Sanchos Esel

Das Duell oder Möge der Bessere gewinnen

Hat er es absichtlich getan? Dann wäre er ein glänzender Schauspieler. Hat Mariano Rajoy im Fernsehduell sein Gegenüber Alfredo Pérez Rubalcaba mit Vorbedacht „Rodríguez Rubalcaba“ genannt, um dessen Verbandelung mit Zapatero offensichtlich zu machen und auszudrücken, der sozialistische Spitzenkandidat sei am 20. November unwählbar? Ich weiß es nicht. Die spanischen Kommentatoren in Radio und Presse wissen es auch nicht. Einer mutmaßte, es sei Taktik gewesen. Die indirekte Form der Attacke würde für den Ironiker Rajoy sprechen. Es war einer der witzigsten Momente in der hundert Minuten langen Debatte vom Montagabend.

Ansonsten konnte man allerlei Gegenteiliges hören und lesen. Im Fernsehen hieß es, die Debatte sei niveauvoller gewesen, als man habe erwarten dürfen. Das war sie wirklich. Beide Kandidaten sprachen in beeindruckendem Tempo, Rajoys Papiergeraschel und ständiges Nachlesen einmal beiseitegelassen. Am nächsten Tag in den Zeitungen klang es schon anders. Die Sache sei doch längst entschieden gewesen, nichts zu holen für Rubalcaba, Rajoy habe nur auf Ballhalten spielen müssen. Die Fußballmetapher tauchte öfter auf. Rajoy, so schrieb die ihm nicht so gewogene Presse, habe sich damit begnügt, „die Bälle aus dem Strafraum zu schlagen“. Das habe ich anders erlebt. Rajoy hat mit seinen Bemerkungen einige Treffer gelandet.

Rubalcabas inquisitorisches Nachfragen hingegen, das ohne Antwort blieb, kann man auf zweierlei Weise deuten. Einmal als Eingeständnis der Schwäche, des Nachtretens, des Bewusstseins der eigenen Bedeutungslosigkeit, wie es die konservative Presse einschätzte. Oder aber – wozu ich neige – als mutige letzte Schlacht vor dem Umzug auf die Oppositionsbank, genauer: als Beweis des Kampfgeistes, dessen die PSOE, sollte sie wirklich in der Opposition landen, so dringend bedarf. Ich kann nicht sagen, dass der Zeigefinger, der öfter in Richtung des PP-Kandidaten stach, mir besonders gut gefallen hätte. Diese Geste gehört sich nicht. Aber gut. Die Rolle, die der listige Parteistratege Rubalcaba in Zukunft spielen wird, ist völlig offen. Ich kann mir niemanden in der PSOE vorstellen, der an diesem Abend besser ausgesehen hätte.

Mein stärkster Eindruck war: Respekt vor beiden. Ich habe eine Schwäche für eher uncharismatische Politiker, deren Gesichter schon grau vom Aktenstudium sind, gezeichnet von unzähligen parlamentarischen Schlachten. Die Zeitung ABC hatte das schönste Titelfoto der beiden. Man muss gar nicht genau hinschauen, man erkennt auf den ersten Blick: Hier kommen zwei schwer gezeichnete Arbeiter der Politik. Die Anhänger haben es honoriert. Natürlich feuern sie ihren Mann auch dann noch an, wenn die Schlacht schon entschieden scheint. Als Rubalcaba nach dem Ende des TV-Duells in der Parteizentrale eintraf, skandierten die PSOE-Anhänger „Se nota, se siente, Alfredo presidente!“

Im Fernsehen hieß es, in den Minuten vor der Debatte hätten die beiden Real-Madrid-Fans Rajoy und Rubalcaba über den 7:1-Sieg ihrer Mannschaft vom Vortag geplaudert. Natürlich haben sie sich da auch geduzt, wie man es in Spanien so schnell tut. Dagegen wirkte das ständige „usted“, „Señor Rajoy“ oder „Señor Rodríguez Rubalcaba“ in der Sendung etwas komisch. Phasenweise gab es Spannung, wenn aus den einstudierten Monologen ein offener Schlagabtausch wurde. Rubalcaba war in diesen Augenblicken der Aggressivere, unterbrach häufiger und sprach einfach weiter, obwohl seine Redezeit schon um war. Viel gebracht hat es am Ende nicht, doch die Botschaft an die eigene Partei war unüberhörbar. Sie lautete: Findet erst mal einen, der den PP-Chef so unter Druck setzen kann wie ich.

Möglicherweise war seine knappe Niederlage das Beste, was zu holen war. „Rajoy gewinnt mit minimalem Vorsprung“, titelte El País. Mit dieser Überschrift wären die Sozialisten am 21. November sicherlich hochzufrieden. Auch La Vanguardia sah leichte Vorteile bei Rajoy, aber nicht mehr.

Einige konservative Kommentatoren dagegen wollten einen haushohen Sieg des PP-Kandidaten erlebt haben, und so zeigt es auch eine etwas altmodische Karikatur in ABC. Von Fußballmetaphern will sie nichts wissen, es müssen schon Boxer her. Lustig, sich vorzustellen, dass sich dafür wirklich jemand hinsetzt und diese Männchen mit Knollennasen und Boxhandschuhen zeichnet.

Dass nicht über ETA gesprochen wurde, ist gut. Es hättte niemandem genützt außer den Terroristen selbst. Dass nicht oder nur schematisch über das spanische Immobiliendesaster gesprochen wurde, könnte sich allerdings rächen. Seit langem schon warte ich auf ein paar selbstkritische Gedanken über die Ursachen des Absturzes und Entwürfe für ein gesünderes, nachhaltigeres Konzept der spanischen Immobilientätigkeit. Aber von Nachdenken keine Spur. Alles, was ich bisher ausmachen kann, sind überzogene Hoffnungen auf einen Neubeginn, der sich bisher nicht einstellen will.

Ein letztes Wort zu Manuel Campo Vidal, dem Mann in der Mitte. Keine Ahnung, wie man sich fühlt, wenn man vor zwölf Millionen Fernsehzuschauern einfach nur mit am Tisch sitzt und praktisch nicht eingreift. Er sei kein Interviewer gewesen, sagte er, sondern Moderator. Das sei nun einmal das Format, das den Leuten gefalle. In allen Äußerungen, die ich gelesen habe, bewahrt Campo Vidal absolute Neutralität. Twitter-Kommentare, die El País auflistet, spotten, der Mann habe keinen schlechten Job: alle vier Jahre zwei Stunden arbeiten. Andere schlagen vor, ihn gleich bis zum nächsten TV-Duell 2015 ins Wachsfigurenkabinett zu tun. Ich selbst halte es eher mit seiner bemerkenswerten Äußerung auf die Frage, welcher der beiden Kandidaten gewonnen habe: „Das darf ich nicht sagen. Auf ihre Weise haben beide gewonnen, obwohl es sein könnte, dass der eine mehr gewonnen hat als der andere.“

Prickelnd, stimmt’s? Es verspricht eine spannende Wahl zu werden.

                                                                  [ Fotos : AFP, Reuters, ABC, El País ]

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