Schon vor Jahren wollte ich etwas über einen Maler sagen, dessen Kunst man auf den ersten Blick nicht ansieht, aus welcher Zeit sie stammt. Aber wie schon Borges wusste, kommt es nicht nur auf das an, was wir dort sehen (oder lesen), sondern auch, mit welchem Bewusstsein es geschaffen wurde, was notwendigerweise unsere Betrachtungsweise dieser Kunst lenkt und verändert. Betrachten Sie also mit mir das erste Bild des niederländischen Malers Bart Koning, das ich heute zeigen möchte.
Sanchos Esel!, werden Sie sagen. Ja, das habe ich auch gesagt. Allein deswegen musste dieses Gemälde ganz am Anfang stehen. Zwar würde man von der Malweise wohl kaum auf die Epoche schließen können, in der das Bild entstand, doch durch das Übrige der Szenerie haben wir einen Schlüssel in der Hand. Der Esel steht in einer Box ohne Stroh, also in einem künstlichen Innenraum, gewissermaßen in einem Vorführraum, der weniger für den Esel geschaffen worden zu scheint als für uns, die Betrachter. Wir sollen wissen: Dieses Bild handelt nicht nur von einem Gegenstand, sondern auch von der Rezeption dieses Gegenstands. Von links fällt Licht herein, das definitiv Kunstlicht ist. Die Atmosphäre atmet eine gewisse Artifizialität, etwas behutsam Arrangiertes und Gemachtes. Die stilistische Annäherung an den beseelten Realismus der alten flämischen Malerei scheint also nur die eine Hälfte eines Spiels mit den Wahrnehmungsgewohnheiten des Betrachters zu sein. Ja, durch den wunderbaren Pinselstrich und das unschuldige, friedliche Tier weckt das Gemälde eine gewisse Nostalgie – doch die Künstlichkeit der Szene stellt sie zugleich wieder in Frage. Wer sind wir als sehnsuchtsvoll erinnernde, als träumende Wesen?
Der Kasten ist eine interessante Methode, die Dinge in anderem Licht erscheinen zu lassen. Läge dieser Teddybär im Arm eines neunjährigen Mädchens, würde er uns nicht dasselbe sagen wie jetzt. Denn hier und jetzt liegt er mit glasigen Augen in einem Kasten, der für ihn angefertigt zu sein scheint – als perfekte Passform oder körperbetontes Gefängnis. An diesem leicht unheimlichen Bild berührt mich einerseits die Meisterschaft, mit der Bart Koning die Materialität und Körperlichkeit des Stoffbären wiedergibt – und andererseits die beunruhigende Korrespondenz zwischen den roten Punkten inmitten von Beige und Braun: die zerschlissenen Hände und Sohlen, der zugenähte Mund und die blutunterlaufenen Augen. Ein ebenso unschuldiges wie teuflisches Bild, die Balance zwischen Kinderstubenidyll und dem Erschrecken über Vergessen, Vergänglichkeit und Tod. Macht es mich traurig? Macht es mich friedlich? Zieht es mich hinunter? Hinauf? An was erinnert mich dieser Teddybär? Ich wünschte, ich käme darauf! Und wie geht es Ihnen, wenn Sie an Ihre alten Stofftiere denken, an die Räume, Türen und Wände der Kindheit?
Mit diesem Gemälde fing meine Bekanntschaft mit Bart Koning an. Ein gemeinsamer Freund hatte ihm meinen ersten Roman gegeben, und Koning setzte das Buch in eines seiner Stillleben. Er ließ den Schutzumschlag altern, den Buchblock fleckig und das Lesebändchen fransig werden, alles Dinge, die einem Autor gefallen, denn sie erinnern ihn an die Hoffnung, sein Roman möge so viel gelesen werden, bis er so aussieht wie das abgegriffene Exemplar neben den beiden schönen Zitronen. Vergessen Sie nicht den Zettel, der unter dem Buch liegt. Vielleicht hat sich dort jemand etwas notiert. Oder es ist die Einkaufsliste vom Vortag. Es gibt Menschen, die haben lieber solche Lesezeichen als ein Stoffbändchen.
Stilleben sind eine von Bart Konings Spezialitäten. Bei diesem Gemälde sollte man nicht nur auf die Frucht achten, sondern auch auf die Holzbank, auf der die Schale steht, in welcher die Zitrone ruht. (Sie sollten selbstverständlich auch auf die Schale achten.) Es ist dieselbe Holzbank wie in dem Gemälde zuvor. Sie habe seinem Großvater gehört, erzählte er mir vor Jahren.
Man könnte sich sogar vorstellen, Bart Konings Großvater habe auf dieser Bank gesessen und in Ruhe einen Apfel geschält. So wie sein Enkel hier einen Apfel zerteilt hat.
Bei anderer Gelegenheit, so könnte man sich weiter vorstellen, legt der Maler vielleicht ein Tuch auf die Bank, damit das, was darauf steht, feierlicher aussieht oder besser zur Geltung kommt. Sehe ich mir diese Pflaumen an, könnte es aber auch einen anderen Grund geben: die Lust des Malers, ein weißes Tuch mit Bügel- und Liegefalten zu malen. Was uns an ein altes Gesetz der Malerei erinnert: Manche Gegenstände gelangen nur aufs Bild, weil sie so höllisch schwer zu malen sind.
Auch dieser Wandtisch ist ein älteres Möbel. In Bart Konings Bildern sind immer Spannungen zu spüren. Die symmetrische Komposition und die absolute Stille, die auf der Leinwand herrscht, beides kontrastiert mit der Fülle an Leben, Speisen, Lärm und alten Wischlappen, die dieses Möbel schon erlebt hat. Es ist wie Zeit, die in Bernstein gegossen wurde, Vergangenheit in kristallisiertem Zustand.
Etwas Ähnliches gilt für diese herrliche alte Holzkiste, von der ich nicht weiß, ob sie ebenfalls dem Großvater des Malers gehört hat. Sie hätte jedenfalls zu ihm gepasst. Der Raum als Nichtraum, als freie Fläche, die allein Licht und Schatten aufnimmt, ist schon bei Velázquez zu bewundern, auch bei Manet, der sich das vermutlich im Prado bei Velázquez abgeschaut hat. Nichts lenkt den Blick ab. Das Objekt – Mensch oder Ding – erscheint zunächst wie ausgestellt, bis man begreift, dass in dieser Exponiertheit Ruhe und Intimität gewahrt bleiben, als dürften wir sehen, ohne gesehen zu werden. Es ist ein Effekt, den Bart Koning immer wieder erzielt. Wir schauen, doch das Bild bleibt still, unerreichbar, denn unsere Blicke sind das Eine, die alte Holzkiste ein Anderes.
Natürlich stammt auch der Bonsai, der letzten Monat in diesem Blog zu sehen war, von Bart Koning. Ich gebe zu, dass ich die Blog-WG damit ein wenig in die Irre führen wollte. Der Miniaturapfelbaum wirkt ja tatsächlich wie ein Foto. Am Hintergrund wäre am ehesten zu erkennen gewesen, dass es sich um Malerei handelt, aber geschenkt. Man achtet nicht immer auf den Hintergrund. Übrigens heißt dieses Bild „Der kleine Frühling“. Wer mehr über Bart Koning erfahren möchte, kann das auf seiner Webseite tun. Er lebt und arbeitet in Krefeld, nahe der deutsch-holländischen Grenze. Inzwischen dürfte Ihnen aufgefallen sein, dass er Tiere, Pflanzen und Dinge malt, aber keine Menschen. Mit einer kleinen Ausnahme.
Ich schließe mit einem seiner berühmtesten Bilder, das ich schon mal in einer Ausstellung sehen durfte: „Ein treuer Geselle“. Es ist lebensgroß. Ein Niederländer und sein Fahrrad, könnten Sie denken, wie originell, aber darum geht es weniger. Es ist eher so, dass dieser Künstler – wie alle – nach Wegen sucht, heimlich sein Selbstporträt zu malen. Und auch wenn die Vergrößerungsmöglichkeit dieser Webseite nicht ausreicht, ihn in der Fahrradlampe tatsächlich zu identifizieren, sage ich Ihnen: Da steckt er. In dieser Fahrradlampe, einem Stück Metall, an dem wir gewöhnlich vorbeischauen, spiegelt sich der niederländische Meister Bart Koning.
Die Aufschrift auf dem Fahrradrahmen, die Sie im Bild (oder Foto) unten sehen, war mir bisher auch noch nicht aufgefallen. Gerade jedoch stelle ich mir vor, dass der Teddybär in seinem Kasten oder Sarg mehr als zwei Meter lang ist und damit größer als dieses Fahrrad. Woraus wir mindestens ersehen, dass Bart Konings „Realismus“ fette Anführungsstriche verdient.
[ Fotos : Bart Koning ]
Feiner Trick mit dem Bonsai....
Feiner Trick mit dem Bonsai. Gut, dass wir keine Spielverderber sein wollten.
Allerdings ist Velázquez nicht im Spiegel – im Spiegel, das sind wir. Die Zuschauer. Ein Mann und eine Frau unbestimmten Alters, diffus gezeichnet, damit es möglichst immer gut passt. Leider konnte der Maler nicht ahnen, wie wir uns heute kleiden würden, der Effekt ist nicht mehr so gut (also realistisch und daher verstörend), wie er einst gewesen sein muss. Es wäre lustig, sich wie die beiden zu (ver)kleiden, um sich dann vor das Bild zu stellen.
Der Teddybär ist genial. Echt creepy! Ich nehme an, die Bilder sind nicht ganz billig?
<p>Völlig richtig, pardel. So...
Völlig richtig, pardel. So rächt sich, dass ich mir die letzten Male im Prado immer van der Weydens Kreuzabnahme und nicht mehr die Meninas angesehen habe! Werde den Satz abändern müssen, aber jetzt spielen sie schon Fußball! Raúl!
@pardel Was ist teuer, was ist...
@pardel Was ist teuer, was ist billig? Glücklicherweise besitze ich einige kleinere Stillleben dieses bemerkenswerten Künstlers und die Preise sind (noch) moderat. Ich hoffe aber, dass sich das ändert 🙂
Kleine Ergänzung zum...
Kleine Ergänzung zum Teddybären. Format des Bildes: 110 x 220 cm !
Vorne sind die blauen ja grade...
Vorne sind die blauen ja grade ordentlich abgemeldet, nach anfänglichen, erfrischenden Attacken. Neuer Held die Null. Wenn jetzt kein Wunder passiert, ist ein Wunder nötig. Keep the spirits up!
Aber nicht doch! Der Satz ist...
Aber nicht doch! Der Satz ist gut, der Gedanke dahinter stimmt. Die Realität muss nicht immer recht behalten. Und wenn Sie den Satz ändern, ergibt mein Kommentar doch keinen Sinn mehr. Und jetzt weiter mit der zweiten Halbzeit, noch steht es unentschieden. Spannend ist es!
Aus der Traum....
Aus der Traum.
Davon abgesehen, daß ich auf...
Davon abgesehen, daß ich auf Bild drei auch einen Menschen sehe, möchte ich sagen, daß ich mich zutiefst verletzt fühle. Nicht wegen Schalke, obwohl rouleur natürlich mein volles Mitgefühl gilt, sondern der Bemerkung wegen, wir hätten beim Betrachten des Bonsaibäumchens dem Hintergrund des Bildes keine Beachtung geschenkt. Das können Sie gar nicht wissen, Sanchos Esel, und ich bin beleidigt. Jetzt sehen Sie zu.
pardel, die Gedanken hinter...
pardel, die Gedanken hinter meinen Sätzen stimmen immer, auch wenn alle Einzelheiten falsch sind. Ich danke für das Vertrauen. Hiermit bekräftige ich außerdem, dass pardels Kommentar viel Sinn ergeben hat. Die Realität musste sich dem Kommentar anpassen. Und letztens kommt doch direkt nach Ihrem Kommentar der meine. Die Sache ist also selbsterklärend. (Es gäbe auch noch die Möglichkeit, Ihren Kommentar abzuändern, aber das fände ich schade.)
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Ein Bekenntnis: Nachdem ich erfahren hatte, dass Bart Koning mein Buch in ein Stillleben getan hatte, habe ich mir das Gemälde erst angesehen, dann gekauft. Das war vor fünf Jahren. Hängt ganz in meiner Nähe.
Dulcinea, ich wollte niemanden...
Dulcinea, ich wollte niemanden verunglimpfen. Wirklich nicht. Vielleicht sind Sie ein wenig streng mit mir und meinem kleinen Bezeichnungsspiel. Ich sagte seinerzeit, der Bonsai sei „nicht mein Foto“ und sprach unmittelbar danach zweimal von einem „Bild“. Ihr Kommentar sprach dann von einem „wunderschönen Foto“ (was ja zweifellos stimmt), während HenryCharms wiederum von einem „Bild“ sprach. Wie fanden Sie denn den Hintergrund, Dulcinea? Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen.