Sanchos Esel

Was ist und wozu dient ein Kulturinstitut? (2)

Seit Jahren ist bekannt, dass sich zwei spanische Ministerien um das Cervantes-Institut balgen: das Außenministerium, dem es nominell unterstellt ist, und das Kulturministerium, dem es der Sache nach zugehört. Es sei denn, wir meinten nicht dasselbe, wenn wir „Kultur“ sagen.

Natürlich hängen solche Auseinandersetzungen vom Temperament der jeweiligen Minister ab. César Antonio Molina, der zweite Kulturminister der Zapatero-Ära, der das Amt nicht einmal zwei volle Jahre ausüben durfte (2007 bis 2009) und über seine Absetzung interessante Theorien entfaltet hat, wollte das Terrain des Kulturministeriums aus Gründen des Machtzuwachses naturgemäß ausweiten und stieß bei seinem Kollegen Moratinos ebenso auf Widerstand, wie es der jetzige Bildungs- und Kulturminister José Ignacio Wert beim neuen Außenminister José Manuel García-Margallo tut. Letzterer hat über das Cervantes-Institut gerade ein paar unübertreffliche Worte gesagt. „Dieses Haus hat Vater und Mutter, und das hat seine Vor- und Nachteile, aber das Gesetz seiner Gründung sagt es eindeutig: Es untersteht dem Außenministerium.“

Dass der Außenminister so spricht, ist verständlich, sagt aber nichts Gutes über die Vorstellung von Kultur, die man in politschen Kreisen pflegt. Das Widerborstige, Unangepasste, Hässliche, Unprofitable, Inkommensurable, all das also, was neue Kultur in der Malerei, im Schreiben, in der Musik und auf der Bühne ausmachen müsste, kann von den Herren ja kaum gemeint sein. Und eben deshalb ist das Gezerre um das Cervantes-Institut so deprimierend. Beide Ministerien sehen es als Verlängerung der unscharfen politischen Einheitsidee, die sie aussenden möchten, und dass dem kulturell halbwegs Bewanderten die Botschaft des Kulturministeriums wohl eher gefallen dürfte als die des Außenministeriums, macht die Sache kaum besser: Beide player sind auf Ausbeutung und Zweckentfremdung des Cervantes-Instituts aus, weil sie die Kulturarbeit, die darin geleistet werden soll, einem klaren ökonomischen Zweck unterstellen. Wie aber lässt sich mit der spanischen Sprache, über die Kursgebühren hinaus, Geld verdienen und das nach Möglichlichkeit zunehmend und im Rahmen eines wachsenden Budgets? Wie kann „das Spanische“ Geld generieren?

Durch Image und Anmutung. Durch die Macht seiner Aura. (Was auch heißt: eher durch das Bekannte, Berühmte und Abgesegnete als durch Ungewohntes und Riskantes.) Durch repräsentativen Glanz und schiere Quantität, wobei es ganz egal ist, ob die Zahl der Spanischsprechenden weltweit mal mit 400, mal mit 500 Millionen Menschen beziffert wird. Wir alle hanterien mit Zahlen, die wir irgendwo gelesen haben. Was gemeint ist, dürfte klar sein: Die Spanischsprechenden sind verdammt viele. Sie sind ein Wirtschaftsfaktor. Und für diese vielen Menschen soll das Berühmte und Teure, was längst einen Namen hat, noch einmal durchgenudelt werden. Keine ermutigende Aussicht für die Programmvorstellung eines Kulturinstituts.

Vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass der neue Direktor des Cervantes-Instituts Victor García de la Concha sein wird, ein siebenundsiebzigjähriger Philologe und geschickter Propagandist des Spanischen (was er zwischen 1998 und 2010 als Direktor der Königlichen Akademie der Spanischen Sprache unter Beweis gestellt hat). Mit allem Respekt vor dem Herrn, das Signal ist leider verheerend: Die Regierung verordnet dem Cervantes-Institut ein Management samt Zielvorgabe (mehr Schüler, mehr Sprecher, mehr verkaufte Kurse, mehr verkaufte Schulbücher, mehr Präsenz), aber nirgendwo ist eine Zukunftsnachricht zu entdecken, die mit etwas anderes zu tun hätte als der Eroberung des lingualen Territoriums. I hate to quote myself, but … Ich habe ein bisschen in meinen alten Artikeln gewühlt und diesen hier herausgefischt, veröffentlicht im November 2004 (!). Ich gebe das sieben Jahre alte Ding hier unverändert (samt ß) wieder, damit Sie sehen, warum sich meine Meinung zu diesem Thema über die Jahre ernüchtert, wenn nicht verbittert hat. Lesen Sie selbst:

„Soeben [also im November 2004] ist in der argentinischen Stadt Rosario der dritte Internationale Kongreß der spanischen Sprache zu Ende gegangen. Den Presseberichten nach zu urteilen, kann es in den letzten Jahren in der gesamten spanischsprachigen Welt kein wichtigeres Ereignis gegeben haben. Fast eine Woche lang haben uns die Madrider Zeitungen mit drei bis sechs Seiten täglich gefüttert, und selbst wenn man das kleinere Seitenformat in Rechnung stellt, war der Effekt dröhnend, betäubend, niederschmetternd. Nicht nur, weil kaum ein neuer Gedanke geäußert wurde, am allerwenigsten in der schaumigen Rede eines makellos angezogenen Konferenzhabitués wie Carlos Fuentes. Sondern, weil die ganze Show fatal an den zweiten Kongreß der spanischen Sprache 2001 in Valladolid erinnerte, als der inzwischen verstorbene Nobelpreisträger Camilo José Cela eine Festansprache hielt, die er schon zweimal zuvor gehalten hatte, darunter beim ersten Kongreß der spanischen Sprache 1997 in Zacatecas – allerdings, ohne daß es irgend jemandem aufgefallen wäre außer dem Journalisten einer Lokalzeitung. Dieser Journalist, der Celas Selbstplagiat öffentlich machen konnte, weil er auf das hörte, was gesagt wurde, statt sich feierlich nickend einlullen zu lassen, war alles, was die hochtönenden internationalen Kongresse der spanischen Sprache nicht sind.

Und nun, in Rosario? Auch Rosario hatte seine bemerkenswerte Eröffnungspeinlichkeit. Denn der argentinische Staatspräsdent Néstor Kirchner, also der Gastgeber, tauchte zur festgesetzten Stunde nicht auf und ließ nicht nur die zahlreichen Schriftsteller und Schriftgelehrten, sondern auch das spanische Königspaar fast zwei Stunden warten. Der Kongreß von Rosario hatte ferner seine Abschlußpeinlichkeiten. Zum einen hieß es, am letzten Tag würden „Schlußfolgerungen“ des intensiven Tagungsgeschehens präsentiert, was jedoch nicht geschah, weil sich offenbar niemand imstande sah, aus irgendetwas eine Schlußfolgerung zu ziehen, und das mehrere Stunden lang nicht. Was ja begreiflich ist, weil sich aus Schaum nicht gut etwas von Substanz oder Gewicht formen läßt. Und zum anderen wurde ruchbar, daß die argentinische Regierung den spanischen Sponsoren des Kongresses, etwa Telefónica oder dem Schaumweinfabrikanten Freixenet, überaus rüde Geld abgefordert hatte, als wäre es ein besonderes Privileg, es in Rosario ausgeben zu dürfen.

Hier ist es ist ratsam, einen kurzen Blick zurückzuwerfen in eine Zeit, als das Studium der spanischen Sprache noch eine exotische Angelegenheit war, Hispanistikprofessoren in Deutschland eine winzige Minderheit darstellten und nichts auf die Popularität schließen ließ, die das Spanische wenige Jahrzehnte später genießen würde. Damals verteidigten engagierte deutsche Gelehrte ihr Fach, weil sie die Sprache liebten, Spanien oder Mexiko liebten und Cervantes, Quevedo, Lorca, Borges oder Rulfo zu den größten Literaten überhaupt zählten. Sie taten es mit Kenntnis und Leidenschaft, aber ohne Dröhnen. Sie wußten ja, wofür sie kämpften. Die heutigen Planstellen, die hier und dort neugeschaffenen Professuren für spanische Literatur und Landeskunde und sogar die steigende Zahl der Spanischlernenden in Deutschland verdanken sich auch dieser frühen Hispanistik, die sich nicht davon abschrecken ließ, daß Diktaturen in Spanien oder Argentinien den ungehinderten Austausch von Ideen behinderten. Diese Hispanistik hat das kulturelle Einheitsmoment des castellano – daß nämlich aus der Sprache der spanischen Kolonisatoren des sechzehnten Jahrhunderts die Identität der modernen lateinamerikanischen Wachstumsländer hervorging – schon vertreten, lange bevor es zur preiswerten Floskel in Tagungsreden verkam.

Heute sind die Bedingungen ganz andere. Spanien ist nicht nur eine moderne, sondern auch eine immer wohlhabendere Demokratie. Seit 1991 steht mit dem Cervantes-Institut eine zentrale Schaltstelle für die Sprach- und Kulturvermittlung zur Verfügung, die ausdrücklich nach dem Vorbild des British Council oder des Goethe-Instituts gegründet wurde. Zwar kann sich das Jahresbudget von sechzig Millionen Euro [inzwischen 103 Millionen] noch längst nicht mit den Mitteln des englischen, deutschen oder französischen Pendants messen, doch die Zahlen zeigen nach oben: mehr Sprachschüler, mehr Cervantes-Institute (darunter das im vergangenen Jahr gegründete Institut in Berlin-Mitte), eine unaufhaltsam steigende Bedeutung des Spanischen in den Vereinigten Staaten, wo die hispanics die Schwarzen als stärkste Minderheit abgelöst haben; schon zur Jahrhundertmitte wird annähernd die Hälfte des nordamerikanischen Kontinents Spanisch sprechen. Dafür muß das ehemalige Mutterland zur Kenntnis nehmen, daß nur ein gutes Zehntel der rund 350 Millionen hispanohablantes in Spanien wohnt.

Es ist den Tagungsideologen aber nicht genug. Statt mit den Zahlen nüchtern an die Arbeit zu gehen, stecken sie Geld, Zeit und Energien in hohle Rhetorik und ungehemmte Selbstdarstellung. Und mit dem panhispanischen Appell an die kulturellen Instinkte aller Spanischsprechenden dieser Welt kaschieren sie ihre Gier nach Diskurshoheit und neuen Absatzmärkten. Den Antiamerikanismus gibt es gratis dazu. Wo intellektuell so wenig hinzukommt, ist ein vierter Internationaler Kongreß der spanischen Sprache, selbst wenn er 2007 in Cartagena de Indias stattfindet, der Heimat von Gabriel García Márquez, eine ziemlich bedrückende Aussicht.“

Soweit der Artikel von damals. Ich fürchte, an diesem Befund hat sich nichts Wesentliches geändert, die Mitspieler sind nur älter geworden. Eigentlich hätte ich heute gern von den interessanten Tagungen und Kunstdebatten geschrieben, die es in den Cervantes-Instituten immer wieder gibt. Doch davon, fürchte ich, muss ich ein andermal berichten.

                                                                                     [ Fotos : Sanchos Esel ]

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