Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Frauen, die an Stränden leben

| 32 Lesermeinungen

Eigentlich wollte ich etwas über die bedrohte spanische Buchkultur und den galoppierenden Werteverlust des Abendlandes schreiben, was Sie sicherlich ziemlich überrascht hätte, aber dann kam die Wahl zur „Miss España" dazwischen.

Eigentlich wollte ich etwas über die bedrohte spanische Buchkultur und den galoppierenden Werteverlust des Abendlandes schreiben, was Sie sicherlich ziemlich überrascht hätte, aber dann kam die Wahl zur „Miss España“ dazwischen. Ich will damit nicht sagen, dass ich mir diese Wahlen angesehen hätte. Ich habe genug von Wahlen. Ich habe nur in der Online-Ausgabe der Zeitung La Vanguardia einen entsprechenden Artikel gelesen und mir das Video dazu angeschaut. Und bei diesem Video dachte ich dasselbe, was die meisten von uns wohl denken, wenn sie so  etwas sehen. Ich dachte: Diese Frauen, die sich letzten Sonntag in Sevilla zur Miss-Wahl präsentiert haben, sehen ja alle gleich aus! Das ist ungefähr so, als wären alle spanischen Parteien vorletzten Sonntag mit demselben Programm angetreten!

Wie, das wurde schon einmal gesagt? Ist sattsam bekannt? Die weltumspannende Tyrannei eines industriell fabrizierten Schönheitsideals? Mit high heels, riesigen lashes, gefrorenem Lächeln und diesem Schlankheitswahn bis zur Magersuchtsgrenze? Nun, vielleicht, mag sein. Nur auf mich hat das alles völlig neu gewirkt, was ich in diesem Filmchen gesehen habe, und da habe ich mir gedacht, rufe ich mal unsere Bildredaktion an und bitte um ein paar honorarfreie Bilder von dieser erstaunlichen Veranstaltung, damit die Freunde und Freundinnen von Sanchos Esel sich ein Bild machen können.

Bild zu: Frauen, die an Stränden leben

Aber die Bildredaktion sagte: „Es gibt keine honorarfreien Bilder.“
„Wie“, sagte ich. „Es gibt keine Bilder?“
„Nein.“
„Bei einem Ereignis, wo alle Welt nur glotzt … wo es nur auf die Bilder und nichts anderes ankommt, von diesem Event gibt es keine Fotos?“
„Nein“, sagte die außerordentlich freundliche Dame unserer Bildredaktion. „Die dpa zum Beispiel war nicht da.“
Ich dachte: Da braucht man mal die dpa, und sie ist nicht da? Was ist denn nur mit der dpa los? Mag die dpa keine hübschen Frauen mehr? Oder hat die dpa schon vorauseilend eine größere Sinnlosigkeitsattacke erlitten und daher gleich auf die Sache verzichtet?

Bild zu: Frauen, die an Stränden leben

Aber Sanchos Esel gibt nicht so schnell auf. Und ich dachte mir, rufe ich mal bei „Miss España“ an, der Organisation, und frage die Leute dort, ob sie mir – „Hier spricht die seriöse deutsche Presse“ – ein paar schöne Fotos von ihrem Miss-Wettbewerb in Sevilla schicken können. Das war am Montag um 12:30 Uhr. Ich wählte also die Nummer, und eine nicht wirklich nach Miss España klingende Stimme vom Band klärte mich darüber auf, dass dieses Telefon werkstags von 9 bis 14 Uhr und von 16 bis 19 Uhr oder so ähnlich besetzt sei. Dann sagte die Stimme noch, Nachrichten könnten nicht hinterlassen werden. Ich schaute auf die Uhr. Na gut, dachte ich bei mir, vielleicht sind alle noch in Sevilla, die neue Miss España feiern, nicht jeder muss auf den Teint achten. Versuche ich es mal mit dem Kontaktformular.

Bild zu: Frauen, die an Stränden leben

Es ist aber so, dass ich solche Kontaktformulare generell nicht mag, schon wegen des Namens. Das Wort Kontaktformular strahlt etwas ganz Sonderbares aus: Es gibt jenen, die es benutzen sollen, etwas Ranschmeißerisches (also mir), und denen, die es ins Netz stellen, etwas Unanständiges. Ich habe es trotzdem benutzt. Da meldete mein Computer einen Fehler; ich glaube, er wollte das Kontaktformular wegen des Namens einfach nicht verarbeiten, und der Paketbote hätte es ebenfalls nicht zugestellt.

Da ging ich auf die Webseite von Miss España und fand Bilder von früheren Miss Españas oder früheren Miss-España-Kandidatinnen, so wichtig ist der Unterschied nicht, selbst wenn man genau hinguckt. Und es sind diese Bilder, die Sie hier sehen. Ich habe das Miss-España-Logo aus den Fotos herausgenommen und interessante Ausschnitte gewählt, wie ich glaube. I’m sure you get my meaning.

Bild zu: Frauen, die an Stränden leben

Ich will jetzt nur noch erwähnen, dass ich in derselben Zeitung auch von Paul Mason las, dem ehemals dicksten Menschen der Welt, der 258 Kilo abgenommen hat und jetzt findet, dass seine Haut sehr unschön und schlabberig an ihm herunterhängt, so dass er eine Schönheitsoperation gebrauchen könnte, aber die Krankenkasse, heißt es, will das nicht übernehmen. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, aber soviel steht fest: Paul Mason sieht garantiert nicht aus wie jemand anders. Der ist nur er selbst. Gewonnen hat in Sevilla übrigens Miss Barcelona, die den hübschen spanischen Namen Andrea Huisgen trägt und laut der Zeitung La Vanguardia „medidas de vértigo (88-63-93)“ besitzt, zu deutsch: Wahnsinnsmaße. Was mir sonst noch auffiel: Auf den vorderen Plätzen landeten nur Frauen, die in der Nähe eines Strandes leben.

                                                                         [ Fotos : Homepage Miss España ]


32 Lesermeinungen

  1. Melibea sagt:

    Wieso habe ich auf den...
    Wieso habe ich auf den Mason-Link geklickt, wieso?

  2. Madrid sagt:

    <p><i>Quite a freak show</i>....
    Quite a freak show. An der Grenze oder darüber hinaus. Was ich mich ja frage: Würde ich mich, wenn ich mehr als 300 Kilo wöge, fotografieren lassen?

  3. abfeldmann sagt:

    "Auf den vorderen Plätzen...
    „Auf den vorderen Plätzen landeten nur Frauen, die in der Nähe eines Strandes leben…“ und ihre haare fuer die nationale sache pechschwarz faerben.

  4. Madrid sagt:

    Gefärbt oder echt, das ist...
    Gefärbt oder echt, das ist die Frage. Man müsste die Wettbewerbsbedingungen studieren.

  5. pardel sagt:

    Schwindelerregende...
    Schwindelerregende Wahnsinnsmaße? 380 kg? Beeindruckend. Kann man Haut nicht spenden, evtl an Verbrennungsopfer oder ähnliches? Das muss doch für etwas zu gebrauchen sein!
    Die Wettbewerbsbedingungen sind öde: https://www.missespana.com/upload/archivos/41393235014042008125005.pdf Von Haarefärben ist nach erstem Überfliegen nicht die Rede. Man darf nicht verheiratet sein und bei Sieg ein Jahr lang nicht heiraten, keine Kinder haben oder schwanger sein, keine Nacktbilder oder Top-Less-Bilder gemacht haben. Finde ich doof. Die Bedingung im Punkt SEPTIMO 1 ist mir ein Rätsel: Ser legal y morfológicamente hombre o mujer, reservándose CME (der Organisator) el derecho a solicitar y obtener del/la participante el correspondiente certificado médico oficial con el que se acredite la concordancia entre el sexo y el tipo de certamen al que se presenta. Heisst das, dass Transen nicht teilnehmen dürfen, oder zielt das auf Tiere?

  6. Melibea sagt:

    Lieber pardel, Männer haben...
    Lieber pardel, Männer haben besseres Bindegewebe! Und da es um die schiere Hülle geht…
    Es dürften also weibliche Transsexuelle teilnehmen, solange sie sich nicht hormonell oder operativ ‚morphologisch‘ verändert haben lassen. (Egal, ob sie sich als Mann oder Frau fühlten, auf das Aussehen kommt es schließlich an.) Männliche Transsexuelle dürften demnach also nicht teilnehmen, so sehr sie sich auch als Frau fühlen mögen. Aha! Mir wird schon wieder übel.

  7. HenryCharms sagt:

    Es gibt auch eine andere...
    Es gibt auch eine andere Verwendung, pardel: Mason koennte sich die Haut zu Fluegeln annaehen lassen und sich fuer die Rolle als neuer Batman bewerben.

  8. Madrid sagt:

    Da Miss España ein Wettbewerb...
    Da Miss España ein Wettbewerb zugunsten der Schönheitsindustrie ist, dürfen die Frauen zuvor keine anrüchigen Dinge getan haben. Das verstehe ich natürlich. Sie sollen danach ja als Werbeträgerinnen benutzt werden. Interessant ist ein Gedanke, den Javier Marías kürzlich in einer Kolumne äußerte: Die Feigheit von Firmen, die schon bei einem kleinen Skandal mit ihren prominenten Werbeträger(inne)n brechen und sich in vorauseilender Servilität – und reichlich pharisäerhaft, im Grunde aber aus nackter Angst um ihre Umsätze – als gesellschaftliches Vorbild aufspielen. So geschehen im Fall Kate Moss, die nach publik gewordenem Drogengenuss bei einem halben Dutzend Werbepartner in Ungnade fiel. Stellen wir uns einmal vor, damals hätte auch nur eine einzige dieser Firmen gesagt: „Wir stehen zu Kate Moss, weil sie eines der ausdrucksstärksten Models der Gegenwart ist. Wir finden sie toll. Deshalb haben wir sie unter Vertrag genommen. Und zu ihrem Privatleben wollen wir uns nicht äußern. Das ist allein ihre Sache.“ Vielleicht hat sich ja auch jemand anständig verhalten? Ich bin kein Experte in diesen Dingen. Vergleichbares gilt für den Fall des amerikanischen Schwimmers Michael Phelps, der auf einer Party Marihuana geraucht haben soll. Es zeugte von besonderer Heuchelei, wie eine gesamte Nation moralisierend über den Volkshelden und vielfachen Olympiasieger herfiel. Überhaupt dieser Wahn, in öffentlichen Figuren gleich „Vorbilder“ sehen zu wollen. Grauenhaft – und Indiz für eine besonders unselbständige, autoritätshörige Gesellschaft.

  9. abfeldmann sagt:

    "...Überhaupt dieser Wahn, in...
    „…Überhaupt dieser Wahn, in öffentlichen Figuren gleich „Vorbilder“ sehen zu wollen. Grauenhaft – und Indiz für eine besonders unselbständige, autoritätshörige Gesellschaft.“ – da sagen sie etwas sehr feines, das ich persoenlich bisher nur als wenig differenziertes unbehagen verarbeiten kann. tatsaechlich spielen in meiner wahrnehmung im weiteren sinne auch zwei andere ’skandale‘ in diese richtung. die sogenannte siemens-bestechungsaffaere und die abrechnung mit dem vormaligen volksliebling zu guttenberg. ich kann mich an zeiten erinnern – und die sind noch nicht lange her – da wurden grossauftraegen der industrie ganz selbstverstaendlich mit reziproken gunstbeweisen vorbereitet. und diese waren bis vor ca. 10 jahren auch steuerlich absetzbar. – ebenso stillschweigend buergerlicher konsens war es, dass nicht jeder dr-titel immer einen gelehrten geist ausweisen musste. es wurde getrickst, kopiert, fremdgeschrieben, gekauft. und man wusste schon, wer sich das ding irgendwie erschlichen hatte. – na und? – wer’s braucht?! – substanz ist etwas anderes. die spuert man eh.
    dieser ruck zu einer ganz eigenartigen ‚political correctness‘ (in ermangelung eines besseren ausdrucks), wo die glitzernde fassade halten muss, was sie dem wissenden – oder sonstwie kulturell begabten oder erfahrenen menschen – noch niemals versprach, … damit komme ich ganz schlecht klar.
    hier wirkt eine, so scheint es mir, fast verordnete verdummung und desensibilisierung, und ich weiss sie schwer zu fassen, noch wirklich einzuordnen. auch hilft es wenig, wenn sonst vergleichsweise verlaessliche medien der ist-bestimmung jetzt unisono in der stimme des hochmodernen pc-mob sprechen. – hier, und ganz bestimmt nicht in enem ungelenken zu guttenberg, sehe ich die eigentliche gefahr. – ein schleichendes, unlokalisiertes gift. – „Grauenhaft – und Indiz für eine besonders unselbständige, autoritätshörige Gesellschaft.“ – mag wohl sein.

  10. Madrid sagt:

    <p>abfeldmann, im Fall zu...
    abfeldmann, im Fall zu Guttenberg und sonstigen Plagiatszusammenhängen bin ich doch dafür, akademische Standards zu bewahren. Man bekommt den Doktortitel nicht hinterhergeworfen, und wäre es so, könnten wir gleich eigenhändig das Fundament der Bildungsgesellschaft abtragen. Wollen wir das? Nein. Etwas völlig anderes ist die Heuchelei, mit der von sog. „öffentlichen Figuren“ ein mustergültiges Leben gefordert wird. Ob Kate Moss mal einen porro raucht oder kokst, geht mich nichts an. (Ob ein Verteidigungsminister sich einen Titel erschwindelt und dann auch noch lügt, dagegen wohl.)

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