In einem alten Song von Leonard Cohen kommt die Zeile vor: „We are ugly, but we have the music.“ Als ich vor Jahrzehnten an einem französischen Strand Peter Sloterdijks Kritik der zynischen Vernunft las, fand ich den Satz darin zitiert. Der Mann ist ja ein Kind der counter culture. Natürlich würde ich das heute ein wenig anders machen, Strände sind nicht dafür da, um die Kritik der zynischen Vernunft zu lesen, und zu viel Sonne schadet der reifen Haut. Aber hier in Havanna ging mir wieder auf, wie sich der Satz weiterdenken lässt: Arm, aber sexy! Das könnten die Kubaner und Kubanerinnen sich täglich sagen. Und besonders, wenn sie mit einem Schuss Bosheit (die ihnen andererseits fremd ist) in der Altstadt von Havanna in der Bar Floridita stünden und sähen, wie sich die Touristen dort aufführen.
Nehmen wir einen beliebigen Mittag. Gleich links vom Eingang des Floridita spielt die vierköpfige Band: Geige, Percussion, Gitarre und Bass. Alle Tische sind besetzt, also zwängen wir uns an den Tresen. Einer von uns kennt den Barmann von vielen Besuchen, man schüttelt sich durchs Gewühl hindurch die Hände, lacht, macht sich Komplimente („Du siehst prima aus, wie machst du das bloß?“ – „Arbeit, Mann, Arbeit!“ – „Aber die Bräune?“ – „Noch mehr Arbeit, Mann!“), dann stehen die Daiquiris vor uns, und wir können gar nicht anders, als das Spektakel in unserer unmittelbaren Nähe zu betrachten, denn dicht neben uns, mit Körperkontakt, drängen sich immer wieder Leute vorbei, die sich vor der am Ende des Tresens hockenden Bronzeskulptur von Papa Hemingway fotografieren lassen wollen.
Ich versichere Ihnen, dass ich in diesem Augenblick so wenig Bosheit empfinde wie die bewunderswerten Kubaner, ich will nur beschreiben, was ich gesehen habe. Eine blonde Amerikanerin unbestimmten Alters drängt sich durch unsere Gruppe, stellt sich vor Hemingway, als wäre sie seine Tochter, und signalisiert ihrem Mann (ihr Mann steht irgendwo hinter mir), dass er die Kamera zücken soll. Der Mann tut es. Die Frau lächelt, und weil ich ziemlich genau in ihrer Blicklinie stehe, wirkt es, als lächelte sie mir zu. Ich erinnere mich meiner guten Erziehung und lächele zurück. Das bemerkt sie, und jetzt lächelt sie, so scheint mir, sowohl ihrem Mann wie auch mir zu, und dann lehnt sie den Kopf gegen Hemingways knallharte Brust (die Skulptur ist lebensgroß, Papa in seinen späten Jahren war kein Leichtgewicht), und ihr Mann drückt auf den Auslöser.
Kaum ist das geschehen, kommt eine zweite blondierte Amerikanerin ähnlich unbestimmten Alters (später sehe ich, dass sie alle zusammen gehören) und durchläuft dieselbe Prozedur, aber weil die Band zu meiner Linken jetzt etwas Schnelles spielt, geht sie tänzelnd durch unsere Reihen, mit gehobenen Armen und engagiertem Hüftwackeln. Sie erkauft sich auf diese Weise das Wegerecht, denn wer wollte eine Frau aufhalten, die sich in ihrem Urlaub so fabelhaft amüsiert? Nicht ich! Und tatsächlich teilen sich vor ihren kessen Tanzschritten die Wasser, sie erreicht die Skulptur und wirft sich dem wehrlosen Hemingway an die Brust. Mehr, sie tätschelt diese Brust und blickt girlishly zu ihm auf, und als sie das ein paar Mal getan hat, schaut sie zu ihrem Mann hinüber und scheint mit Blicken forcierter Fröhlichkeit zu fragen, ob er nicht endlich die Kamera heben und abdrücken will? Jetzt beugt sie sich zu Hemingway hinauf (sie ist nicht groß) und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Wie schön, dass Menschen sich vergessen können, wir sind doch in Kuba! Wie schön, dass die Amerikanerin in diesem Augenblick nicht an die zwei- bis dreihundert Tausend Wangenküsse denkt, die in den letzten Jahrzehnten auf diese geduldige Wange niedergegangen sind!
Jetzt sind die Ehemänner an der Reihe. Der eine trägt ein Polohemd, das über dem Bauch spannt, und hat den pragmatischen, humorfreien Blick eines Selfmade-Man aus Hackensack, New Jersey. Er stellt sich vor Hemingway, als wollte er so hart aussehen wie der. Das gelingt nicht, und der Ehemann kneift einfach die Lippen zusammen und wartet, bis seine Frau getan hat, was sie offenbar unbedingt tun muss, damit dieser Urlaub ein Erfolg wird. Man will nach der Heimkehr doch etwas zu zeigen haben.
Während all das abläuft, sitzt neben uns am Tresen, eingekeilt zwischen unserer Gruppe und den fotowütigen Amerikanern, ein rundlicher Mann und trinkt konzentriert seinen Daiquiri. Ich bin sicher, er macht das öfter und plaudert an ruhigeren Tagen mit dem Barmann. Als das Shooting vorbei ist, schaut er kurz auf. Unsere Blicke begegnen sich. Dann macht er eine winzige Geste in Richtung Barmann, und vierzig Sekunden später hat er seinen nächsten Daiquiri.
Ich habe nichts gegen Touristen. Manchmal bin ich selbst einer. Manchmal wünschte ich, ich wäre einer. Aber eben nur manchmal. Am Samstag vormittag zum Beispiel war ich froh, in der Hülle von Sanchos Esel zu stecken. Da habe ich mich lange mit einem jungen kubanischen Fotografen unterhalten und mir seine Bilder angesehen. Bilder aus der kubanischen Gegenwart. Einige von ihnen möchte ich Ihnen demnächst zeigen. Wir veranstalten hier eine kleine Ausstellung. Damit das mit den Kuba-Klischees und dem ollen Hemingway endlich aufhört.
Denn ein Kuba ist das der Alten. Ein anderes das der Jungen. In dieser Beobachtung steckt mehr, als man auf den ersten Blick ahnen würde. Denn nicht nur die Machthaber sind alt, auch die Revolution ist es, die Gebäude, die Gedanken, die Methoden, die Mythen. Es gibt aber auch junge Menschen in Havanna, von denen wir naturgemäß wenig hören, denn sie werden nicht auf die Straße ziehen oder Barrikaden stürmen wie die jungen Ägypter und die jungen Libyer. Das scheint ihnen nicht zu liegen. Ich glaube, die meisten von ihnen warten. Vielleicht warten sie darauf, dass sich die Sache biologisch löst, dass die Alten ihren Gespenstertanz vor Erschöpfung abbrechen und lautlos umsinken. So lange kann es ja nicht mehr dauern. Doch es gibt auch andere, und die tun etwas. Der Fotograf, von dem ich gerade sprach. Oder der Schriftsteller, der vom Staat gegängelt wird und seine Bücher für die Schublade schreibt, weil er auf ein literarisches Gedächtnis nach der Abdankung der Apparatschiks vertraut. Oder der Maler, der auf die Behörden pfeift und sein ganzes Viertel anmalt. Davon lohnt sich, zu erzählen.
[ Fotos : Reuters ]
Vielen Dank für diese schöne...
Vielen Dank für diese schöne Erzählung, Sanchos Esel, da warte ich wirklich sehr gern noch ein wenig länger auf meine jungen Kubaner(innen)! Ich warte und hoffe! Espero! Und danke auch, mugabarru, aber ich habe ebenfalls keinen wireless-Mojito erhalten. Das war bestimmt nur eine Ausrede des Gastgebers, das mit dem Doppelklick. Danke, daß zumindest Sie für uns gegessen und getrunken haben!
Ich habe übrigens noch eine andere Theorie, was das Alter und die kubanische Revolution anbelangt. Im Alter, das wissen Sie ja, wird man immer kleiner. Ernest Hemingway, Leonard Cohen, Peter Sloterdijk — der Mensch schrumpft! Und je älter wir werden, desto mehr. So wird es vermutlich auch der kubanischen Revolution gehen und sie wird, irgendwann, mit ihren Trägern einfach weggeschrumpft sein. Das ist die Bandscheibenlösung. So lange kann es ja nun wirklich nicht mehr dauern!
Wo ist eigentlich pardel?...
Wo ist eigentlich pardel? Pardel? Wo sind Sie?
Danke für diesen nüchternen...
Danke für diesen nüchternen Blick. Sehr treffend formuliert: „Denn nicht nur die Machthaber sind alt, auch die Revolution ist es, die Gebäude, die Gedanken, die Methoden, die Mythen.“ Auch die Fotos sind gut gewählt. Bleiben sie bitte nüchtern, und erzählen sie uns weiter vom Fotografen und dem Maler. Der Schriftsteller sollte sich, vielleicht, seine Schublade noch einmal überlegen. Es könnte ja sein, dass „danach“ weitere 30, 40 oder 50 Jahre vergehen müssen bis das Interessse am Gedächtnis, sei es historisch oder literarisch, keimt.
<p>Der Fotograf kommt als...
Der Fotograf kommt als nächstes, mugabarru. Ich möchte einen Ausschnitt aus seinem Werk zeigen. Und dazu etwas erklären, aber nur kurz. Más que nada werden Sie Bilder sehen. Heute sagt ja alle Welt, ohne Bilder läuft nichts. Also gibt es auch bei Sanchos Esel Bilder.
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Danke für die Schrumpfungstheorie, Dulcinea. Während ich in Kuba war, machte ja Jimmy Carter einen Besuch bei Raúl und Fidel. Carter schien mir auch ziemlich geschrumpft. Es ist, wie Sie sagen. Die verrinnende Zeit kennt kein Erbarmen.
Tja, Dulcinea, also sind wir...
Tja, Dulcinea, also sind wir beide um den wireless-mojito betrogen worden. Wir sollten es unserem Gastgeber verzeihen, in der Hoffnung, dass sein schlechtes Gewissen ihn dazu zwingt weiter, nüchtern, über das junge Cuba zu berichten. Denn ich befürchte, dass wenn alles alte schrumpft und nichts neues im keimen ist, dass… nun, dass es halt noch hässlicher kommen könnte. Und das wünsche ich den cuban@s wirklich nicht.
Übrigens, ich habe mich sofort nach der Lektüre ihres posts gemessen. Noch schrumpfe ich nicht. Aber sie haben mich erschreckt. Ich bin eben leicht beeindruckbar. Bitte nehmen sie Rücksicht darauf.
Herr Ingendaay, Bilder sind wichtig, doch gehöre ich nicht zu denen die glauben: una imágen vale más que mil palabras. Da kann man sich ja auch sehr täuschen. Aber das Thema hatten wir ja schon mal. Erinnern sie sich an das Bild in dem ich baskische Küste sah, obwohl es ihre dehesas waren? Eben!
Pardel, die Nachbarprovinz ist...
Pardel, die Nachbarprovinz ist bereit ihre Delfin-Belästigung auszugleichen. Wir sind dabei eine Reise nach Doñana zu organisieren, um uns besser über das Thema „linces· zu informieren. Ohne Presseausweis ist dies, selbstverständlich, nicht so einfach. Aber wir sind fest entschlossen! Auch wenn es etwas länger dauert, ich informiere.
Virtudes, sollten sie nicht – ab un zu wenigstens – etwas arbeiten? Liebesgeschichten sind ja schön, wir gönnen sie ihnen, aber sie haben ja auch Verpflichtungen.
James, Raúl und Fidel hat man...
James, Raúl und Fidel hat man wahrscheinlich nur erkennen können, weil sie zu dritt waren.
N'Abend, Herr Ingendaay,...
N’Abend, Herr Ingendaay, schwer zu sagen, warum Sie mich an Antonio Lobo Antunes oder Javier Marias erinnern. Im übrigen gehören Ihr Blog zu den paar, die ich nach 10 Jahren Onlinewelt überhaupt noch konzentriert lese; weil ich nicht kommentiere, heißt das nicht, dass ich nicht in der dritten oder vierten Reihe sitze, wissen Sie. Ihre semiliterarischen Blogs sind kleine Perlen, ich habe solche Blogs immer schon lieber gehabt als alle Minifeuilletons und Journalistenbootcamps zusammen. Sie sollten Kolumnist werden. Aber da ich keine Zeitungen mehr kaufe, verlören Sie mich als Leser, und das wollen wir doch nicht; also müssen Sie entweder hier weitermachen oder mehr Bücher schreiben. Bücher kaufe ich noch viele.
Netter Artikel ueber Havanna....
Netter Artikel ueber Havanna. Nur, wie kommen die blondierten Amerikanerinnen nach Havanna? Vielleicht waren es Englaenderinner oder english sprechende Hamburgerinnen. Es ist einem US Buerger immer noch nicht erlaubt nach Cuba zu fahren!
Sehr schöne Bilder, Don Paul....
Sehr schöne Bilder, Don Paul. Ich freue mich auf mehr. Und auf die Fortsetzung der Geschichten. Weiterhin viel Spass und mehr Erfolg bei der Suche nach besseren Mojitos.
Heute habe ich übrigens auf Bildern gesehen, dass es eine lebensgrosse Hemingway Statue auch in einer Bar in Pamplona gibt.