Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Real Madrid Campeón oder Die Party

| 21 Lesermeinungen

Ich habe mir gesagt: Wann werde ich es wieder erleben, dass Real Madrid spanischer Meister wird? Also bin ich bei grauem Himmel zur Plaza de Cibeles gezogen, um den Spielern und den Fans beim Feiern ihres Titels zuzusehen.

Ich habe mir gesagt: Wann werde ich es wieder erleben, dass Real Madrid spanischer Meister wird? Also bin ich bei grauem Himmel zur Plaza de Cibeles gezogen, um den Spielern und den Fans beim Feiern ihres Titels zuzusehen. Ich glaube nicht, dass es der Vorbereitung auf die letzten beiden Ligaspiele guttut, aber nachdem Mourinho uns eingehämmert hat, diese Meisterschaft sei wirklich verdient und wahnsinnig viel Arbeit und eine echte Heldentat gewesen, was er bei den letzten drei Meisterschaften des FC Barcelona naturgemäß nicht angemerkt hat … Gut, habe ich mir gesagt, ich gehe hin. Sollen sie ausgelassen sein. Es sind junge Männer.

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Die heutige Zeit zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass alle von allem und jedem Fotos machen. Auch Fotos fotografierender Menschen sind weit verbreitet. Leben, um es zu dokumentieren! Die digitalen Datenmengen, die bei einem Großereignis wie einer öffentlichen Meisterschaftsfeier in der Madrider Innenstadt innerhalb einer einzigen Stunde produziert werden, kann sich kein Mensch mehr vorstellen. Auch Sanchos Esel nicht. Schlimmer, der Esel trägt sogar noch zur Aufblähung der digitalen Datenbestände bei, indem er seinerseits wie ein Wahnsinniger fotografiert. Ohne große Feinheiten, das ist hier ja bekannt, eher im Freistil. Aber ein paar hübsche Eindrücke sind doch dabei zusammengekommen.

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Der Kletterer im Gegenlicht hat etwas Poetisches. Er klammert sich an eine Ampel. Das Lustige war, dass sie in Betrieb war. Die Polizei hatte Wichtigeres zu tun, als den Mann herunterzuholen. Was das gewesen sein könnte, ist mir aber nicht klargeworden. Als ich die C/Alcalá hinunterging, sah ich, wie junge Männer eine Wanne mit gekühlten Getränken auf den Gehsteig schoben. Sie sahen sich lauernd um, ob niemand guckte. Aber die Polizei hatte Wichtigeres zu tun, als sich um nicht genehmigten Straßenverkauf zu kümmern. Sanchos Esel wiederum genoss den schönen Anblick der dunklen Wanne auf dem nassglänzenden Gehsteig. Wäre ein Dichter zur Hand gewesen, er hätte entweder Özils Steilpässe besungen oder diese Wanne. Ich bin ganz sicher.

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Es blieb der einzige stille, besinnungsvolle Moment. Das wusste ich natürlich nicht, als ich die Straße hinunterging. Weiter unten sah es aber so aus, wie Sie hier sehen können. Es war voll, und die Menschen drängelten sich. Glücklicherweise hat es definitiv aufgehört, dass man in solchen Menschenmengen Stöße und Knüffe abbekommt. Dafür haben die Leute gar keine Arme mehr. Denn die Arme sind in die Höhe gereckt. Die Arme halten Kameras. Schauen Sie mal auf das Foto unten, die Zone vorne links. Ich sage nur: Bildgesellschaft. Wir sind eine Gesellschaft, die auf Bilder versessen ist.

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Als dann die Spieler kamen, hat Sanchos Esel einfach auf den Auslöser gedrückt, was er konnte, gewissermaßen mit grobem Huf. Genau hinschauen konnte man sowieso nicht. Später am Bildschirm sah ich dann, was da alles drauf war.

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Zum Beispiel der nachdenkliche Xabi Alonso in der Bildmitte. Irgendwie sieht er immer so aus, als wäre er erwachsener und erfahrener als andere, als wüsste er vom Leben viel mehr und vor allem anderes als seine Kollegen. Er betrachtet den Rummel vor seinen Augen und denkt sich: Und? Was hat mir das jetzt zu bieten? War das schon alles?

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Ganz anders als der ausgelassene Marcelo.

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Oder Di María, Pepe und Cristiano Ronaldo (während Mourinho sich gerade über einen Böller erschreckt oder eine Ladung Konfetti).

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Oder Khedira und Özil. Natürlich sollte sich jeder so verhalten, wie er sich fühlt. Übrigens sind im Netz jede Menge Fotos zu sehen, die die Spieler selbst gemacht haben. Sie haben sich ständig gegenseitig fotografiert und die Feierfotos dann auf Facebook oder Twitter gestellt. Das macht Sanchos Esel nicht. Er stellt nichts auf Facebook oder Twitter.

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Das sollten Sie auch noch sehen, finde ich. Unseren Kapitän im Konfettischneetreiben. Ich bin stolz auf ihn. Genauso wie damals auf Raúl. Wenn ich an Real Madrid denke, dann an Spieler wie Iker Casillas.

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Und weniger an Leute wie den Herrn rechts. Obwohl ich seine beträchtliche demagogische Begabung nicht leugne. Das wäre einen eigenen Artikel wert.

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Man sah ihn auf der Feier auch mit Sohn, was die Legende des „anderen“ oder „privaten“ Mou nähren mag. Es gibt Leute, denen das wichtig ist. Dass jemand neben seiner knallharten Berufsexistenz noch eine private, weiche Seite hat, wo man angeblich den „wahren“ Mourinho zu sehen bekommt. Was mir dazu einfällt, ist das, was die Engländer zu sagen pflegen: That’s not here nor there. Es ist mir egal. Was zählt, is aufm Platz. Und da werden wir noch etwas zu hören und lesen bekommen. Ich kündige es hiermit schon einmal an.

Unter den Fans (früher sagte man Anhänger, noch früher sagte man „Schlachtenbummler“, ein farbiger Begriff, der leider in die Mottenkiste gewandert ist) interessierten mich vor allem die Frauen. Ihr alle mögt Real Madrid?, fragte ich mich, während ich die Schlachtenbummlerinnen verschiedenen Typs aufmerksam studierte. Ihr alle seid hierhergekommen? Das ist aber schön. Oder mögt ihr nur Cristiano Ronaldo?

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Zum Beispiel sie.

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Oder sie.

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Oder auch sie.

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Oder diese konzentrierte Fotografin.

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Die naturgemäß nur eine von vielen Fotografinnen war. Wirklich, sie ließen sich einfach nicht ablenken. Vielleicht sitzen all diese fotografierenden Schlachtenbummlerinnen gerade jetzt, während ich dies schreibe, auch an ihrem Madrider Schreibtisch und verfassen einen Blogeintrag, den sie mit ihren schönsten Fotos garnieren. Wer weiß, vielleicht haben sie ja Sanchos Esel beim Fotografieren fotografiert! Nicht auszudenken. Man sieht schnell eselshaft aus, wenn man beim Fotografieren fotografiert wird. Man hat keine Augen und keine Sinne mehr für die Umwelt, weil man unbedingt diesen einen winzigen Ausschnitt aus der vorbeizischenden Zeit festhalten will.

Meine Sympathie für diese Schlachtenbummlerinnen ist grenzenlos. Weniger schön fand ich auf dem Rückweg eine Gruppe von Schlachtenbummlern, die auf der Gran Vía den Mourinho-Gesang aus der Südkurve anstimmten. Er geht so: „Jo-sé Mou-rin-ho, Jo-sé Mou-rin-ho, Jo-sé Mou-rin-ho, Jo-sé Mou-rin-ho!“ Und dann das Ganze von vorn. Mein geschätzter Kollege Javier Cáceres kann das beeindruckend intonieren. Über diese Jungs jedenfalls hat der Trainer mal gesagt, sie seien die einzigen, die ihn wirklich unterstützten, sie seien immer da, sorgten immer für Stimmung im Stadion und stünden fest zu ihm und der Mannschaft. Oder so ähnlich. Seitdem lieben die Jungs in der Südkurve ihn noch mehr und singen immer wieder: „Jo-sé Mou-rin-ho, Jo-sé Mou-rin-ho, Jo-sé Mou-rin-ho, Jo-sé Mou-rin-ho!“

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Nein, Sanchos Esel hält es eher mit den anderen. Denen, die sich freuen ohne Hass oder Dumpfheit. Sie sind ja in der Überzahl. Man sieht es gleich. Und man staunt, wie verschieden sie sind. Das war das Schönste an der ganzen Feier an der Plaza de Cibeles. Die Madrider Verschiedenheit.

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Irgendwie hoffe ich also doch, dass es in den kommenden Jahren weitere Feiern gibt. Die nächste steigt ja schon, wenn die Meisterschaftstrophäe wirklich überreicht wird, also nach dem letzten Spieltag. Und dann … muss man sehen. Ich habe bei diesem Mourinho ein mulmiges Gefühl. Ich kann mir nicht helfen. Ich hoffe, dass ich mich täusche.

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                                                                                      [ Fotos : Sanchos Esel ]


21 Lesermeinungen

  1. Ich gratuliere auch den...
    Ich gratuliere auch den Merengues im Blog. Allen Merengues. Ich mag das Bild von Iker Casillas. Mit der Puerta de Alcalá im Hintergrund erinnert mich dieses Bild an die Umzüge der heimkehrenden römischen Legionen mit ihrem stolzen General, der ganz vorne das Volk begrüßt (ich habe zu viele Sandalenfilme gesehen). Er –Casillas- hat heute gesagt, ihm sei egal, die Liga gewonnen zu haben, er freut sich aber für die Afición. Ich freue mich auch für ihn und für die Spieler wie er. Ich frage mich aber immer noch, ob Real Madrid die Liga wegen oder trotz Mourinho gewonnen hat.

  2. Madrid sagt:

    <p>Ja, pastora-marcela, Iker...
    Ja, pastora-marcela, Iker ist die Hoffnung der madridistas. Hier steht es ganz schön bei Diego Torres von El País: deportes.elpais.com/…/1336072996_342151.html
    Und unter dem Artikel ist Ikers eigenes kleines Video, das er in San Mamés aufgenommen hat. Ganz hübsch. Mit einem kuriosen Fehler am Ende, wenn ich es richtig verstanden habe, aber eigentlich habe ich daran keinen Zweifel. Sehen Sie es selbst.

  3. Ich bin mir nicht sicher, ob...
    Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Fehler gefunden habe. Meinen Sie den letzten „pasito“, den er erwähnt, nämlich, die EM? Das wäre natürlich kein Triumph von Real Madrid sondern von der Nationalmannschaft. Ich glaube, das wäre mir nicht aufgefallen, denn er verkörpert für mich –mit anderen Spielern- das Beste dieser goldenen Zeit des spanischen Fußballs, sei es in den Vereinen oder in der Nationalmannschaft. Anscheinend kann er auch nicht trennen, was gut ist. Es gibt schon andere Leute, die gezielt auf diese Trennung arbeiten. Haben Sie keinen Zweifel daran, dass Spanien dieses Jahr die EM wieder gewinnt?
    Übrigens: Ihr Kollege Herr Eichler hat vor ein paar Monaten auch sehr schöne Sachen über Íker Casillas geschrieben: https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/eichlers-eurogoals/eichlers-eurogoals-legendenbildung-11520562.html. Nach dem letzten Spiel Real-Bayern könnte man denken, dass Manuel Neuer doch auf dem guten Weg ist, zu einer Legende zu werden.

  4. pardel sagt:

    Also ob Madrid die Liga wegen...
    Also ob Madrid die Liga wegen oder trotz des Darth Mou gewonnen hat, pastora-marcela, will ich mir nicht anmaßen zu beurteilen. Madrid hat die Liga gewonnen, das zählt. Aber bei der Champions erlaube ich mir auf einen Artikel zu verlinken, der meine Meinung zum Halbfinale sehr gut wiedergibt: Madrid hat das Halbfinale wegen Darth Mou verloren. https://deportes.elpais.com/deportes/2012/04/26/actualidad/1335470109_516574.html Er mag ein guter, auf jeden Fall ein sehr erfolgreicher Trainer sein, aber in den entscheidenden, den wirklich großen Spielen tritt er zu zurückhaltend auf. Wenn es wirklich darauf ankommt, hat er keine cojones. Ich glaube, es will ihm nicht in den Kopf, dass es auch so etwas wie heldenhafte Niederlagen geben kann. Nur die Trophäen zählen. Das ist seine Schwäche. Unsere Chance. Nächste Saison.

  5. pardel sagt:

    Welchen Fehler Iker Casillas'...
    Welchen Fehler Iker Casillas‘ übersehe ich, Don Paul?

  6. Madrid sagt:

    Jetzt habe ich es mir nochmal...
    Jetzt habe ich es mir nochmal angesehen und verstehe besser, was er meint. Beim ersten Sehen hatte ich mich gewundert, warum Iker zu „diesem Jahr“ noch die Copa del Rey hinzuschlägt, die nun wirklich der vergangenen Saison angehört, aber nach abermaligem Schauen ist klar: Er will den ersten Erfolg unter Mourinho als Beginn einer Stufenleiter des Erfolgs deuten. Erst die Copa, dann die Liga und im kommenden Jahr die Champions League. Ich finde ja, in diesem Jahr wäre eine gute Chance gewesen. Fast nur leichte Gegner in den Gruppenspielen, danach ging es leicht weiter, und dann kam Bayern München.
    Ob trotz Mou oder wegen Mou, das ist eine gute Frage. Ich glaube, von beidem etwas. Ich bin sicher, dass manche Spieler charakterlich wachsen, weil es unter Mou nur die Wahl zwischen Kapitulation und Selbstbehauptung gibt. Und ich teile pardels Meinung, dass Mourinho schon große Matches verloren hat, weil er feige war und auf Sicherheit spielen ließ. Mit Teams wie dem damaligen Inter mag man das machen können. Auch mit dem beinharten Chelsea, das er sich zusammengebaut hatte. Aber nicht mit Real Madrid und den teuersten Stürmern der Welt.

  7. Dulcinea sagt:

    <p>Sie machen es sich unnötig...
    Sie machen es sich unnötig schwer, liebe WG. Trotz oder wegen Mourinho — das muß das deutsche philosophische Element sein, daß sich da in Ihnen Weg bricht. Sich schwersinnige Fragen zu erfinden, auf die man keine Antwort weiß. Weil es keine Antwort gibt! Es kann nur heißen: mit.

  8. Madrid sagt:

    pastora-marcela, Spanien ist...
    pastora-marcela, Spanien ist einer der Favoriten für die EM, aber sicher ist nichts. Wer immer das gedacht hat, wurde schnell dafür bestraft. Und Neuer gehört sicherlich zu den Gründen, warum auch Deutschland zu den Favoriten zählt.
    *
    Dulcinea, rauben Sie uns nicht das Vergnügen, den Fußball auch im Irrealis zu durchdenken! Wie sähe die Mannschaft heute ohne Mourinho aus? Was hätten wir mit dem vielen Geld gemacht, das wir uns bei Transfers getrost hätten sparen können? Warum haben wir vor drei oder vier Jahren nicht Diego gekauft? Und so weiter.

  9. Dulcinea sagt:

    <p>Vorhin habe ich Florentino...
    Vorhin habe ich Florentino Pérez am Bernabeu-Stadion getroffen und mußte auch an den Irrationalis denken.

  10. Dulcinea sagt:

    Ich glaube, jetzt habe ich das...
    Ich glaube, jetzt habe ich das „mus“ vergessen!

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