Neueste Nachrichten: Baltasar Garzón vom Obersten Gerichtshof freigesprochen. Der Ermittlungsrichter habe sich bei seiner Untersuchung der Verbrechen des Franquismus im Jahr 2008 zwar „geirrt“, sagen die obersten Richter mit 6:1 Stimmen, aber nicht sein Amt missbraucht. Ein Trost?
Wir hatten das Ergebnis erwartet. Einem Mann, über den seit letzter Woche ein elfjähriges Berufsverbot verhängt ist, muss man nicht zwanzig Jahre mehr aufbrummen. Garzón wird ohnehin im Rentenalter sein, wenn er seinen Beruf wieder ausüben darf.
Pro oder contra? Noch immer habe ich keinen genauen Überblick über die juristische Stichhaltigkeit der einen Meinung wie der anderen. Ich meine: Die Vernichtungspolitik des Franquismus als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu bezeichnen kommt mir nicht so exotisch vor. Ich frage mich aber zugleich, ob Garzón nicht das Gelände hätte besser sondieren müssen, um zu erfahren, inwiefern seine These dem Amnestiegesetz von 1977 widerspricht. Es ist seltsam: Wenn immer ich jemanden frage, ob er glaube, dass Garzón dieses bedeutende Verfahren gut aufgebaut und klug begonnen habe, bekommt mein Gegenüber glasige Augen. Die Menschen reden lieber von politischen Motiven (bei Garzón, bei seinen Gegnern). Es scheint mir aber wesentlich wichtiger (auch wenn ich die politischen Motive nicht leugne), die juristische Argumentation zu verstehen. Sofern es sie gibt und sie nicht wiederum rein politisch gefärbt ist.
Am letzten Samstag ist keine Ausgabe von Público mehr erschienen. Die Schulden waren zu hoch, neue Investoren fanden sich nicht. Ich bedauere sehr, dass dieses Blatt vom spanischen Markt verschwunden ist. Die symbolische Bedeutung ist unübersehbar: Die Zapatero-Jahre sind vorüber, der Himmel ist trüb-dunkel, und jeglicher progressiver Stimmung in Spanien darf in diesen Wochen entgegengehalten werden, es sei kein Geld für irgendetwas da, schon gar nicht für … (Bitte Zutreffendes ankreuzen.) Natürlich sind auch die indignados des 15. Mai ins Schlupfloch gekrochen; vermutlich erstehen die buntscheckigen sozialen Bewegungen des vergangenen Sommers als Massenstreik wieder auf, wenn nämlich die Zumutungen flagrant und die Kürzungen (besonders im Bildungs- und Gesundheitswesen) unerträglich werden.
Da ich Selbstzitate umständlich zu rechtfertigen pflege, hier meine Begründung dafür, dass ich weiter unten noch einmal einen älteren Artikel über meinen Besuch bei der soeben eingegangenen Zeitung Público anfüge: Eine andere Zeit schaut mich aus diesen Sätzen an; die Ahnung eines gesellschaftspolitischen Projekts; eine gewisse Hoffnung, die noch nicht von Immobilienkrise, Finanzkrise, Anzeigenkrise und Massenarbeitslosigkeit erstickt war. Das Erscheinungsdatum des Artikels ist der 9. Oktober 2007.
Der Büroturm im Madrider Norden sieht ziemlich neu aus, aber nicht so neu, dass er am Eingang nicht die Namensschilder der Firmen trüge, die hier ihren Sitz haben. Nur die Tageszeitung „Público“, der jüngste Mieter, hat noch keinen. Es gebe da noch ein Problem, sagt Thilo Schäfer, der uns am Eingang begrüßt, man habe doch gerade erst angefangen. Schäfer selbst, früherer Wirtschaftskorrespondent der „Financial Times Deutschland“ in Madrid, hat Anfang August bei „Público“ angeheuert. Man hört das in den nächsten beiden Stunden immer wieder. „Wir haben die Mannschaft erst seit zwei Monaten beisammen. Wir haben wie die Wahnsinnigen auf den ersten Erscheinungstag hingearbeitet, aber nicht damit gerechnet, dass es wirklich funktioniert. Dann kam der 26. September, und wir hatten eine Zeitung. Wir können es selbst kaum glauben.“
Tatsächlich wirkt die Sache wie eines der typischen spanischen Improvisationswunder. Auf der Büroetage von „Público“ hängen lose Kabel von der Decke. Wo einmal Marketing und Werbung aktiv sein sollen, sitzt heute noch niemand. Ein paar Schritte weiter jedoch ist Gesumm und Tastenklicken zu hören. Wir betreten ein Großraumbüro für rund hundertdreißig Redakteure, die Mannschaft, die für die neueste kühne Tat des spanischen Zeitungsmarktes zuständig ist: 250 000 Exemplare täglich zum Dumpingpreis von 50 Cent. Erstmals seit dreißig Jahren erscheint damit ein neues Konkurrenzblatt von links. Bisher hatte „El Pais“ nach dem Untergang von „Diario 16″ den Markt für sich allein.
Ein hübscher Anblick, wie schnell Journalisten blitzblanke Arbeitsflächen und nagelneuen Teppichboden mit Unordnung überziehen können. Doch insgesamt geht es erstaunlich leise zu. Man kennt einander noch nicht so gut. Oder bedeutet der Ausdruck auf den Gesichtern stille Zufriedenheit? Einige hier sind durch die Offerte von „Público“ aus miserabel bezahlten Pauschalistenverträgen herausgekommen. Bei „Público“ beträgt der Mindestlohn 25 000 Euro im Jahr. Das neue Blatt hatte offenbar keine Mühe, sich bei der Konkurrenz eine Schar gestandener Journalisten zusammenzukaufen.
Neugründungen von Tageszeitungen sind in Spanien üblicher als in Deutschland. Man ist experimentierfreudiger und reagiert schneller auf gesellschaftliche Veränderungen. Der gegenwärtige Marktführer „El País“ wurde 1976 gegründet, kurz nach Francos Tod. „El Mundo“ wiederum, die Nummer zwei, kam erstmals 1989 auf den Markt und stellte eine Reaktion auf die Skandale der Sozialisten und die publizistische Vorherrschaft von „El País“ dar. Gleichwohl findet Ignacio Escolar, der Chefredakteur von „Público“, der spanische Zeitungsmarkt des zwanzigsten Jahrhunderts sei gescheitert. „1936, beim Ausbruch des Bürgerkriegs, wurden drei Millionen Exemplare verkauft. Und heute, bei größerer Bevölkerung und verschwundenem Analphabetismus, sind es immer noch drei Millionen Exemplare! Etwas ist schiefgelaufen.“ Womit der Einunddreißigjährige auch sagen will: höchste Zeit für einen neuen Versuch.
Escolars Stichwort heißt „Käufer“. Die letzten Jahre haben Spanien den Aufstieg der Gratiszeitungen beschert, allen voran das Blatt „20 minutos“, das selbst „El País“ in der Auflagenhöhe den Rang abgelaufen hat. Aus drei Millionen Käufern der hergebrachten Tagespresse sind plötzlich sechs Millionen Leser geworden. Exakt in der Mitte zwischen dem Wochentagspreis der etablierten Zeitungen (ein Euro) und den Gratisblättern liegen die fünfzig Cent von „Público“. Ein Preis, der lange Bestand haben soll, auch wenn manche Kioskbetreiber, deren Kommission von zwanzig Prozent natürlich ebenfalls halbiert wird, das Blatt boykottieren. Die Firma Mediapubli, eine Tochter des Konzerns Mediapro, der mit Fußballfernsehrechten viel Geld verdient, hat angeblich Atem für fünf Jahre. Ab dann muss „Público“ schwarze Zahlen schreiben.
Ignacio Escolar hat bei verschiedenen Sendern Fernsehen gemacht, in Lateinamerika gearbeitet und schreibt nach eigener Aussage den „meistbesuchten Blog Spaniens“. Die Kombination aus Zeitung und Internet ist für das neue Blatt selbstverständlich, auch die Redakteure sind darauf eingestellt, in wechselnder Gewichtung für beide Medien zu arbeiten. Dem Layout im landesüblichen Tabloid-Format sieht man es an. Täglich wird auf der Titelseite eine Hauptnachricht privilegiert, andere erscheinen in Blöcken darüber oder darunter. Der Gesamttext der Titelseite beträgt kaum mehr als vierzig Zeilen. Oben neben dem Zeitungskopf prangt programmatisch ein Aquarell von Miquel Barceló, dem berühmtesten spanischen Künstler seiner Generation, es zeigt eine Menschenmenge. An dieses público, den großen gesellschaftlichen Plural, wendet sich „Público“.
Im Blattinnern herrschen Buntheit, Balkenlettern, große Fotos, fette Linien und knappe, doch konzentriert geschriebene Texte vor. Kein Ausbund an Eleganz, eher ein moderner Rummelplatz, auf dem der Leser den Kopf alle fünf Sekunden in eine andere Richtung dreht. Das katalanische Büro, das für das Gesamtdesign verantwortlich zeichnet, hat auch die Neugestaltung von „Clarín“ aus Buenos Aires und dem in Barcelona erscheinenden „Periódico de Catalunya“ besorgt. „Wir wenden uns an Leser, die viele Informationsquellen haben“, erklärt der Chefredakteur, „Fernsehen, Internet, Mobiltelefon, Magazine, Tageszeitungen. Wir wählen aus, bereiten auf, spitzen zu.“
Bisher beschäftigt das Blatt zehn Auslandskorrespondenten. Der Schriftsteller Rafael Reig, bis vor kurzem ein vielgelesener Kolumnist bei „El Cultural“, verantwortet die Seite „Teilnahme“, wo er täglich ins Gespräch mit den Lesern tritt. Dem Kulturchef Juan Manuel Costa, der früher für „ABC“ aus Berlin und London berichtete (und exzellente Sprachkenntnisse vorweisen kann), stehen jeden Tag sechs Seiten zur Verfügung. „Kulturen“ nennt sich das Feuilleton, mit programmatischem Plural. Daneben erscheinen eigene Seiten für Bücher, Kino, Musik, Geschichte und Forschung. Es müsse mehr Recherche her, formuliert Costa als Ziel seiner Arbeit, spanische Feuilletons begnügten sich allzu sehr mit der getreuen Reproduktion des Veranstaltungsbetriebs.
Mehrere Faktoren sprechen für die Chancen des neuen Blattes. „El País“, das Leitmedium des Landes, ist in die Jahre gekommen und zeigt Züge von „Prawda“-ähnlicher Orthodoxie. Die Bindung an die Zapatero-Regierung ist zu eng, um Subversivität zu erlauben; Abweichler werden hinausgedrängt. Bei „Público“ argumentiert man zwar von links, aber nicht regierungsnah. Wie ein Supplement am ersten Erscheinungstag erklärte, richtet sich die Zeitung an junge Leser, was sich in den Leitbegriffen der Themengestaltung widerspiegelt: Modernität, Gleichheit, Transparenz, Umweltbewusstsein, Integration, Laizismus. Alle Leitartikel sind namentlich gezeichnet. Eine Redaktionslinie gibt es angeblich nicht. Als einzige große Tageszeitung verzichtet „Público“ auf das Anzeigengeschäft mit Prostituierten und Bordellen, ebenso auf die Berichterstattung über Stierkampf. Schon dies könnten Signale sein, wohin der Weg des modernen Spanien führt.
Uff. Das liest sich wie ein kleiner Traum über den Journalismus der Zukunft. Ob ich damals so optimistisch sein durfte, weiß ich nicht, aber lieber zu positiv als zu verkniffen. Leider hat Mediapubli beziehungsweise das Mutterhaus Mediapro gerade mal die fünf Jahre durchgehalten, die angekündigt waren. Heute sieht ja insgesamt alles etwas düsterer aus, wenn ich die oft verkrampften Popularisierungsbemühungen der spanischen Presse betrachte. Dennoch will ich meinen Glauben, dass der Anteil intelligenter Menschen an der Bevölkerung eines Landes ungefähr gleich bleibt, nicht aufgeben; die Frage ist, ob diese Menschen Einfluss nehmen und sich hörbar machen.
Gestern hatte ich einen interessanten Tag. Erst war ich in Vallecas, um meiner Mannschaft zuzuschauen, danach im Vicente Calderón, um den FC Barcelona zu sehen. Beide Spiele wurden durch je ein geniales Kunststück der Superstars entschieden. Als ob es zum Thema gehörte, habe ich ein paar Fotos aus der Partie von Vallecas ausgesucht. An ihnen erkennt man nicht nur, was für eine tolle Kamera ich habe, sondern auch, wie nah der Zuschauer am Geschehen sitzt. Die tiefere symbolische Deutung dieser Bilder in Bezug auf die soziale Lage in Spanien überlasse ich Ihnen.
[ Fotos : Sanchos Esel ]
Sicherlich ist das trotzige...
Sicherlich ist das trotzige Weiterführen der Online-Ausgabe von „Público“ nur ein letztes Aufbäumen, aber wir wollen es nicht unterschlagen.
Nein, Dulcinea, das wollen wir...
Nein, Dulcinea, das wollen wir nicht. Aber erstens wird es nicht ewig währen, wie zu befürchten ist. Und zweitens kann das nur das Umwälzen und Kompilieren von Nachrichten sein, keine eigene Recherche. Ich werde die Online-Ausgabe dennoch im Auge gehalten.
Die drei Jungs von Rayo...
Die drei Jungs von Rayo Vallecano sind jedenfalls sehr schön getroffen. Und Özil (der im Schatten) auch! Das wollte ich unbedingt noch angemerkt haben. Eine neue Ära der Bildberichterstattung auf Sanchos Esel ist angebrochen. Und wir sind dabei!
Also ich finde Soraya Sáenz...
Also ich finde Soraya Sáenz de Santamaría (S³? SSdS?) und CR7 besonders gut getroffen. Ich nehme an, Letzteres war von Sanchos Esel nicht ungewollt 😉 Aber als Berichterstattung eines Doppelspielnachmittags fehlt mir etwas, sozial-symbolische Lage in Spanien hin oder her: Möchten Sie nicht etwas zu nicht gegebenen Elfmetern, vermeintlichen roten Karten, Abseitstore und sonstige Polemik berichten, wie es sich bei einem echten forofo gehört?
<p>Das steht in meinem...
Das steht in meinem heutigen Spielbericht in der Zeitung. Die Tat von Sergio Ramos etwa. Oder die picardía von CR7 und Messi.
Gut, dann ziehe ich los und...
Gut, dann ziehe ich los und kaufe die Papier-FAZ. Soll keiner sagen, die on-line Ausgabe kanibalisiere die Papierausgabe.
<p>Eine löbliche Einstellung!...
Eine löbliche Einstellung! Damit es uns nicht so ergeht wie Público.
Den Klassenkampf wohl...
Den Klassenkampf wohl unterschätzt
.
Garzón hat nicht nichtjuristisch argumentiert. Hier ein Beispiel für: https://diepresse.com/home/panorama/welt/423373/FrancoVerbrechen_Richter-erklaert-AmnestiewbrGesetz-fuer-nichtig. Die francistische Rechte scheint im postfrancistischen Staatsapparat aber fest verankert zu sein. Nicht unähnlich darin dem Nachkriegsdeutschland. Man könnte Garzón daher eher den Vorwurf machen, und der würde passen auf jeden bürgerlichen Juristen, dass er eben den Aspekt des Klassenkampfes, also den politischen Aspekt, unterschätzt, d.h. sich selbst überschätzt (und damit auch den Demokratiegehalt des bürgerlichen Staates). Hat er sich ausreichend der Unterstützung der antifaschistischen Kräfte versichert? Oder spielt hier er den Zoro?
Devin08, ich würde wetten,...
Devin08, ich würde wetten, dass sich Garzón nicht ausreichend Unterstützung gesichert hat. Wichtiger wäre aber wohl die Unterstützung der rechten, nicht der linken Kräfte gewesen, und die kann man nicht kriegen, wenn man die Korruptionsfälle von PP-Politikern untersucht. Ob das Wort „Klassenkampf“ weiterhilft, weiß ich nicht. Offenbar hat Garzóns Eitelkeit auch eine wichtige Rolle gespielt. Das Ganze ist in seinen Winkelzügen und seiner politischen Vergröberung eine sehr spanische Geschichte.
Ich fand diese Woche diesen...
Ich fand diese Woche diesen Artikel sehr interessant: https://politica.elpais.com/politica/2012/03/01/actualidad/1330605394_737696.html