Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Er möchte lieber nicht

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Es ist nichts Ungewöhnliches in der südländischen Welt, dass Schriftsteller und Künstler diplomatische Aufgaben wahrnehmen.

Es ist nichts Ungewöhnliches in der südländischen Welt, dass Schriftsteller und Künstler diplomatische Aufgaben wahrnehmen. Lateinamerika hat daraus eine Tradition gemacht (Pablo Neruda, Augusto Monterroso, Antonio Skármeta), und wenn die Motive, warum Schriftsteller zu Repräsentanten ihres Staates werden, auch jeweils unterschiedlich sein mögen, ist die Idee selbst den Menschen sehr vertraut. Auch Frankreich kennt einige Beispiele. Ein gewisser Glaube an die Macht des geschriebenen und gesprochenen Wortes, den man nicht belächeln sollte, mag darin mitschwingen.

Mario Vargas Llosa hat jetzt das Angebot abgelehnt, als Präsident des Cervantes-Instituts weithin sichtbar die spanische Sprache und Kultur zu vertreten. In Angebot wie auch Ablehnung liegt eine gewisse Pikanterie. Denn nicht sein Heimatland Peru, sondern Spanien (dessen Staatsbürgerschaft der Nobelpreisträger seit langem besitzt) hat die Offerte gemacht, und nicht um die Vertretung eines Landes geht es, sondern um das, was das frühere Mutterland und die hispanoamerikanischen Länder (zuzüglich der Phlippinen und der USA) miteinander verbindet: die spanische Sprache. Damit allein die Idee nicht zur Zumutung wird, hat die interessierte Seite sofort klargestellt, dass Vargas Llosa keine administrativen, sondern allein repräsentative Aufgaben wahrzunehmen hätte. Das Amt des „Präsidenten“ wäre also neugeschaffen worden, während unter ihm wie gehabt ein Direktor seine Arbeit täte. Man muss darin erinnern, dass das Cervantes-Institut weltweit mehr als siebzig Zentren unterhält.

Bild zu: Er möchte lieber nicht

Die Medien haben inzwischen herausgefunden oder durchsickern lassen, wie die Sache vonstatten gegangen ist. Danach hat Ministerpräsident Mariano Rajoy letzte Woche König Juan Carlos angerufen und ihn gebeten, Mario Vargas Llosa das Angebot der Regierung zu unterbreiten, und da der König kein Mann großer Umschweife ist, könnte der Monarch den Satz fallengelassen haben: „Dann rufe ich ihn mal an.“ Und das ist, wenn man der Zeitung ABC Glauben schenkt, auch geschehen. Der König hat Mario Vargas Llosa angerufen.

Die beiden kennen sich seit langem. Vor sechzehn Jahren hat der Schriftsteller in Alcalá de Henares aus der Hand von Juan Carlos den Cervantes-Preis entgegengenommen, aber das war wohl nicht die erste Gelegenheit. Das Telefonat wird also in vertraulichem, fast leutseligem Ton abgelaufen sein, und das Einzige, was ich nicht genau weiß, ist, wie der Schriftsteller den König anspricht. Dass es mit Ehrerbietung geschieht, darf man voraussetzen, denn Vargas Llosa hält auf Formen. Der König wiederum könnte ungefähr gesagt haben: „Hör mal, Mario, sie wollen, dass du das Cervantes-Institut leitest, und haben mich gebeten, dir die Sache schmackhaft zu machen. Hast du Lust?“ Der König duzt bekanntlich jeden.

Höflich, wie er ist, hat der Schriftsteller sich Bedenkzeit erbeten. Man sieht in seinem Innern zwei Ideen miteinander ringen. Beide Ideen sind groß, beide sind würdig. Die eine ist die des public writer, des sichtbaren homme des lettres, der nur in Anzug und Krawatte in der Öffentlichkeit erscheint, in Akademien sitzt, politische Kolumnen schreibt und für jede aufklärerische Initiative zu haben ist. Man lese nur seinen Essay „La verdad de las mentiras“ (Die Wahrheit der Lügen) aus dem Jahr 1989, in dem er gleichsam für Kulturfunktionäre zum Mitschreiben erklärt, warum Fiktionen und erfundene Geschichten – die „Lügen“ des Titels – gesellschaftlich nützlich sind. Es gibt wohl keinen zweiten zeitgenössischen Autor, der in so allgemein verständlichen Worten dargelegt hat, inwiefern die radikale Subjektivität der Schriftsteller am Ende die Freiheit aller erweitert und sichert. Lesen, so verstanden, ist deshalb ein demokratischer Akt. Schreiben erst recht. Beim Lesen darf es nie darum gehen, die Freiheit des Erfindens einzuschränken (weshalb die Idee der Zensur verdammenswert ist, wie schon der junge Mario Vargas Llosa den Funktionären des Franco-Regimes entgegnete), sondern im Gegenteil, den Grenzübertretungen des Autors zu folgen.

Man kann den Essay in einem nur noch antiquarisch zu findenden Band auf deutsch nachlesen (Die Wahrheit der Lügen, Suhrkamp 1994), auf spanisch in einer neueren Ausgabe (La verdad de las mentiras, Alfaguara 2002), die nicht 25, sondern sogar 35 Essays zu großen Büchern des zwanzigsten Jahrhunderts enthält. Wenn man so will: Vargas Llosas Liebeserklärungen an die Verschiedenartigkeit und formalen Abenteuer der modernen Literatur. Das alles, wie gesagt, würde seine Eignung für das Amt des Präsidenten des Cervantes-Instituts ausreichend begründen. Er kann schreiben, dozieren, erklären, er kann öffentlich auftreten und würdig dabei aussehen, und er verkörpert selbst die übergeordnete, im emphatischen Sinn identitätsstiftende Idee, die er im Auftrag der Rajoy-Regierung hätte repräsentieren sollen: dass die spanische Sprache und Kultur auch dann noch Heimat sein kann, wenn die politisch-geographische Zugehörigkeit gefährdet oder ausgesetzt ist.

Bild zu: Er möchte lieber nicht

Die zweite Idee im Kopf dieses Schriftstellers – man kann es nicht bedauern – hat sich am Ende durchgesetzt. Diese Idee läuft darauf hinaus, dass er nun einmal Schriftsteller ist und das Schreiben nicht aufgeben will. Er hat fünfundsiebzig Lebensjahre erreicht, und auch wenn er immer ein disziplinierter Arbeiter und guter Organisator war, sind Freiräume kostbar. Sie enger zu machen, dazu kann er sich a estas alturas nicht durchringen. Und so ungefähr wird er es mit der ihm eigenen Höflichkeit in einem Brief an Mariano Rajoy geschrieben haben. Dass er dem Cervantes-Institut nicht vorstehen könne, es aber gern unterstützen wolle. (Wie er es bisher schon getan hat, könnte man ergänzen. Kann Mario Vargas Llosa überhaupt noch mehr tun, als er schon leistet? Wohl eher nicht. Im Berliner Cervantes-Institut haben sie die Bibliothek nach ihm benannt.)

Am Ende kann man ihn verstehen. Oft sind Nein-Entscheidungen wichtiger als Ja-Entscheidungen. Der König wird es ihm kaum verübeln, der hat genug disgustos mit seinem Schwiegersohn. Natürlich wäre es schön gewesen, in der Zeitung zu lesen: „Juan Carlos I. überzeugt den Nobelpreisträger davon, die große Aufgabe anzunehmen“ oder dergleichen. Aber es sollte eben nicht sein. Für Schriftsteller geht es um das ewige Leben im Reich der Lügen.

                                                                            [ Fotos : DDP, Reuters ]


40 Lesermeinungen

  1. Madrid sagt:

    Etwas ganz anderes. Ich...
    Etwas ganz anderes. Ich trauere um Etta James – https://www.rollingstone.com/music/news/etta-james-dead-at-73-20120120
    Wem sie nichts sagt, einfach drei Minuten „Trust in me“ hören, hier:
    https://www.youtube.com/watch?v=8MUZ6akFbOg

  2. Gatamad sagt:

    Mir ist zum Thema noch Carlos...
    Mir ist zum Thema noch Carlos Fuentes eingefallen. Der meiinte: „¿Podemos hoy imaginar el mundo sin Don Quijote? Cuesta mucho. ¿Sin Hamlet? Cuesta mucho. Sin embargo, hubo una época en que no existían. Hoy ellos forman parte de la realidad porque fueron imaginados; lo que se imagina se convierte entonces en parte de la realidad indisoluble y ya no puedes entender la realidad sin lo que imaginó el escritor.“

  3. Dulcinea sagt:

    Das ist wunderschön, Gatamad,...
    Das ist wunderschön, Gatamad, dieses Zitat. Was wären wir, in der Tat, ohne Don Quijote! Nicht auszudenken! Und ohne Sara Mago!
    .
    Wer auch nicht mehr möchte, apart from Don Mario, sind offenbar die Jungs von Real Madrid, liest man. https://www.marca.com/2012/01/22/futbol/equipos/real_madrid/1327231392.html. Ich verstehe beide! Wann wird dieser peinliche Mourinho endlich das Weite suchen? „Mou cree que los jugadores españoles están extraprotegidos por sus „amigos de la prensa“ -como dice el luso- y que se preocupan más por salvar la buena relación con los internacionales del Barça que de defender al Madrid.“ Gut, das ist nur indirekt wiedergegeben und muß so nicht gesagt worden sein. Trotzdem. Pfeif den mal aus, afición blanca!

  4. Die heutige Kolumne von Elvira...
    Die heutige Kolumne von Elvira Lindo in El país passt zum Thema: https://www.elpais.com/articulo/opinion/Mario/he/sonado/contigo/elpepusocdgm/20120122elpdmgpan_2/Tes. Sie weiß bestimmt, wovon sie redet, denn ihr „actual compañero sentimental, a la sazón, Muñoz Molina“ -köstlich!- hat eine Zeit lang das New Yorker Instituto Cervantes geleitet. Es wäre in der Tat interessant von ihm zu wissen, wie die Erfahrung war. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Vargas Llosa in seinen Erwägungen an ihn gedacht hat. Vielleicht hat Vargas Llosa der erfolglose Versuch, in die Politik zu gehen, einfach gereicht. Ich freue mich über seine Entscheidung.

  5. Madrid sagt:

    <p>pastora-marcela, die Arbeit...
    pastora-marcela, die Arbeit von AMM für das New Yorker Cervantes-Institut hat sicherlich auch dessen eigene Interessen befördert. Er wollte einmal aus Spanien weg, er mag New York (Elvira auch), und er hat vor kurzem davon gesprochen, wie wohltuend es sei, das eigene Land aus einem gewissen Abstand zu betrachten. Soweit ich weiß, hat das Paar eine Wohnung in New York und verbringt einen Teil des Jahres dort. Was die Aufgabe selbst betrifft, musste er wohl schmerzlich die engen Grenzen der Unternehmung erkennen. Dasselbe berichtet mir der Direktor des Cervantes-Instituts in Chicago. „Das Spanische“ als Kulturgut, wie es hier so gern gefeiert wird … No pinta nada en Estados Unidos. Gewiss ist es die immer mächtiger werdende Sprache der auf absehbare Zeit größten Einwanderergruppe, aber die hochtönenden Kulturwerte und das ganze symbolische Geklingel, die damit in einer Zeitung wie ABC (um nur ein Beispiel zu nennen) verbunden werden, sind in den USA gegenstandslos. Wer das nicht erkennt, macht sich etwas vor. Insofern ist das reine Repräsentieren, das man von Mario Vargas Llosa erwartet hätte, todlangweilig. Es gibt keine Schlacht, man soll nicht kämpfen, und man wüsste auch nicht, wofür oder gegen wen. Der „Präsident“ des Cervantes-Instituts, wenn es ihn gegeben hätte (oder doch noch geben sollte), wäre wenig mehr als ein Nick- und Applaudierautomat, ein Verlautbarungstier für Kongresse und Buchpräsentationen. Und das – wir verstehen das doch alle, glaube ich – mutet sich ein Literaturnobelpreisträger nicht zu, wenn er fünfundsiebzig Jahre alt und bei Sinnen ist. Man hätte also das Angebot gar nicht an die Presse geben dürfen. Und Vargas Llosa hätte im Grunde sofort ablehnen können, denn ich bin sicher, dass seine Haltung von der ersten Minute an feststand. Aber Sanchos Esel ist nur ein Vierbeiner von mäßigem Verstand. Er kennt den genauen Hergang nicht. Er war mit seinen langen Ohren nicht dabei, als der König in den Telefonhörer sprach: „Hör mal, Mario, sie wollen, dass du das Cervantes-Institut leitest…“

  6. Gatamad sagt:

    Herr Ingendaay, danke für die...
    Herr Ingendaay, danke für die Aufklärung: „Der „Präsident“ des Cervantes-Instituts, wenn es ihn gegeben hätte (oder doch noch geben sollte), wäre wenig mehr als ein Nick- und Applaudierautomat, ein Verlautbarungstier für Kongresse und Buchpräsentationen.“ Ich hatte es zwar befürchtet, kenne aber das IC zu wenig, um mich dazu zu äussern. Vargas Llosa hat zum 2. Mal abgelehnt, und das bestimmt nicht aus Faulheit. Er hat es wirklich nicht nötig, und ich teile pastora-marcelas Freude über seine Entscheidung.

  7. Gatamad sagt:

    Dulcinea, wird es nicht...
    Dulcinea, wird es nicht höchste Zeit, dass wir eine faire und elegante Alternative zu Mou erfinden? Vielleicht hilft unser Vorschlag, und Florentino sieht endlich ein was für einen Schaden dieser Mensch im weissen Umfeld anrichtet. Meine merengue Freunde dund Bekannten versuchen leise, aber auch verzweigelt, sich, und uns einzureden, dass die Tristesse mit dem Gewinn von Titeln vergeht. Ich bin eher der Meinung, dass Lust und Freude an der Sache die Titel bringen. Und eben dies spüre ich nicht. Weder assoziiert mit del Label „RM“, noch bei den Spielern.
    Dulcinea, seien Sie also sportlich-neutral, und nutzen Sie die Chance bitte nicht, um einen unfähigen Trainer zu erfinden, damit Ihre Jungs davon profitieren.

  8. Gatamad sagt:

    Cheerleader wird dann Sara...
    Cheerleader wird dann Sara Mago. Als Geste für die damalige Erzhiehungsministerin, die auch jetzt, als Presidenta de la Comunidad de Madrid, das Madrider Schulsystem umkrempeln will. Diese Anerkennung sind wir ihr schuldig. Oder nicht?

  9. Dulcinea sagt:

    Das ist eine gute Idee,...
    Das ist eine gute Idee, Gatamad. Wie immer! Ich werde darüber nachdenken. Ich glaube, meine elegante Alternative zu Mourinho würde Humberto heißen, damit wir ihn hier unter uns Don Berto rufen könnten. Und selbstverständlich müßte er eine glänzende oder doch zumindest bemerkenswerte Karriere als Fußballspieler hinter sich haben. Und sein Wort, das später als geflügeltes in die Annalen des Clubs einginge, wäre: „ni una palabra“. Damit würde Don Berto in jeder einzelnen Pressekonferenz eine seiner intelligenten Antworten beginnen und damit meinen, daß er sich in Themen, die nicht direkt ihn oder seine Partei angingen, niemals einmischen würde.
    .
    Drüben im Bernabeu steht es 1:1.

  10. Danke, Herr Ingendaay. Nach...
    Danke, Herr Ingendaay. Nach Ihrer Schilderung der Aufgabe freue ich mich um so mehr über Vargas Llosas Entscheidung. Interessant fand ich auch den Satz „er (AMM) hat vor kurzem davon gesprochen, wie wohltuend es sei, das eigene Land aus einem gewissen Abstand zu betrachten“. Ich glaube, dass das für jeden Menschen wohltuend ist, aber besonders für einen Schriftsteller. Als ich in der Schule war, haben wir die „Cartas Marruecas“ von José Caldalso durchgenommen. Da habe ich mich zum ersten Mal mit diesem Gedanken auseinandergesetzt: Marokko, damals nah genug, um den Überblick zu haben, damals weit genug um von dem Abstand einen etwas objektiverem Überblick zu gewinnen. Ich muss auch an Juan Goytisolo denken – den ich aus vielen anderen Gründen bewundere. Beide Autoren – AMM und Goytisolo – hätten im 18.Jh bestimmt als „afrancesados“ gegolten. Wer hätte gedacht, dass wir fast drei Jahrhunderte danach noch in diesen Kategorien denken könnten (ich, zumindest)?
    In anderen Kategorien: was muss noch passieren, damit man den „impresentable“ Mou los kriegt?

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