mich wieder mit Mark Twain zu beschäftigen, und dabei habe ich gelernt, dass, als er wieder auf Lesereise gehen musste, um den völligen Bankrott abzuwenden, seine Familie gegen eben diesen Namen - „Mark Twain" - heftig aufbegehrte.

Neulich hatte ich das Vergnügen, mich wieder mit Mark Twain zu beschäftigen, und dabei habe ich gelernt, dass, als er wieder auf Lesereise gehen musste, um den völligen Bankrott abzuwenden, seine Familie gegen eben diesen Namen – „Mark Twain“ – heftig aufbegehrte. „Wie ich diesen Namen hasse!“, schrieb seine Tochter Clara. „Ich will ihn nie wieder hören! Mein Vater sollte nicht damit zufrieden sein! Er sollte nicht unter diesem Namen bekannt sein! Er sollte sich als der große Schriftsteller zeigen, der er ist, nicht als komischer Mann. Komisch! Das ist alles, was die Leute in ihm sehen – einen Mann, der komische Reden hält!“

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Hier haben Sie, nur zum Spaß, ein paar seiner Sentenzen, von denen wir annehmen dürfen, dass sich seine Zuhörer beim Vortrag vor Vergnügen auf die Schenkel geschlagen haben, weil sie nichts davon auf sich bezogen:

„Die Schöpfung des Menschen war eine gute und originelle Idee, aber dann auch noch das Schaf zu erschaffen, war eine Tautologie.“
Oder: „Verschiebe nichts auf morgen, was ebenso gut auf übermorgen verschoben werden kann.“
Oder: „Es ist höchste eigenartig, dass körperlicher Mut in der Welt so gängig ist – und moralischer so selten.“
Oder: „Besser ein gebrochenes Versprechen als gar keins.“
Oder: „Es hat bisher nur einen Christen gegeben. Man hat ihn erwischt und gekreuzigt – gleich am Anfang.“
Oder: „Wahrheit ist das Kostbarste, was wir haben. Man muss sparsam damit umgehen.“ 

Aber es half natürlich alles nichts, „Mark Twain“ war pleite, hatte Schulden, wollte dafür haften, zählte auch zu den Stützen der Gesellschaft, so dass Nichtzahlen und Davonrennen keine Option für ihn war, und so bereitete er grummelnd die größte reading tour seines Lebens vor, ein ganzes Jahr Tingeln über fünf Kontinente mit mehr als 150 Auftritten, kein Witz. In einer schönen Bildbiographie habe ich die playbills gesehen, auf denen er angekündigt wurde, immer in irgendwelchen feinen Hotels, wie es sich für die Stützen der Gesellschaft gehört, immer ausverkauft, die Leute klasse angezogen und bester Stimmung, er selbst einer gegen alle, praktisch ohne Manuskript, er konnte anderthalb Stunden reden, Witze und Anekdoten erzählen und sehr, sehr geistreich sein.

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Eigentlich hieß er aber Samuel Langhorne Clemens. Seine Mutter hatte ihn „Sammy“ genannt, seine Frau und seine Freunde nannten ihn „Sam“. Was sonst? Wir dürfen „Mark“  – von Mark Twain – nicht als Vornamen verstehen. Mark twain! war ja der Ruf der Mississippischiffer, wenn die Wassertiefe stimmte, nämlich mindestens zwei Faden bzw. 3,70 Meter. Erst dann konnte so ein Kahn ohne Gefahr passieren. 

Jedenfalls. Sam war sechzig und hatte sich nicht etwa durch privaten Luxus, sondern durch hirnverbrannte Investitionen ruiniert, und nirgendwo mehr als bei dem Wahnsinnsprojekt einer zukunftweisenden automatischen Setzmaschine aus rund 18.000 Einzelteilen, deren Erfinder und Konstrukteur, James W. Paige, das komplizierte Ding aber immer wieder auseinander nahm, um es zu perfektionieren. So dass es am Ende tatsächlich niemals fertig wurde. So dass es auch niemandem Geld einbrachte. Und am allerwenigsten dem Mann, der am meisten hineingesteckt hatte, nämlich Samuel Clemens oder Sam. Im Jahr 1880 zum Beispiel hatte er die ersten 2.000 $ investiert, fünf Jahre später erwarb er die Hälfte des ganzen Projekts für weitere 30.000 $, und irgendwann musste er jeden Monat 3.000 bis 5.000 $ in den Traum von der besten Setzmaschine der Welt schaufeln.

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Seine Hoffnungen waren gewaltig: „Diese Maschine“, sagte er, „kann alles, was ein Mensch kann, außer saufen, fluchen und streiken!“ Am Ende, nachdem er noch einmal 160.000 $ aufgenommen hatte, musste er erkennen, dass sie etwas zu menschlich, ja geradezu mit erstaunlichen seelischen Komplexitäten ausgestattet war. Tja. Die Geschichte des technischen Fortschritts wird gern von der einfacheren Lösung geschrieben. Um uns übrigens von der heutigen Kaufkraft dieser wie peanuts anmutenden Dollarsummen einen Begriff zu machen, sollten wir sie mit 20 oder 30 multiplizieren, genau weiß ich es nicht. Vielleicht reicht es ja zu sagen, dass ein damaliger Durchschnittsamerikaner rund 500 $ jährlich verdiente. Bei Sam aber verschlang um 1880 schon die Haushaltsführung mit sieben oder acht Bediensteten 30.000 $. Wie gesagt, er zählte zu den Stützen der Gesellschaft.

Welche Gesellschaft er andererseits grauenhaft, verlogen, brutal, hinterhältig, militaristisch, stumpfsinnig und verheuchelt fand. Auch wenn er ein Entertainer und der bestbezahlte standup-comedian seiner Zeit war, auch wenn er den Beifall der Dummköpfe genoss und mit Vergnügen seinen ungeheuren Ruhm verwaltete: seine Schriften machen uns bezüglich seines Skeptizimus nichts vor.

Noch etwas, was Sie wissen sollten. Alles hat einmal ein Ende. Ein Buch. Ein Blog. Ein Leben. Sam wusste das genau. Seiner Frau zuliebe, so lese ich in der Briefsammlung Sommerwogen, ging er sogar in die Kirche, obwohl es ihn „schier umbrachte“. Seine Frau wiederum, Olivia, genannt Livy, verzichtete am Ende ihm zuliebe auf den Kirchgang, an dem ihr wirklich lag, weil sie (so lese ich in den sorgfältigen Anmerkungen dieses Briefbandes) „seinen vorgetäuschten Glauben durchschaute“. Ist das nicht schön? Und hier ihre Begründung: „Wenn du verloren bist, will ich mit dir verloren sein.“

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Abschließend, gleichsam als Wegzehrung, zumal uns Don Alphonso hier nun nicht mehr amüsieren wird, noch einige von Sams Sprüchen, mit denen er die Menschen auf unvergleichliche Weise unterhielt. Zum Beispiel:

„Ein runder Mensch passt nicht ohne weiteres in ein eckiges Loch. Man muss ihm Zeit lassen, sein Format zu ändern.“
Oder: „Ich mag Arbeit nicht – auch nicht, wenn sie ein anderer erledigt.“
Oder: „Nichts ist reformbedürftiger als die Gewohnheiten anderer.“
Oder: „Damals hatte ich Ideale. Ich habe sie überlebt.“
Oder: „Hunde sind Gentlemen. Ich hoffe, ich komme in ihren Himmel, nicht in den der Menschen.“


37 Lesermeinungen

  1. pardel sagt:

    Ach, die repräsentative...
    Ach, die repräsentative Funktion der Altherrenvereine (auch die staatsbildende, unterdrückende und kolonialistische) vermisse ich nicht, sie ist halt da. England und die USA zeigen beispielhaft, dass repräsentieren und alles andere auch ohne Akademie geht, will die alten Herren nicht für mehr Missstände verantwortlich machen, als man ihnen fairerweise vorwerfen kann. Ich habe mich nur gefragt, was machte den Duden so besonders. Nicht, dass ich seine ex-Sonderstellung als schlimm empfinde! Durchgelesen habe ich ihn nie, die Idee, ihn systematisch zu studieren, ist mir fremd. Wäre vielleicht ein guter Vorsatz. Nur, um wieder England zu bemühen (oder UK oder USA): dort gibt es mehrere Wörterbücher. Vermutlich haben die ein Verfahren, um sich zu einigen. Wieso war das in Deutschland anders? Was machte den Duden so besonders?
    Rente mit 67? Wie soll das gehen? Sind Sie nicht Freiberufler? Ich hingegen… O! So ein Zufall… Ich glaube, ich werde den Duden doch studieren. Was sage ich: studieren? Auswendig lernen!
    Gutdünken, welch schönes Wort! Nehme ich! Meuchelpuffer ist auch reizend. When I hear the word Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung I reach for my Meuchelpuffer!
    Mugabarru, das Model für die Koteletten bedankt sich für die freundlichen Worte. Er wohnte früher tatsächlich am Mittelmeer, aber es gab ihn sogar bei euch im Norden. Heute gibt es ihn nur in Doñana, zusammen mit dem letzten knapp hundert seiner Art. Stell dir vor, sie würden alle in deine Wohnung hineinpassen! Es wäre eng und nicht artgerecht, aber es ginge. Wenn kein Wunder geschieht, wird es ihn und seinesgleichen in 10 Jahren nicht mehr geben. Sag der Nachbarprovinz, Delphine sind schön und gut, aber im Süden Spaniens geht es für den Lynx pardinus ums nackte überleben. https://es.wikipedia.org/wiki/Archivo:Mapa_distribuicao_lynx_pardinus_2003.png

  2. abfeldmann sagt:

    hier ein hinweis aus einen...
    hier ein hinweis aus einen wunderbaren film, den wir gestern gesehen haben: Barney’s Version. laeuft in madrid. – unbedingt sehenswert.

  3. Dulcinea sagt:

    Stellen Sie sich einmal vor,...
    Stellen Sie sich einmal vor, geehrter pardel, Sie wären der Wörterbuchgott. Man tritt eines trüben Tages vor Sie hin und spricht: „O, großer pardel, welches Wörterbuch sollen wir denn nun nehmen im Zweifelsfall? Den Grimm vielleicht?“ Und Sie sprechen: „Grimm? Geht gar nicht. Viel zu lang und viel zu groß und viel zu schwer. Und der ‚Kleine Grimm‘? Der … ‚Taschengrimm‘? Tut mir leid, Jungs, nicht mit mir.“ Dann sagen die Bittsteller: „Wie wäre es also, weiser pardel, mit dem Wahrig?“ Eventuell lassen Sie den Bittsteller jetzt sogar köpfen, und jedenfalls donnern Sie: „Die deutsche Sprache kann einzig und allein wahr sein, aber nicht wahr-ig!“ „Also den Duden?“, fragen die Bittsteller bzw. deren Stellvertreter nun. „Ja, klar!“, sprechen Sie. „Gute Idee. Dudas? — Duden!“
    Es kann nur so gewesen sein, glauben Sie nicht?

  4. pardel sagt:

    Wörterbuchgott, Dulcinea? Oi...
    Wörterbuchgott, Dulcinea? Oi weh! Papst ist nicht mehr gut genug? Nun denn: Mit Ausnahme der Götter des aktiven Sports, des Frühaufstehens, der Kunststickerei und des Aufräumens gibt zwar es wenige Götter, die mir ferner stünden. Dafür bin ich mir nun sicher, dass Ihre Kinder sich in guten Erzählerhänden befinden und sich niemals langweilen werden, so lange Sie Zeit für sie finden. So in etwa muss sich die Geschichte wohl abgespielt haben, ganz sicher. Und mir wird plötzlich bewußt, dass das Wort „Duden“ nichts mit dem spanischen „dudar“, dem lateinischen „dubitare“ und schon gar nicht mit dem englischen „The Dude“ zu tun hat! Nach all den Jahren, wo ich dacht‘, der Name würde so schön passen!! Ich sah nicht, was war, sondern das, was ich dachte, sehen zu wollen! Ich bin jetzt verwirrt, diese Erkenntnis muss ich erst auf mich einwirken lassen.

  5. mugabarru sagt:

    Pardel, einen Gott des...
    Pardel, einen Gott des Frühaufstehens gibt es nicht. Dies wurde vom Oberteufel persönlich geschaffen, und dementsprechend sehen Frühaufsteher (wie ich) auch am Morgen aus. Schrecklich! Ich habe eine Creme gekauft die wie 8 Stunden Schalf wirken sollte. Glatter Betrug! Spar dir das Geld.
    Weisst du warum der lince ibérico in meiner Ecke ausgestorben ist? Seit Jahrzehnten wird öffentlich und privat geklagt: en Euzkadi no se f…. Das ist der Grund. Und scheinbar ist das auch der Grund für die ERC (enfermedad renal crónica), die die im Programa ex-situ gezeugten und geborenen Tiere heimsucht und die daran verenden. Eine der Thesen zum Thema deutet an, dass die Tiere in freier Wildbahn mehr sexuelle Kontakte haben, und deshalb immun gegen die ERC sind. Kann sein. Vielleicht sind es aber doch die Vitamine die den erkrankten Tieren verabreicht wurden.
    Schau dir mal das Foto von der Camada 2007 an, ganz besonders das Bild 10/27: „Dalai y Dama observan un gazapo“. Die Katze meiner Tante war mit 2 Monaten noch viel wilder. Sie wahr eine grossartige Jägerin. Mit den Jahren hat sie sich beruhigt. Bei den Leoparden sollen die cachorros auch viel wilder sein, weil ihre Instinkte noch ganz wach sind.
    https://www.lynxexsitu.es/fotos/fotosall.htm

  6. mugabarru sagt:

    Dulcinea, ich glaube ihnen die...
    Dulcinea, ich glaube ihnen die Geschichte vom Wörterbuchgott. Sie ist rational, logisch und verständlich, mit einem herrlichen touch Alice in Wonderland. Danke.

  7. pardel sagt:

    Da wird sich Ezquerra...
    Da wird sich Ezquerra Republicana de Catalunya freuen, wenn sie erfahren, dass sie, durch Mangel an Geschlechtsverkehr verursacht, zum Aussterben des Iberischen Luchses beitragen! Aber im Enrst, lieber mugabarru, deine Analyse ist vollkommen zutreffend: Mit solchen Nachwuchs wird es nichts mit dem Überleben. Zum Zuchtprogramm ex situ (dein link) will ich nicht zu viel sagen. Nur, dass es sich um ein staatliches Programm handelt. Ronald Reagan soll einst gesagt haben: „The eleven most frightening words in the English language are: I am from the government and I am here to help.“ Böser Populismus, enthält dennoch, wie immer bei Populisten, einen wahren Kern. Ich habe vor Monaten das Programm angeschrieben, ob sie denn evtl. Übersetzer brauchen könnten, ich würde gerne (umsonst!) helfen, ihre Arbeit im Ausland bekannt zu machen. Keine Antwort. Nicht einmal eine Absage. Sollte man spenden? Wozu? Es ist ja ein staatliches Programm, die sind satt. Den Tieren wird es wohl kaum helfen. Ihre genetische Vielfalt ist fast sicher schon unter der kritischen Schwelle gesunken, ihre Anzahl ist zu gering, Inzucht erscheint unabwendbar. Wenn man sie zusammen hält, stecken sie sich gegenseitig mit Krankheiten an. Wenn man sie getrennt hält, vermehren sie sich nicht. In freier Wildbahn werden sie von Autos überfahren oder sie verhungern. Im Gehege sind sie niedlich und verkommen zu Katzen-Knuts. Man weiss nicht, sollte man die Restbestände klonen oder ausstopfen?

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