Ja, wer braucht es? Wem nützt es? Wer findet es unentbehrlich, so ein Kulturinstitut, wo man eine fremde Sprache lernen kann und Vorträge und Podiumsdiskussionen hört, die mit einem bestimmten Land oder einem Kulturkreis zu tun haben? Wo es Ausstellungen gibt, Filmvorführungen, Seminare und derlei Sachen?
Also, um mal im eigenen Haus zu beginnen. Im Jahr 1987 verbrachte ich vier bis fünf Monate in Mexiko-Stadt. Wir waren zu dritt geflogen, mit wenig Geld, die Buden in München waren untervermietet, was unseren Lebensunterhalt deckte, aber keine großen Sprünge erlaubte, und jetzt war die Frage, woher man in Mexiko-Stadt deutsche Bücher bekäme, wenn man mal kein spanisches lesen wollte. So kam ich zum erstenmal ins Goethe-Institut in der Tonalá. Wie ich der Webseite entnehme, die es damals noch nicht gab, ist das Goethe-Institut von Mexiko-Stadt inzwischen in die Zona Rosa umgezogen, wahrscheinlich in etwas Repräsentativeres (das damalige Gebäude war in Ordnung, aber nicht verschwenderisch groß), nur das Goethe-Institut in Peru hat es offenbar noch nicht mitbekommen und gibt immer noch die alte Adresse an.
Jedenfalls gehört auch das zu den Aufgaben eines Kulturinstituts: den Durst der eigenen Landsleute zu löschen, wenn sie in der Fremde mal nichts mehr zu trinken haben. Vor der Ära des Internets war es schön, wenn man im Goethe-Institut von Mexiko-Stadt eine zwei oder drei Tage alte Zeitung fand und von Steffi Graf und dem 1. FC Köln lesen konnte. Es gab Fassbinder- und Werner-Herzog-Filmzyklen in Zusammenarbeit mit der Universidad Autónoma, wenn meine Erinnerung nicht trügt, die Bibliothek stand voller Grass, Böll, Lenz und Enzensberger, war aber auch reichlich bestückt mit den schönen Haffmans-Ausgaben von Arno Schmidt, die ich mir auslieh, und wenn ich das heute so vor meinem inneren Auge vorbeiziehen lasse, steht außer Zweifel, dass Franz-Josef Strauss mit seiner Klage völlig recht hatte: Die „geistig-moralische Wende“, die Helmut Kohl gut fünf Jahre zuvor angekündigt hatte, als man ihn zum Nachfolger Helmut Schmidts wählte, sie hatte nicht stattgefunden. All die linken Schriftsteller und Filmemacher, die schon zuvor in ihrem Element gewesen waren, repräsentierten auch 1987 die deutsche Kultur im Ausland. Es war keine Veränderung wahrzunehmen.
Schon damals dachte ich: Gut, dass ein Machtwechsel so wenig Spuren hinterlässt. Und ich erklärte mir das in meiner Einfalt (die mir nachträglich wie ein zuverlässiger Instinkt vorkommt) mit der allzu begreiflichen Unlust der Goethe-Mitarbeiter, ihr politisches Programm von heute auf morgen auszutauschen und heute Dinge zu vertreten, die sie gestern noch kritisch betrachtet hatten. Damals war es so. Es gab links und rechts und irgendeine Mitte, aber was es kaum gab, war der Zeitgenosse, der so tat, als gingen ihn die politischen Tendenzen in der Kunst, im Film, im Schreiben nichts an. So dass man es durchaus als vornehmste Aufgabe all dieser Kulturarbeiter des Goethe-Instituts ansehen durfte, den politischen Ehrgeiz der jeweiligen Zentrale zu dämpfen, die Instrumentalisierung der Kultur zu erschweren und die strategische Benutzung ästhetischer Gegenstände nach Möglichkeit zu hintertreiben. Also auch das, was sich Strauss unter „geistig-moralischer Wende“ vorgestellt hatte.
Natürlich geht es darum auch in Spanien. Dort will das Bildungs- und Kulturmininsterium die Oberhoheit über das Cervantes-Institut gewinnen, die zur Zeit noch das Außenministerium hat (und vorläufig behalten wird). Dort wird nach einem Machtwechsel habituell auch der Direktor des Cervantes-Instituts ausgetauscht. Oder gleich ein Präsident gesucht, eine Funktion, die es vorher nicht gab und die nach der Absage Mario Vargas Llosas auch wieder vom Tisch ist.
Ich bin vom Thema abgekommen. Ein Deutscher in Mexiko, der die Einrichtungen des Goethe-Instituts nutzt. Da waren wir. Man wird einwenden, darum gehe es nicht bei so einem Kulturinstitut, für jemanden wie mich sei es nicht in erster Linie gedacht. Gut. Sehen wir uns die andere Seite an. Die Menschen, die dort eine Fremdsprache lernen. Das Madrider Goethe-Institut ist nach dem in Moskau jenes, das den höchsten Umsatz mit Sprachkursen erzielt. Das liegt auch an der Krise, die viele Spanier aus dem Land treibt. Doch außerdem wären die spanischen Schulen völlig überfordert, diesen Deutschunterricht zu geben. Ebenso, wie Schulen in Deutschland damit überfordert wären, all den Spanischunterricht zu erteilen, der angefragt wird. Denn die Zahlen des Cervantes-Instituts sind gut, wenn ich das richtig sehe. Die letzten zwanzig Jahre – das Cervantes-Institut gibt es seit 1991 – haben einen enormen Aufschwung des Spanischen erlebt, aus den verschiedensten Gründen, doch selbst das soll jetzt egal sein.
Damit man sich unter der Bedeutung von Sprachunterricht etwas vorstellen kann, greife ich mal einen etwas abseitigen Werdegang heraus, nämlich den des peruanischen Übersetzers Juan José del Solar. Es ist ziemlich genau zehn Jahre her, dass ich ihn kennenlernte, er lebte damals in Vilanova i La Geltrù und schlug sich eher schlecht als recht durchs Leben, seit er nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt und auf Hilfe angewiesen war. Del Solar wurde in Lima geboren und ging in das dortige Goethe-Institut, um Deutsch zu lernen. In einem Artikel schrieb ich über ihn, auch Zufälle spielten eine Rolle, „zum Beispiel die Aufnahme der Zauberflöte, die er als Elfjähriger geschenkt bekam, oder die Freundin aus Wien, die dem Jungen Schikaneders Libretto erklärte“. Die Deutschkurse jedenfalls, die erwähnten, folgten, als er fünfzehn war. Mit neunzehn Jahren ging er nach Heidelberg, um Germanistik und Romanistik zu studieren, und schloss in Paris das Studium ab. Nach der Rückkehr nach Lima versuchte er sich im Kulturjournalismus, aber das war nicht seine Sache, so dass er 1972 nach Barcelona reiste. Dort fertigte er für den Verleger Carlos Barral seine ersten Übersetzungen an.
O, ich habe etwas vergessen. Das Wichtigste. Warum Juan José del Solar uns hier interessieren könnte. Weil er unter anderem Kafka und Elias Canetti ins Spanische übersetzt hat. Auch Lichtenberg und Robert Walser und Brecht. Sowie Thomas Manns „Tod in Venedig“. Und von Dürrenmatt „Die Physiker“, „Der Besuch der alten Dame“ und „Die Panne“. Aber vor allem und immer wieder Canetti, der in ihm seine spanische Stimme sah und ihm vertraute. Das Leben von Juan José del Solar, eine Existenz zwischen Peru, Deutschland und Spanien, die der Vermittlung anspruchsvoller Literatur gewidmet war, wäre ohne sein fremdsprachliches Fundament gar nicht denkbar gewesen. In solchen Fällen läuft alles auf eine einzige Frage hinaus: Hat so ein Jugendlicher die Chance, Deutsch zu lernen? Oder hat er sie nicht? Damals, als ich mit ihm darüber sprach, war er voller Dankbarkeit. Sein Leben, sagte er, wäre ohne das Goethe-Institut ganz anders verlaufen, und es war klar, was er damit meinte: nicht auszudenken, es hätte in Lima kein Goethe-Institut gegeben.
Oh, gloriah, entschuldigen Sie...
Oh, gloriah, entschuldigen Sie meinen letzten Post beim letzten Thread! Ich konnte nicht ahnen, dass Sie in England wohnen, jetzt ergibt ihre Bemerkung zum englischen Dauerregen einen ganz anderen Sinn!
Melibea, ich fühle mit Ihnen: ohne Strom ist Mist. 22 Stunden habe ich in Madrid in meiner Kindheit nie erlebt, da hätten die Zeitungen von „capital del tercer mundo“ geschrieben (so die El País ca. 1980 in einem Leitartikel, als es schneite und zwei Tage alles stillstand). Stromausfälle in Spanien verbinde ich mit Gewitter, nicht mit maroder Infrastruktur und durchgeschmorten Kabeln. Wir sind immer abhängiger von der Technik. Internet gab es bei Ihren Großeltern in der DDR ja nicht, Fahrstuhl auch nicht (Rollstuhl im 4.OG = Fahrstuhl im Haus, nicht wahr?) und eine Tiefkühltruhe vielleicht auch nicht. Hat wenigstens das Handy funktioniert? Ich habe vor kurzem drei Tage ohne Heizung und warmes Wasser verbracht, war auch kein Vergnügen. Ein kleiner Teil einer Wasserpumpe im Keller soll defekt gewesen sein, und man fand keinen Ersatz. Reparieren ging nicht. Es war auch keiner zuständig und die Hausverwaltung hat nur einen Anrufbeantworter, auf dem man keine Nachricht hinterlassen kann. Waschen muss man sich trotzdem, wie soll man sonst arbeiten? Letztendlich haben wir es überstanden. Ich wünsche Ihnen, dass es nicht wieder vorkommt!
Da schau her, Don Paul: Bis 4:30 das Spiel analysiert! Da wäre ich aber gerne Mäuschen gewesen! Haben Sie das gestrige Spiel auch so ausführlich analysiert? War ebenfalls sehr lehrreich, fand ich.
<p>pardel, meine beiden...
pardel, meine beiden Kollegen sind culés, beiden saß der Schreck in den Gliedern. So bedroht hatten sie ihre Mannschaft lange nicht mehr gesehen. Die Tradition will es, dass wir nach den Spielen im Camp Nou ins Dry Martini gehen. Um die Ecke in der C/París, wenn meine Erinnerung nicht trügt, gibt es dann noch das Slow, schließt um 5 Uhr. So lange waren wir aber nicht dabei, zwei von uns mussten ja schreiben. Diese Analysen, pardel, sie sind immer sehr lehrreich.
pardel, gar kein Problem! -und...
pardel, gar kein Problem! -und wenn ich irgendwann einmal wieder nach Berlin fahre werde ich die Bibliotheken besuchen! Danke.
Früher hieß es, wenigstens...
Früher hieß es, wenigstens EIN Kachelofen sollte in jeder Wohnung stehen bleiben. Für den Notfall. Als wir noch richtige Feinde hatten und dergleichen, welche uns hätten überfallen können. An einem Kachelofen erfriert man nicht so schnell, und man kann auch Wasser zum Waschen an ihm erwärmen. Tja!
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Melibea, um dem spanischen Erfindungsgeist gebührend Rechnung zu tragen, in Barcelona wohnte ich ein Jahr lang in einer Wohnung mit Deckenheizung. Die elektrischen Widerstände verliefen also über unseren Köpfen und heizten im Winter schön die Dachterrasse (von unten). Das war fein!
Ich liebe Kachelöfen. In...
Ich liebe Kachelöfen. In Dresden gibt es sie noch, in unsanierten Häusern. Freunde von mir heizen noch mit Holz und Kohlen; die habe ich gestern beneidet. Vor über zehn Jahren habe ich auch für zwei Jahre in einer Kohlenofenwohnung gelebt, das war fein. Aber Deckenheizung, holla die Waldfee! DAS ist doch mal unkonventionell. Was muss man sich von der Physik auch immer alles vorschreiben lassen! Nein, nein, ein bißchen Anarchie und eine warme Dachterrasse müssen sein! Toll.
"Holla die Waldfee"... Liebe...
„Holla die Waldfee“… Liebe Melibea, das habe ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gehört. Es könnten auch dreiundzwanzig sein. Manchmal kommt mir dieser bescheidene Blog wie ein Museum der verschwundenen Dinge vor.
Na, da brat mir doch einer...
Na, da brat mir doch einer einen Storch! Es freut mich, wenn ich den Blogg durch meine einfache, leicht antiquierte Art zu reden, bereichern kann.
Wegen den verschwundenen Dingen und so: Hier in unserem Viertel in Barcelona sind uns schon ein paar Mal praktizierende Juden mit Kippah auf der Straße begegnet. Gestern Abend sah mein Freund eine Gruppe mit Rabbi, der durch Hut, Bart und schwarze Kleidung als solcher zu erkennen war. Sicherlich waren sie auf dem Weg, den Beginn des Sabbat zu feiern. Die einzige europäische Stadt, an die ich mich erinnern kann und in der mir die jüdische Kultur so „alltäglich“ auf der Straße begegnet war, ist Paris (im Marais). Ich kenne aber auch nicht sooo viele Städte. Mich würde interessieren, ob und wo die WG in Spanien (und Europa) ähnliche Erfahren machen konnte.
In den 80ern hatte ich in...
In den 80ern hatte ich in Berlin ebenfalls drei Wohnungen hintereinander mit Kohleheizung (Kachelofen, Allesbrenner und eine sogar mit Küchenmaschine), zwei davon mit Außenklo. Zwei davon waren im vierten OG, eine im 2. Das war schon eine ziemliche Plackerei, die Kohlen aus dem Keller zu holen! Und die Asche war eine Sauerei. Man konnte im Winter natürlich schlecht verreisen, wenn die Leitungen einfroren, war der Mieter verantwortlich. Und die Stadt muffelte säuerlich nach SO². Aber die Wärme war herrlich, keine Frage. Man konnte nicht nur Wasser warm halten, auch Bratäpfel gelangen vorzüglich, und die Wohnung duftete nach Zimt und die Baguettes und Croissants wurden schön knusprig.
Heute sind wir verweichlicht und haben keine „richtigen“ Feinde mehr. Nur die Russen drosseln gerade die Gaszufuhr nach Westeuropa. Ich nehme an, sie werden gerade selber mit der Kälte nicht ganz fertig, für Geld liefern sie sonst zuverlässig.
In Barcelona habe ich oft beobachten können, dass die Wasserleitungen ungedämmt an der Außenmauer des Innenhofes verlaufen (naja… Innenhof: Ein Schacht ist es meistens, mit einem Fenster zum Waschraum. Man hat mir gesagt, das Gesetz schreibt vor, dass alle Räume Fenster haben müssen). Es friert dort offenbar sehr selten. Man fährt bereits mit zwei cm Schneedecke mit Schneeketten durch die Innenstadt! Aber wenn es eines Tages richtig friert, müsste es lustig werden. Zur Zeit soll es auch im Süden ungewöhnlich kalt sein. Dann ist man dafür dankbar, dass Dulcineas Nachmieterin durch die Dachterrassenheizung die Frostgefahr für die Nachbarn verringert. Gute Architekten und Stadtplaner denken halt an alles…
Ja, pardel und Melibea! In...
Ja, pardel und Melibea! In diesem Zusammenhang möchte ich nur schnell noch an meinen Badeofen erinnern! Was für ein wunderbarer Prüfstein für die jungen Herren, die sich um die Gunst bewarben! Viele sind gescheitert („Plackerei“, „Sauerei“). So trennte sich die Spreu vom Weizen. Leider kann ich diese Lehre nicht an meine Töchter weitergeben. Woran sollen die jungen Mädchen von heute ihre Bewerber prüfen?