Das Wort „Konzeptkunst“ ist eine der schlimmeren Schöpfungen des Marktes für Ästhetika. Klar, es kommt von conceptual art, schon begriffen. Es ist nur eine Übersetzung, und da sie auch schon ein halbes Jahrhundert alt ist, wird sich nichts mehr gegen das Wort unternehmen lassen. Aber es ruft so ausgesprochen mehlige Assoziationen, etwas so durch und durch Kunstloses auf, dass es einen niederdrücken könnte.
Wenn da nicht die Konzeptkünstler selbst wären. Einer von ihnen, der fünfundsiebzigjährige Hans Haake, ist zurzeit in einer großen Ausstellung im Reina-Sofía-Museum in Madrid zu sehen. In der Zeitung war schon ein Bericht von dieser großen Werkschau zu lesen, auch wurde ausführlich über das Hauptwerk gesprochen: die mehrere Säle umfassende Installation „Luftschlösser“, mit der Haake auf den zusammengebrochenen spanischen Immobilienmarkt und seine Folgen reagiert hat.
Kurz gefasst, handelt es sich dabei um eine künstlerische Darstellung – mit Fotos, Videowänden und einem Wald von Grundbuchauszügen – moderner städtischer Ruinenkultur. Im Neubauviertel „Ensanche de Vallecas“, gleich neben dem traditionellen Arbeiterviertel im Madrider Süden, stieß Haake nämlich auf eine seltsame Erscheinung: dass die Straßen einer frisch geplanten Siedlung nach Kunstströmungen benannt sind – Straße der gegenständlichen Kunst, Straße der expressionistischen Kunst, ja, selbst Straße der Konzeptkunst! Die Leute hatten mal etwas Großes vorgehabt mit diesem Viertel, es sollte Ateliers und Galerien dort geben, Kinderwerkstätten, und nicht nur sollten Künstler preisgünstig in diesem Viertel leben können, man sollte den Straßen und Häusern auch ansehen, dass hier bewusste, ökologisch und nachhaltig denkende Menschen wohnten.
Nun, heute wohnt dort eben kaum jemand. Viele der großspurig geplanten Gebäude sind nur Rohbauskelette, nackte Türme, durch die man hindurchschauen kann, daneben gibt es viele leergefegte Flächen, Zäune, die ein Nichts umschließen, Bänke, Straßenlaternen, Ödland, Müll, umgefallene Straßenschilder – und natürlich weiterhin die etwas hochtrabenden, ehrgeizigen Straßenbezeichnungen, der wahre Ausdruck des geradezu lächerlichen Kontrasts zwischen Traum und Wirklichkeit. Die Trostlosigkeit solcher Ruinenlandschaften ist uns in Spanien ein vertrauter Anblick geworden.
Ich frage mich, ob es tröstet, dieses Elend in Kunst verwandelt zu sehen. Inzwischen glaube ich: ja. Es kann nicht schaden, nachzudenken über das, was schiefgelaufen ist, man muss versuchen, es zu objektivieren. Vielleicht lässt sich dadurch verhindern, dass die eigene Phantasie den Verlust des Hauses nur als Schicksalsschlag nimmt, statt das Systemhafte darin zu erkennen.
Um dieses Systemische ging es Hans Haake immer, wenn ich die Arbeiten aus vierzig Jahren, die in der Madrider Ausstellung zu sehen sind, richtig deute. Und war es früher leicht, Haakes Werk mit dem Etikett „Kapitalismuskritik“ zu behängen, glaube ich jetzt eher, dass er lediglich ins Recht gesetzt wurde durch die Katastrophen der letzten Jahrzehnte. Denn diese Kunstwerke haben schon früh propagiert, dass wir nicht in einer geteilten Welt, sondern einer einzigen leben – so der schwarze Kubus, der vom Engagement einer internationalen Werbeagentur im von der Apartheid beherrschten Südafrika handelt.
Oder die gigantische Zigarettenschachtel, die von der Interessenpolitik der großen Tabakkonzerne erzählt, von einem seinerzeit berüchtigten amerikanischen Politiker und den Kompromissen, die auch sogenannte Demokraten um des Geschäfts willen zu schließen bereit sind.
Oder die Erinnerung an die wirtschaftliche Basis einer berühmten Kölner Kunstsammlung, die Umstände des Mäzenatentums, kurz: das materielle Standbein einer erlesenen philanthropischen Haltung, die im Betrachten großer Malerei ein Mittel zu Vervollkommnung des Menschen sieht.
Am Ende ist es schön, dass der Künstler Hans Haake seit vielen Jahren auch dasselbe konkrete Zeichen des Protests und der Ermutigung setzt: einen Grashügel, den er im Museum selbst wachsen lässt. Vierzehn Tage vor Eröffnung wurde das Hügelchen begossen und gepflegt, damit etwas daraus sprieße. Und da ist es nun: Grass Grows. Allein der Blick auf dieses saftige helle Grün verbietet es, ein Wort wie „Konzeptkunst“ zu sprechen oder zu schreiben.
[ Fotos : Hans Haake / Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía ]
Hyperrealismusstraße. Wer ......
Hyperrealismusstraße. Wer … wer kommt auf solche Straßennamen? Das hat alles fast etwas Sozialistisches. Ob über die Hyperrealismusstraße auch einmal Gras wächst?
Sozialismus oder Traum,...
Sozialismus oder Traum, Dulcinea. Beides. Oder vielleicht ist es eins.
Sie meinten Alptraum?...
Sie meinten Alptraum?
Danke fuer die Anregung, Don...
Danke fuer die Anregung, Don Paul. Die Ausstellung habe ich mir fest vorgenommen. Vielleicht mit einem vorherigen Besuch in der Hyperrealismusstrasse, um die Luftschloesser noch am Boden zu sehen.
Wer sich noch fuer andere Kunst interessiert, dem kann ich die Chagall Ausstellung im Thyssen-Bornemiza sehr empfehlen. Wie immer zweigeteilt, der eine Teil im Museum selbst, der andere – fuer lau – in der Fundacíon Caja Madrid.
Ich würde gerne in der...
Ich würde gerne in der Dadaismus Str. oder in der Surrealismus Str. wohnen. Klingt gut. In der Luftschlossstr. oder in der Konzeptkunststr. a priori hingegen weniger. Im Detail hinge es natürlich von der Wohnung (Lage, Ausstattung, Aussicht, Nachbarn…) und vor der Höhe der Miete ab.
Schon ein interessanter...
Schon ein interessanter Zeitgenosse, der Marías, danke für das Interview mit ihm heute, Paul Ingendaay. Ich habe ja nicht annähernd alle Bücher von ihm gelesen, und noch weniger zu Ende gelesen, aber seine Romane haben bei aller Redundanz eine bemerkenswerte Imaginationskraft, Marías‘ Welt ist magisch.
Habe gerade aufgestöbert, dass er der aktuelle señor R der Real Academia Española ist, und dann herausgefunden, dass sich die Real Academia aus 46 académicos de número zusammensetzt, die auch Inmortales genannt werden und je einen Sitz mit einem Buchstaben des spanischen Alphabets (Majuskeln und Minuskeln) bekleiden – sprachlogisch nicht ganz sauber scheint mir, wäre dann nicht acádemicos de letra richtig? –
Wie auch immer, bemerkenswert finde ich auch das Foto dieser Sitze, sillones, die eine Tafelrunde bilden (Gralsritter).
https://www.rae.es/rae/gestores/gespub000001.nsf/voTodosporId/8DD1D2BAF1CC6DD4C12571460039667F?OpenDocument
Was ich nicht übersetzen will, weil man es ja nicht besser sagen könnte, ist die Mission der Real Academia: «tiene como misión principal velar porque los cambios que experimente la Lengua Española en su constante adaptación a las necesidades de sus hablantes no quiebren la esencial unidad que mantiene en todo el ámbito hispánico».
Bei einem Interview mit Marías würde mich stärker seine Position zur Arbeit an / mit der spanischen Sprache interessiert haben. Seine Statements zu tagespolitischen Themen oder albernen chauvinistischen Debatten in der spanischen und deutschen Boulevardpresse finde ich dagegen uninteressant. Außerdem mag man es für einen Widerspruch zu seinem schriftstellerischen Anspruch halten, den er doch zum Schluss des Interviews deutlich macht: „Die Gegenwart interessiert mich nicht im naturalistischen Sinn, weil ich glaube, dass sich die wesentlichen Konflikte gleich bleiben.“ Schade, diesen Statement so viel Platz in der FAZ einzuräumen, und dafür den Sprach-Künstler Marías so in den Hintergrund treten zu lassen.
stefanmadrid, anders als Sie...
stefanmadrid, anders als Sie fanden zahlreiche Leser die Aussagen des Autors zum spanisch-deutschen Verhältnis interessant. Ich will Ihnen das nicht vorschreiben, nur anmerken, dass dieses Interesse vielleicht nicht ganz unverständlich ist. Das Interview selbst fand, wie zu lesen war, aus Anlass des neuen Romans statt, der soeben in deutscher Übersetzung erschienen ist. Darum sollte es also ebenfalls gehen. Und die Spanische Akademie, so faszinierend das Thema sein mag, habe ich in der Zeitung schon vor Jahren behandelt, als Marías nach dem Tod seines Vaters aufgenommen wurde. Was nicht ausschließt, es bei Gelegenheit noch einmal zu tun. Danke für Ihr Verständnis.
Wenn man sich das Gebiet...
Wenn man sich das Gebiet Ensanche de Vallecas anschaut, muss man sich schon fragen, warum es keine „Calle del Cubismo“ gibt. Das wuerde den einfallslosen Wohnblocks doch am ehesten gerecht. Ich habe vor ein paar Wochen mit einem spanischen Architekten gesprochen, der sich um die Erneuerung und Wiederbelebung der alten spanischen Bauweise bemueht, mit richtigen Steinen, wie es sie frueher in den Doerfern gab. Er beklagte, das in Spanien keine Häuser mehr gebaut wuerden, sondern „contenedores con calefaccíon“.
Dust to dust....
Dust to dust. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/lexika-die-encyclopaedia-britannica-gibt-es-nicht-mehr-als-buch-11684218.html
Und Glut zu Asche: Ich weiss,...
Und Glut zu Asche: Ich weiss, wo es eine Britannica aus Papier noch gibt. Dort wird sie wohl auch bleiben.