Sonntag: Generalprobe im Teatro Real von La Clemenza di Tito. Der wunderbare Thomas Hengelbrock dirigierte. Ich hatte ihn ein paar Wochen zuvor, an einem Samstagvormittag, bei den Proben kennengelernt. In der Pause erzählte er mir, all die Kürzungen im Kulturbereich, die Spanien gerade erlebe, habe er längst hinter sich. Sein Orchester zu Hause und der Chor hätten ja keine Subventionen erhalten. Man hätte immer so über die Runden kommen müssen, bei allem, den Reisen, der Ausstattung und so weiter. Und dann sagte er: „Es ist noch nicht so lange her, da hat das Ensemble auf Tourneen mit acht Leuten ein Zimmer geteilt.“ Meine Achtung vor dem Mann wuchs noch ein bisschen höher.
Am Montag war ich bei einem Konzert von El Concierto Español unter der Leitung von Emilio Moreno, Iphigenia en Tracia von José de Nebra. Der Name dieses Komponisten sagt nur Spezialisten etwas. Ich hörte einige seiner Sachen zum erstenmal vor zehn Jahren, als man seinen dreihundertsten Geburtstag beging. Bei der Deutschen Harmonia Mundi gibt es noch sein Miserere, gesungen von Marta Almajano. Sie war auch an diesem Abend im einigermaßen gefüllten Auditorio dabei und, was noch erstaunlicher war, sah genauso jung aus wie zehn Jahre zuvor. Das soll kein Kompliment sein (wie ich ihr später sagte), es ist die reine Wahrheit. Überhaupt war es eine schöne Wiederbegegnung mit Musikern, die ich aus irgendeinem Grund mehrere Jahre nicht gesehen hatte, darunter auch die Sopranistin Raquel Andueza, die in vielen Ensembles gearbeitet hat und jetzt mit ihrem Partner Jesús Fernández-Baena (der im Orchester die Theorbe spielt) das Lied des spanischen Barocks erforscht.
Entdecker sind sie alle, auch El Concierto Español. Eins dieser engagierten Orchester mit Originalinstrumenten und historischer Aufführungspraxis, die im spanischen Repertoire erstaunliche Sachen zutage fördern. Und die von den spanischen Kulturbürokraten nicht so hoch geschätzt werden wie ausländische Ensembles, weil der Spanier … nun ja, ganz gern die Bestätigung aus dem Ausland hat, dass es auch gut ist, was er da hört und sich zu Gemüte führt, er braucht Segen und Billigung fremder Experten. Emilio Moreno, Geiger und Leiter, hat früher mit Chiara Banchini gespielt, ist Fan von Boccherini (seine Einspielung der Quintette mit Gitarre ist großartig, hier können Sie den Wahnsinns-Fandango hören) und hat zusammen mit seinem Bruder, dem Gitarristen und Lautisten José Miguel Moreno, lange Zeit das Klassiklabel Glossa geleitet. Platten machen sie dort immer noch, wirklich hinreißend schöne, sorgfältig aufgenommene Musik, nur müssen die Brüder für das Geschäftliche nicht mehr geradestehen, weil sie Anteile an Glossa verkauft haben, vielleicht auch das Ganze, von diesen Dingen verstehe ich nicht viel.
Natürlich war José Miguel an diesem Abend auch da, und später, als wir in einer Bar zusammenstanden, erzählte er, er gebe nur noch zehn Konzerte im Jahr, das viele Reisen sei nichts für ihn. Emilio dagegen (das weiß ich von ihm selbst) reist noch immer um den Erdball, demnächst wieder nach Japan, außerdem liest er Deutsch, lebt in Barcelona, ist Fan von Real Madrid und rührt weder spanischen Wein noch spanischen Schinken an. Ein ungewöhnlicher Mensch. Wo war ich?
Der Dienstag. Ja. Am Dienstag war ich dann bei der Premiere von La Clemenza di Tito unter der Leitung von Thomas Hengelbrock. Er verströmt etwas so Positives, Lebendiges, Engagiertes beim Dirigieren, dass man (glaube ich) einfach gut spielen muss. Auch das Teatro Real hat viele Kürzungen einstecken müssen. Der künstlerische Leiter Gérard Mortier erzählt von den Einschränkungen mit einem gewissen Stolz. Das will er sich nicht sagen lassen, er könne nicht sparen! Doch, sparen kann er. Zum Beispiel ist der traditionelle Empfang nach der Premiere gestrichen. Kein Cava, keine Kanapees, keine Kellner mit weißen Handschuhen. Mortier selbst spendiert aber ein paar Flaschen Wein, damit man das Glas heben kann.
Das waren also drei schöne Tage: Jeden Abend Musik, und immer schwang bei mir die Frage mit: Wie lange geht das noch so, wer kann sich das leisten, wer soll die kommenden Konzerte ermöglichen, wie können die Sänger und Instrumentalisten überhaupt davon leben? Besonders im Bereich der älteren Musik, deren Markt kleiner ist und die nicht demselben Glamour verströmt wie klassische Oper. (Was Glamour betrifft, hier sehen Sie ein paar Details aus der Clemenza, es ist das alte Bühnenbild der Herrmanns, und als Sexto sieht man Kate Aldrich, als Annio die Italienerin Serena Malfi, als hochfahrende Vitellia die enorm großgewachse Amanda Majeski.)
Zwischen Dienstag und Donnerstag habe ich mich auch mit dem Künstler Hans Haacke beschäftigt, der gerade eine schöne Ausstellung im Reina Sofía bekommen hat, die man nicht verpassen sollte. Davon in ein paar Tagen, mit Bildern.
Am Samstag habe ich dann etwas ganz und gar Ungewöhnliches getan: das Heimspiel von Real Madrid sausenlassen zugunsten eines Recitals von Raquel Andueza. Beides begann um 20 Uhr, was sollte ich machen? Ich konnte nicht hier und dort zugleich sein. Man hätte aber gut beides kombinieren können, ideell, meine ich: Unser sublimer Karim Benzema ist so ein Künstler am Ball, er hätte auch neben Raquel auf der Bühne stehen dürfen.
Ihr Konzert – zusammen mit Jesús Fernández-Baena (Theorbe) und Pierre Pitzl (Barockgitarre) – bestand aus Liedern des siebzehnten und frühen achtzehnten Jahrhunderts, darunter Spanier wie Literes und José Marín, aber auch ein exquisites Lied von Lully aus dem Bourgeois Gentilhomme, und sechs Stücke von anonymen Komponisten. Ein schöner Abend in diesem kleinen Theater, das sie mit Stolz renoviert haben und wo das gebildete Publikum wirklich die Plätze füllt. Mein Bilddokument ist eher lausig, weil ich im Saal nicht fotografieren durfte, aber um des authentischen Eindrucks willen stelle ich den snapshot hierher. Später durfte ich der Künstlerin die Tasche zum Auto tragen.
Bevor ich es vergesse: Die CD von Raquel Andueza heißt Yo soy la locura, und das hätte man mehr als einmal denken können in letzter Zeit: dass diese Wochen und Monate uns meschugge machen, dass wir blöd werden im Kopf. Oder wie soll ich mir erklären, dass der erste Tag des Berufsverbots von Baltasar Garzón der 23. Februar ist, besser bekannt in Spanien als 23-F, der Tag des Putsches von 1981? Lustig, wirklich lustig. Etwa so zum Brüllen wie der Umstand, dass die letzte Parlamentswahl auf den 20. November und also den Todestag Francos gelegt wurde. Humor haben sie in diesem Land, das muss man ihnen lassen.
[ Fotos : Javier del Real (1-3), Sanchos Esel (4-6) ]
Beneidenswert Ihre Woche - ich...
Beneidenswert Ihre Woche – ich würde gern einmal tauschen. Nur die Bemerkung mit dem Berufsverbot ging etwas daneben. Garzón hat einfach etwas gemacht, was man in einem Rechtsstaat nur in absoluten Ausnahmefällen (z.B. Terrorismus) machen darf: Die Gespräche zwischen Anwälten und Klienten abzuhören. Das ist kein Berufsverbot, sondern eine gerechte Verurteilung wegen Amtsmissbrauch! Mich würde interessieren, wie Garzón und die ganze Clique um die „Memoria historica“ reagiert hätten, wenn der zuständige Richter in seinem Verfahren um die „Aufarbeitung“ der Verbrechen während der Francodiktatur auch so vorgegangen wäre …
"Es ist grotesk, dass wir...
„Es ist grotesk, dass wir Ausgaben im kulturellen Bereich “Subventionen” nennen, während kein Mensch auf die Idee käme, die Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subventionen zu bezeichnen. Der Ausdruck lenkt uns in eine falsche Richtung. Denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns entweder leisten oder nach Belieben auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert.
Und Kultur hängt auch von Personen ab, die sie ins Werk setzen sollen. Es ist ein zentrales öffentliches Interesse, dass Leute, die das können und die schon in Berlin leben, die notwendigen Entfaltungsmöglichkeiten behalten oder bekommen. Und darüber hinaus auch, dass in möglichst großer Dichte und Qualität solche Menschen für Berlin gewonnen werden, wenn sie bereit sind, sich zu engagieren, damit sie hier ihre Kreativität und ihre Kenntnisse wie ihre Weltläufigkeit in den Dienst der Kultur der Stadt und des ganzen Landes stellen.“
(R. v. Weizsäcker)
Paideia, welche Bemerkung ging...
Paideia, welche Bemerkung ging denn daneben? Ist Garzón etwa nicht zu elf Jahren Berufsverbot verurteilt worden?
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Ja, JWBG, ein schönes, hohes Weizsäcker-Wort. Der Unterschied zwischen den beiden Ausgabenposten ist nur, dass der Bau des Gebäudes einmal beschlossen und dann finanziert wird, die Kultur dagegen im Haushalt kontinuierlicher Förderung bedarf, deren Ergebnis nicht vorzeigbar ist wie ein Gebäude. Man kann es Subventionen, aber auch anders nennen. Die Bezeichnung ist gleichgültig. Notwendig sind Menschen, die Entscheidungskriterien für kulturellen Wert haben.
<p>Liebe Paideia, der...
Liebe Paideia, der sogenannte „Amtsmissbrauch“ wurde von mind. vier weiteren Personen mitgetragen, u.a. durch einen Richter des Oberen Gerichtshof von Madrid, Antonio Pedreira, und u.a. durch die Staatsanwaltschaft. Wieso wird dann nur Garzón belangt? Im Rechtsstaat. Ich finde es auffällig, dass nicht nur in der deutschen, sondern auch in der spanischen Presse, fast nur von Garzóns Verstoß gegen geltendes spanisches Recht berichtet wird. Ohne Angabe, auf welches Gesetz sich genau bezogen wird, welche Auslegungen dieses Gesetz zulässt. Und vor allem wird nicht erwähnt, wie der Fall Gürtel und seine Ausmaße auf nationaler Ebene damals durch den Richter Garzón bewertet wurden und ihn somit zu einer Entscheidung veranlassten, die anscheinend durch weitere spanische und internationale Gesetze gestützt wird/werden kann. Ich bin keine Juristin, aber das, was ich in den letzten Wochen verstanden habe, ist, dass die geltenden Gesetze es zulassen, Abhörungen in Spanien vorzunehmen, und nicht nur bei „Terror“-Verdacht, dass derartige Abhörungen nicht nur durch den Richter Garzón vorgenommen wurden, dass die Verurteilung Garzóns eine sehr enggefasste und einseitige Auslegung der Gesetzeslage ist. Paideia, ich weiß nicht, ob Sie spanisch sprechen, aber dieser Beitrag ist sehr aufschlussreich: http://www.elplural.com/2012/02/13/analisis-de-carlos-jimenez-villarejo-la-condena-de-garzon-entre-la-ignorancia-y-la-ofensa/ Ich möchte hiermit weder sagen, dass der Oberste Gerichtshof nicht Recht gesprochen hat, noch, dass dieser Fall eindeutig im Verständnis von Carlos Jiménez Villarejo zu bewerten ist. Aber solange es Juristen gibt, die die Urteilssprechung mit -meiner Meinung nach- guten Argumenten kritisieren, ihr widersprechen, weigere ich mich, die Mär von Justitias Sieg über den anmaßenden Richter zu glauben. Ich finde es einfach nur unglaublich, dass der in Jurisprudenz unwissenden Allgemeinheit weiß gemacht wird, dass jegliches Anzweifeln des Urteils gegen Garzón eine Missachtung der Rechtsstaatlichkeit darstelle!
Einverstanden - und...
Einverstanden – und Entschuldigung. Der Begriff „Berufsverbot“ ist vollkommen richtig. Ich hatte mich wohl beeinflussen lassen von seiner ideologischen Dimension als politischer Kampfbegriff, der von der Linken in Deutschland immer gern benutzt wurde, um das angeblich ungerechte Verhalten der staatlichen Institutionen infrage zustellen. Wir (ich) haben eben nicht den Humor der Spanier …
<p>Melibea hat schon viele der...
Melibea hat schon viele der Ungereimtheiten im Fall Garzón genannt. Man könnte ergänzen: den allgemeinen Skandal, dass sich der Staat zum x-ten Mal vor der Aufgabe zurückzieht, sich um die Ermordeten in den Massengräbern zu kümmern. Ich meine nicht Aufrechnen und Bestrafen. Die Verantwortlichen sind ja tot. Ich rede von Anerkennung, historischer Aufarbeitung und aktiver (nicht nur, aber auch finanzieller) Teilnahme des Staates bei der Exhumierung, wo sie gewünscht wird. All das liegt im Argen, auch deshalb, weil es selbst unter der jüngeren Politikergeneration einen völlig akzeptierten Gemütsfranquismus gibt, der den Wunsch nach juristischer Klärung mit Rache verwechselt. Jeder, der die spanischen Zeitungen lesen durfte, konnte sehen, mit welcher Häme, welch ideologischer Genugtuung das Urteil gegen Garzón aufgenommen wurde. Und es ist ja noch nicht vorbei.
Den umgekehrten Fall gibt es auch: solidarische Gefolgschaft, blinde Garzón-Verehrung ohne Blick für seine metaduras de pata. Ein Symbol dafür ist der Goya-Preis für den eher unerheblichen und kunstfreien Dokumentarfilm Escuchando al juez Garzón von Isabel Coixet. Jedes politische Milieu vollzieht eben seine Turnübungen.
Nun ja. Garzón ist ja auch...
Nun ja. Garzón ist ja auch nicht dafür verurteilt worden, weil er die Verbrechen der Francozeit untersuchen wollte, sondern wegen der Abhörungen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist sicherlich noch eine offene Frage, die durch die Gesetze aus der Zeit der transición eher verhindert wird. Eine Sache ist sicherlich die juristische Klärung von Schuld (nicht alle Verantwortlichen für die Massenermordungen sind tot – Santiago Carillo ist noch sehr lebendig!), eine andere Sache aber ist eben die historische Aufarbeitung der Geschehnisse. Hier stimme ich darin überein, dass das Niveau der Auseinandersetzung zu wünschen übrig lässt.
Wegen der...
Wegen der Franquismus-Aufarbeitung drohen Garzón zwanzig Jahre! Das ist schon sehr schweres Geschütz. Man kann über die juristische Rechtmäßigkeit seiner Argumentation streiten; man kann und muss auch die Frage stellen: Wiegt das Amnestiegesetz von 1977 mehr als ein von Garzón angenommenes Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Oder wiegt es weniger? Aber das sind juristische Fragestellungen, wie gesagt, theoretische Debatten, wie sie einer demokratischen Gesellschaft würdig sind (und deren Ergebnis sich im Gerichtsurteil spiegeln sollte). Sie werden jedoch leider nicht geführt. Man zieht es vor, den unbequemen Mann per Gerichtsurteil abzuservieren. Ich bleibe bei meiner Vermutung, dass der Hass auf Garzón nicht nur im rechten Spektrum der Gesellschaft, sondern auch in der spanischen Richterschaft gewaltig sein muss. Seine Fehler übersehe ich nicht, und zu Heldenverehrung besteht kein Anlass. Warum aber erleben wir es in Spanien, dass ein Ermittlungsrichter auf die Anklagebank muss, während mutmaßlich korrupte Politiker, deren Verwicklung in Bestechungsfälle Garzón untersuchte, freigesprochen werden? Ein guter Teil der Gesellschaft und auch die internationale Öffentlichkeit nehmen diese Vorgänge mit Verständnislosigkeit zur Kenntnis.
Vom rein ... nun, vom rein...
Vom rein … nun, vom rein visuellen Standpunkt her gesprochen … bin ich aber doch sehr froh, daß die Herren Pierre und Jesús neben Raquel Andueza stehen durften und nicht etwa Karim Benzema! Davon abgesehen, daß Karim nun wirklich genug zahlendes Publikum hat, welches seinen sublimen Künsten huldigt. Ebenso wie die Opernsänger. Da ist es doch auch immer voll, im Teatro Real meine ich, obwohl man auf gefühlten 90 Prozent der Plätze la „visibilidad muy reducida o nula (menor comodidad)“ hat. Ach so? Das muß so sein? Das ist in X, Y und Z auch nicht anders? Mir egal. Ich leide darunter!
Die Bewältigung von...
Die Bewältigung von Vergangenheit ist immer ein Problem (schon der Terminus scheint mir unpassend zu sein) und jedes Land entscheidet sich für seinen Weg. Von außen betrachtet wirkt der spanische Umgang mit seiner Vergangenheit (oder besser gesagt die Weigerung dessen) sehr verstörend. Aber ist es in Deutschland besser gelaufen? (Wie viele Nazirichter haben noch jahrzehntelang in der BRD gearbeitet. Z.B.)
Ich vergleiche die Situation hier mit Österreich. Dort hat es über 40 Jahre gedauert, bis man zaghaft begann, sich der Vergangenheit zu stellen (Waldheim!)
Und trotz besseren Wissens finde ich es widerlich, mit welcher Starköpfigkeit in Spanien in beiden Lagern nach wie vor argumentiert wird. Dass man immer noch -mit in der Francodiktatur gefälschten Beweisen- gegen Ex-Politiker Stimmung macht wäre nur ein Beispiel dafür.