Lektürenotizen aus der letzten Zeit. Knapp fünfzigtausend Menschen gehen in Madrid auf die Straße, um gegen die Sparmaßnahmen der Rajoy-Regierung zu demonstrieren. Vor acht Tagen, am Jahrestag des 15. Mai, waren es auch ziemlich viele, aber die Schätzungen gehen naturgemäß weit auseinander, je nachdem, wer gerade schätzt. Die regierenden Konservativen werfen der Opposition vor, sich mit dem Protest gemein zu machen und Angst zu schüren. Angst wovor?, frage ich mich. Wovor kann man in Spanien denn noch Angst haben, wo die längst eingetretene Gegenwart schon so gruselig ist, dass es kaum schlimmer geht?
„Kriminelle“ waren für die Zeitung La Razón sechs der achtzehn festgenommenen indignados, die vorletztes Wochenende die Puerta del Sol nicht räumen wollten. Ich war auch da, aber früher. Und ich war nicht kriminell. Bei meinem Gang nach Mitternacht (die von der Polizei gesetzte Frist war verstrichen, aber kaum einer rührte sich vom Fleck) sah ich kleine Gruppen am Boden, im Schneidersitz, mit Rauchzeug und Getränken in der Mitte. Sah ziemlich gemütlich aus. Allgemeiner Eindruck: Weniger Leute als vor einem Jahr. Hedonistischer als vor einem Jahr. Verschiedener als vor einem Jahr. Gerade jetzt aber fragen mich Leute: Was hat es denn nun mit dem Protest des 15-M auf sich? Und ich sage: Weiß ich doch nicht! Aber dann denke ich: Schön, daß noch jemand weitermacht. Die Jungs und Mädchen könnten ja auch vor dem Fernseher hocken und was glotzen. Aber sie veranstalten Vollversammlungen, die so ziemlich zu den schwierigsten Geduldsübungen unter der Sonne zählen. (Hier stehen weitere Eindrücke und etwas zu den Plänen bei der eingestellten Zeitung Público.)
In Katalonien, so las ich vor vierzehn Tagen, formiert sich Widerstand gegen die Mautgebühren auf der Autobahn. Rund 2500 Menschen stiegen in ihre Autos, verweigerten an der Zahlstelle den Obulus und fuhren wieder nach Hause. Eine interessante Überlegung: Was wäre, wenn sich eine große Zahl Menschen auf Verabredung weigert, die monetären Transaktionen, auf denen der Ablauf des alltäglichen Lebens in den großen Städten beruht, mitzumachen?
Am 1. Mai sind die Tariferhöhungen im Madrider Nahverkehrsbereich in Kraft getreten. Der Preis des Zehnertickets stieg von 9,30 € auf 12 €. Vor zwei Jahren waren es noch 6,30 €. Von den Postgebühren will ich gar nicht reden. Die Postgebühren steigen jedes Jahr am 1. Januar. Deswegen standen sie jetzt auch nicht in der Zeitung.
Iñaki Urdangarin, der Schwiegersohn von König Juan Carlos, will offenbar größeren Imageschaden vom spanischen Königshaus abwenden. Deswegen bietet der Ehemann der Infantin Cristina (dem unter anderem Steuerbetrug und die Veruntreuung öffentlicher Gelder in Millionenhöhe zur Last gelegt wird) der Justiz an, sich schuldig er zu bekennen und eine Entschädigung zu zahlen. Zuerst war die Rede von 3,7 Millionen Euro, eine Summe, die sich mit späteren Meldungen deutlich reduzierte. Ich habe den Verdacht, da könnte noch etwas gedreht werden. Derweil weigert sich Urdangarins ehemaliger Kompagnon Diego Torres auszusagen. So kommt man natürlich nicht weiter.
Vanity Fair schickt mir eine E-Mail. Anhang: Das Titelbild der neuen Nummer von Vanity Fair. Darauf ist Corinna zu Sayn-Wittgenstein zu sehen, die mutmaßliche Freundin einer hochgestellten Persönlichkeit, die in letzter Zeit allgemein etwas Pech gehabt hat. Es gibt Kollegen von mir, die finden das ein tolles Thema: Corinna und er. Aber ich will am liebsten davonlaufen. Was ich hiermit tue.
Interessant: Der Prinz-von-Asturien-Preis für Kommunikation und Geisteswissenschften geht an Shigeru Miyamoto, den Videospielentwickler von Nintendo. Brandfrische Meldung. Miyamoto hat Spiele wie „Super Mario“ und „The Legend of Zelda“ entworfen. Ich kenne sie nur vom Hörensagen, aber als ich las, dass Miyamoto keine Gewaltspiele entwickelt, fand ich das schon mal gut. Und dass er auch Spiele für Alte erfindet, die ihr Gehirn trainieren sollen. Und Sachen für die ganze Familie. Was mich daran erinnert, dass ich schon länger kein Brettspiel mehr gespielt habe. Die Kinder haben auch nicht mehr danach gefragt. Vielleicht hängen sie vor einem Miyamoto-Spiel, und ich bekomme es nicht mit?
O. Fast vergessen. Eine ältere Nachricht, die mir nicht aus dem Kopf geht. Jennifer López, Enrique Iglesias und noch jemand, dessen Namen mir nichts sagte, gehen gemeinsam auf Tour. „Diese Tournee wird historisch“, sagte der Sohn des berühmtesten spanischen Schnulzensängers aller Zeiten. „So etwas wird möglich durch die uneigennützige Kameradschaft, die man nur erreicht, wenn drei Superstars ihre Kräfte bündeln, um eine Darbietung zu liefern, die man auf keinen Fall verpassen darf.“ Klingt völlig verbogen, hirnrissig, sinnfrei? Finde ich auch. Aber ich habe es getreu übersetzt, wie es in der Zeitung steht. Uneigennützige Kameradschaft, my foot. Und sich selbst als Superstar zu bezeichnen ist auch ziemlich dreist. Aber am schönsten ist die Tautologie, in die am Ende der ganze Satz plumpst.
Ich wollte es nur mal zu bedenken geben. Das alles läuft weiter, trotz indignados, Krise, verstaatlichter Bankia, Risikoprämien. Der Reichtum geht weiter. Die Schönheit dauert an. Und Dummheit währet ewig.
[ Fotos : Sanchos Esel ]
<p>Bravo, eine herrliche...
Bravo, eine herrliche Bestandsaufnahme, vor allem zwischen den Zeilen.
Ich bin gerade in Madrid, und es ist ein herrlicher Tag, aber das wie immer unglaubliche Licht überstrahlt nicht die furchtbaren, entsetzlichen tagtäglichen Skandale, die Sie so schön lapidar erwähnen.
Ihr letzten drei Sätze sollten über den Eingang des Correos-Gebäude an der Plaza Cibeles in Gold oder rostigem Stahl prangen. Die Menschen werden hier furchtbar behandelt, und das Schlimmste ist, dass niemand einen echten Ausweg sucht.
Ja, es ist ein herrlicher Tag....
Ja, es ist ein herrlicher Tag. Gerade habe ich meine Münzen aus Versehen in die falsche Parkuhr geworfen, die einzige, die in der Straße weit und breit zu sehen war. Es gibt ja die blaue und die grüne Zone. Mein Bußgeld für den Irrtum beträgt 60 Euro. Hätte ich das absichtlich getan, hätte ich vielleicht 1,10 Euro sparen können. Maximal. Nicht das einzige, was einen sprachlos macht. Nur eine Sache unter vielen.
<p>paul ingendaay! bessere...
paul ingendaay! bessere nachricht wuenscht man sich von ihnen! – haelt sie der geliebte fussball nicht bei laune? es ist doch saison…
ich sehe, die kollegen von vanity fair zumindest erfuellen ihre patriotische pflicht vorbildlich. – mein freund bei der vanfair laesst sich allerdings auch von parkuhren nicht ins bockshorn jagen. er faehrt fahrrad. hatte nie einen fuehrerschein. spaetestens jetzt zahlt sich das aus.
Da will man alles richtig...
Da will man alles richtig machen und dann das! Fies. Wenn Sie in der zweiten Reihe geparkt hätten, wäre das vollständig frei gewesen, und Sie hätten sowohl 1,10 als auch 60 Euro gespart. Macht 61,10. So stehen die Dinge in dieser Stadt! Und in diesem Land!
btw. - was hab ich ueber...
btw. – was hab ich ueber esperanza aguirre und den copa del rey gehoert?
paul ingendaay, sie sind gleich doppelter fachmann: ist das ernst, theater, dumpfes machtgehabe? – und: was passiert am freitag?
Aber, Dulcinea, einen Trost...
Aber, Dulcinea, einen Trost wollten mir die Parkwächter (es war ein Paar) dann doch spenden: Wenn ich innerhalb von vier Wochen nach Erhalt der Zahlungsaufforderung bezahle, komme ich mit 30 Euro davon. Ein Nachlass von 50 Prozent! Man nennt das Stärkung der Zahlungsmoral. Oder Peitsche und Zuckerbrot.
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abfeldmann, das ist ungefähr das, was sich Esperanza Aguirre unter Patriotismus und Fahnenstolz vorstellt. Das wissen wir doch.
O. Was am Freitag passiert? Ich habe lange darüber nachgedacht, was am Freitag passiert. Und habe beschlossen, statt des Finales das Konzert im Auditorio Nacional zu besuchen, für das ich schon seit fünf Monaten Karten habe. Lieber hätte ich beides, aber das geht nun mal nicht. Und da Esperanza Aguirre wohl im Stadion ist, wird es bei uns völlig ruhig bleiben.
Espe(jodeloquesomos)ranza...
Espe(jodeloquesomos)ranza Aguirre hat heute gesagt, sie geht doch nicht ins Stadion. Feigling! Sie sollte Darth Mou heiraten, sie scheinen viel Gemeinsames zu haben: große Klappe, mächtig provozieren, dann kneifen. Aber keine Angst, Don Paul, ins Auditorio Nacional geht sie wohl auch nicht. Das kann ich mir nicht vorstellen. Geniessen Sie die Musik!
abfeldmann, mein Vorschlag wäre, wenn von dieser Frau die Rede ist und ganz besonders, wenn sie selber redet: Ohren zu! Der geistigen Hygiene wegen. Gar nicht erst ignorieren!
Und Sie, Dulcinea, gehen Sie ins Stadion? Bekommt man überhaupt Karten? Ich drücke uns die Daumen! Auf einen guten und erfolgreichen Abschied von Pep! Ich werde das Spiel nur im TV sehen können. Immerhin, eine Pokalübertragung sieht man im Ausland selten.
<p>pardel, vergessen Sie...
pardel, vergessen Sie nicht, die Dame war mal spanische Kulturministerin. Keine auffallend gute, wie wir uns erinnern. Man erzählte sich damals den Witz (und ich werde nicht müde, ihn wieder hervorzuholen), sie habe einmal einen berühmten portugiesischen Schriftsteller für eine Frau namens „Sara Mago“ gehalten. Si non è vero etc.
Natürlich gehe ich ins...
Natürlich gehe ich ins Stadion! Mit elf Freunden! Das ist kein Witz.
<p>Also ... FAST keiner.</p>...
Also … FAST keiner.