Sanchos Esel

Alles Gute zu Nikolaus

In einem Essay für die New York Review of Books hat Michael Greenberg beschrieben, was er alles von den Mitgliedern der Occupy-Bewegung im Zuccotti Park erfahren hat. Das ist schon wieder einige Wochen her, dürfte also kaum den gegenwärtigen Stand der Ernüchterung, ja Auszehrung der Bewegung beschreiben. Und wen wundert es? New York wird immer kälter, die Medien haben wieder Besseres zu tun, als über die Ausharrenden zu berichten, und die Botschaft ist so wahrnehmbar bei der Bevölkerung angekommen, dass man sich gelegentlich fragen könnte, was denn noch zu tun (und zu demonstrieren) bleibt. 

Aber so sehen die Occupy-Leute selbst es durchaus nicht. Es ist ja auch noch nichts passiert. Wir spüren die Folgen des Versagens unseres Finanzsystems und unserer Politiker und unseres eigenen, wir reagieren auf die Folgen, wir flicken, stopfen, übertünchen und bessern aus, wo wir können; aber wir ändern die Sache nicht. Und weil die Sache so ist, wie sie ist, und es zumindest in Spanien eher noch schlimmer wird, bevor es besser werden kann, sind auch viele Leute des „15. Mai“ noch aktiv. Man sieht sie nur nicht mehr so gut. Bei späterer Gelegenheit werde ich davon noch einmal berichten.

Jetzt nur ein paar Sätze zu der Frankfurter Occupy-Bewegung, deren Camp ich mir am Wochenende anschauen konnte. Eines der Mitglieder der Bewegung, Erik Buhn, nahm im Rahmen der Römerberggespräche an einer Podiumsdiskussion teil. Sanchos Esel hatte das Vergnügen, am Morgen desselben Tages einen Vortrag zu halten. Erik Buhn und ich hatten zwischen den Vorträgen und Debatten etwas Zeit zum Plaudern. Er ist siebenundzwanzig Jahre alt, studiert Geschichte und Archäologie und verdient sich sein Geld mit Elektrikerarbeiten. Als er mich durch das Camp direkt an der Europäischen Zentralbank führte, sagte er: „Heute ist unser fünfzigster Tag.“ Eine schöne rote Fünfzig prangte vor einem Zelt. Auch ein bunter Willkommensgruß, der sicherlich zu dem vielfach kommentierten Eindruck allgemeiner Nettigkeit beiträgt, den die sozialen Bewegungen dieses Jahres hinterlassen haben.

Es war ein trüber, verregneter Tag, und ich fragte mich, wie sich unter diesen Umständen die Motivation aufrechterhalten lässt. Auch New York und Madrid tun wahrnehmbar weniger, seit das Wetter nicht mehr mitspielt. Es ist einfach so. Auch indignados sind Menschen. Da zeigte mir Erik Buhn sein Zelt, ein kleines Ding auf Holzpaletten. Auch bei starkem Regen liegt man darin nicht nass. Nur warm einpacken muss man sich. Er sagt, die Nase lasse sich leider nicht schützen, sie müsse freiliegen. Ansonsten zeigte er mir die beeindruckende Infrastruktur des Zeltlagers: städtische Stromversorgung, Wasserversorgung, dazu fünf Dixie-Toiletten. Wenn ich mich an die Zahl korrekt erinnere, sagte er, fünfzig Menschen lebten permanent im Camp, über den Tag seien es mehr. Er selbst verbringt etwa fünf von sieben Nächten der Woche in seinem Zelt. Und er habe vor, mindestens bis zum Frühjahr durchzuhalten. Er wirkte auf mich wie einer, der meint, was er sagt.

Auf der Homepage der Bewegung gibt es in diesen Tagen einen Adventskalender (neben dem echten, den ich Ihnen nicht vorenthalten will). Die kleinen Geschenke bestehen aus Video-Aussagen verschiedener Menschen, die sich dem Protest verbunden fühlen. In der Presseschau kann man allerhand Artikel über die Occupy-Bewegung lesen, auch kritische. Der ganze Auftritt sieht etwa zehnmal so professionell aus wie das Zeltlager selbst. Aber das liegt in der Natur der Sache. Als persönlichen Nikolausgruß von Sanchos Esel zeige ich Ihnen jetzt die Schuhe von Erik Buhn. Denken Sie daran, was die alles aushalten müssen.

Und zu guter Letzt mein Nikolausgeschenk an alle Leserinnen: das Bild von einem Tier, das in diesen Adventstagen bei Sanchos Esel im Wohnzimmer sitzt. Was glauben Sie, was das für die Stimmung tut!

                                                               [ Fotos : Sanchos Esel ]

Die mobile Version verlassen