Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

I decided to contact you

| 22 Lesermeinungen

Es ist nicht wahr, dass ich nur an Fußball denke. Ich denke vor allem daran, dass ich kaum noch Zeit zum Bloggen habe, weil ich zuviel arbeite, und wenn ich nicht arbeite, gucke ich Fußball.

Es ist nicht wahr, dass ich nur an Fußball denke. Ich denke vor allem daran, dass ich kaum noch Zeit zum Bloggen habe, weil ich zuviel arbeite, und wenn ich nicht arbeite, gucke ich Fußball. Ansonsten: Überall spanische Krise, Finanzlöcher, Schuldenproblematik, wichtige Themen hier oder dort, die sich mir aufdrängen mit kleinen spitzen Schreien: „Hier, bitte, schreib mich!“ „Nein, mich!“ „Nein, mich!“

Und ich halte mir die Ohren zu und weiß gar nicht, wo ich anfangen oder weitermachen soll. Außerdem war es zu heiß. Vor drei Tagen saß ich mit geschätzten Kollegen gegen Mitternacht in Chamartín, als ich sah, wie das Thermometer von 35 auf 34 Grad fiel. Das war ein erhebender Augenblick.

Bild zu: I decided to contact you

Aber Sie wollen wissen, was Sanchos Esel so treibt, was er sammelt oder übersieht, vielleicht sogar, was er nahezu unbetrachtet und unbedacht vorüberziehen lässt? Zum Beispiel diese E-Mail von vorgestern. Der Absender heißt Lina Busoni. Und die Mail, in deren Rechtschreibung ich nicht eingegriffen habe, geht wie folgt:

„Hello Dear

My name is Lina Micheal (female), i saw your mail today and i decided to contact you. I would like to be your good friend. I will like to know more about you, learn a lot from you. When i receive your yes answer, i will send you my picture for you to see me and tell you more about myself.

yours new friend,
Lina“

Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber ich fand die Botschaft irgendwie rührend. Nein, ich habe sie nicht geöffnet! Nur in diesem Sichtfeld rechts kopiert. Um sie Ihnen zu zeigen. Weil ich den Verdacht habe, dass Sie Spam-Mails normalerweise löschen, ohne sie zu beachten, wie wir alle es gelernt haben. Doch manchmal, so finde ich, blitzen menschliche Werte darin auf, die nicht verloren gehen sollten. Deshalb habe ich mir gesagt: Heute reiche ich mal eine Spam-Botschaft weiter, um Ihnen den Tag zu verschönern.

Dieser Mario Balotelli gestern, das wollte ich zum Fußball noch anmerken. Wer sich so das Trikot auszieht, um mit nacktem, muskelschwellendem Oberkörper schon fürs Pressefoto zu posieren, während seine Kameraden noch auf dem Platz stehen, und wer außerdem eine Gelbe Karte dafür in Kauf nimmt, den würde ich als Trainer sofort vom Platz holen. Als Sanktion. Weil er die Mannschaft schädigt. Zwei- oder dreimal jemanden ausgewechselt, und der Unfug kommt nie wieder vor. Ausnahme: Iniesta vor zwei Jahren nach seinem Siegtor gegen die Niederlande. Denn erstens wollte er sein Tor vor der ganzen Welt seinem toten Freund Dani Jarque widmen; zweitens blieben in der Verlängerung nur noch wenige Minuten zu spielen; und drittens hat Iniesta nicht mit nacktem Oberkörper posiert, sondern noch ein T-Shirt angehabt.

Bild zu: I decided to contact you

Die großen Momente der EM: Silvas Tor gegen Irland; natürlich Pirlos Elfmeter; Xabi Alonsos Kopfballtor gegen Frankreich; dann Sergio Ramos‘ Elfmeter gegen Portugal; Balotellis zweites Tor gegen Deutschland (ohne Trikotausziehen); allgemein die Abwehrstärke der Spanier, die nicht genug gewürdigt wird. An den Deutschen gefiel mir das bescheidene Auftreten. Gelegentlich blitzte bei ihnen so etwas wie Spielkunst auf. Die Gomez-Tore waren wunderbar, aber sie sind schon wieder so lange her, dass man sich am Kopf kratzt, wenn man an sie denkt. Und gegen Italien hätte Klose spielen sollen. Podolski wiederum hätte so wenig auflaufen sollen wie Gomez. Aber mit dieser Meinung bin ich wohl nicht allein, und nachher ist man immer schlauer.

Wahrscheinlich habe ich viele wichtige Augenblicke vergessen. Nicht so schlimm. Fußball erneuert sich. Nur wir erneuern uns nicht.

Gerade ist wieder eine E-Mail gekommen, ich gebe Sie Ihnen frisch weiter:

„My name is Violetta Scola and I’m working at Euromonitor International. I would be happy to provide you with statistic data, insights and comments by our experts, in support of your article. I thought you might be interested in receiving more insights regarding a breaking news about Grupo Modelo. In a $20.1 billion cash deal announced this morning, Anheuser-Busch InBev will take full control of Mexico-based Grupo Modelo, which makes Corona Extra.“

Solche Nachrichten laufen hier am späten Nachmittag so ein, in diesem Englisch und bei 34 Grad. Ich werde Violetta nicht antworten. Aber es könnte sein, dass ich mir demnächst ein Bierchen aufknacke. Kein Modelo, etwas anderes.

Da fällt mir ein, dass ich heute mittag mit Javier Marías gesprochen habe. Ich habe ihn gefragt, was er für das Finale tippt. Er sagte: 52% für Spanien, 48% für Italien. Das fand ich interessant, aber die einzig korrekte Form, den Tip in ein Torergebnis zu übersetzen, wäre 52:48. Als mir das einfiel, hatten wir leider schon aufgelegt. Hier also mein Tip: 2:0 für Spanien. Keine Angst vor Balotelli, sage ich. Respekt vor Pirlo, aber früher stören, als das die Deutschen getan haben.

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                                                                   [ Fotos : Sanchos Esel ]


22 Lesermeinungen

  1. fionn sagt:

    Be careful. Have a beer.
    I...

    Be careful. Have a beer.
    I never reply to unsolicited emails.
    Italy has had a wonderful week with the two Super Marios (as French TV calls them) – Mario Monti and Mario Balotelli.
    E schönen Abig noch
    F.H. /CH-Zug)

  2. Melibea sagt:

    Es ist schade, dass...
    Es ist schade, dass Deutschland nicht weiter ist. Andererseits „erspart“ es meinem Freund und mir das Duell Spanien gegen Deutschland. Wir können nämlich beide recht unentspannt werden, wenn wir „unseren“ Mannschaften zuschauen. Ich hatte allen Ernstes angefangen, mir Sorgen um den Haussegen zu machen.
    .
    Was ich mich frage, Herr Ingendaay: heisst Lina denn nun mit Nachnamen Micheal oder Busoni? Sie sollten ihr antworten und nachfragen!

  3. lberges sagt:

    Ein korrektes Torergebnis (mit...
    Ein korrektes Torergebnis (mit 52%) wäre auch 13:12 für Spanien.
    Nach Elfmeterschießen natürlich, wie z.B. im Jahr 2000 im Pokalspiel Sandhausen gegen Stuttgart.
    Oder aktuell hier: https://www.youtube.com/watch?v=fqARxIoZQvo

  4. Madrid sagt:

    Salud, fionn!
    *
    Melibea, das...

    Salud, fionn!
    *
    Melibea, das war auch meine Frage: Wie heißt sie denn nun? Und wahrscheinlich ist es doch Michael, und sie hat sich nur verschrieben?
    *
    Ilberges, Sie haben recht! 13:12, das ist doch wieder von dieser Welt.

  5. Dulcinea sagt:

    Ich hätte nichts gegen eine -...
    Ich hätte nichts gegen eine – meinetwegen auch auf Englisch! – abgefaßte E-Mail von Xabi Alonso (male). Ich würde antworten! Doch es schreiben einem immer die falschen.
    .
    Dulcinea mit Vicente del Bosque!

  6. EgonOne sagt:

    <p>Why I contacted...
    Why I contacted you….!
    Violletta und Lina werden sicherlich sehr enttaeuscht sein, werter Paul Ingendaay, keine Antwort zu erhalten.
    Sicherlich haetten Sie deren trauriges und einsames Leben mit einigen freundlichen Worten bedeutend verbessern koennen.
    Die naechste Melding geht eventuell so:
    I decided to contact you, dear Paul, because I thought you might like to know that a very rich relative of yours recently died in the dark heart of Africa — somewhere on the upper Congo — but left you a fortune in stocks,bonds and gold bullion deposited here at the Universal Finance Bank, where I am the administrator of estates. The account is in the seven figures.
    For security reasons I am unable to disclose the exact amount in this communication.
    It took quite an effort to find you and to adivise you of this situation. and your inheritance from your deceased relative For a small percentage and fee, I will be able to transfer these funds promptly to you.
    Please respond as soon as possble so that we can set the transfer in motion.
    The transaction will be handled with the utmost discretion of course. Please contact my assistant at the Pitcainr Island Depository Tel. 016-4782- 2339 9845 Ext. 2750 to make arrangements.
    I am so pleased that I have found you at last, and look forward to helping you.
    Elvira Dogood (female)
    If you trust this sort of e-mail werter Paul Ingendaay, you’re indeed in serious trouble. old chap.
    Good luck — and give my best to Violetta and Lina.
    Vorsicht, satirischer Kommentar.

  7. Savall sagt:

    Ich war wegen des...
    Ich war wegen des Balotelli-Striptease auch ein wenig indigniert, Herr Ingendaay. Allerdings machte mich ein informierter Zeitgenosse darauf aufmerksam, daß es sich um eine ironische Antwort auf eine boshafte Karrikatur handelt.
    https://www.telegraph.co.uk/sport/football/competitions/euro-2012/9358481/Euro-2012-Gazzetta-dello-Sport-apologise-for-Mario-Balotelli-King-Kong-cartoon.html
    Und da find ich diese Geste doch wieder großartig.
    .
    Übrigens vielen Dank für den wunderbaren Ivan-Off-Artikel in der Print-Ausgabe. Ich bitte um mehr davon, sobald sich die Gelegenheit bietet.

  8. Madrid sagt:

    <p>Savall, das ist natürlich...
    Savall, das ist natürlich etwas anderes. Danke für den Hinweis. Ich bin fasziniert von der verlogenen und anbiedernden Darstellung der Zeitung. Folgt man dem Link, kann man Folgendes lesen:
    “We can honestly say it was not among the best products of our talented cartoonist. At this time, a measure of prudence and good taste are necessary because everything, absolutely everything, can be misinterpreted. The newspaper is for those who read it and hence, if certain readers found the cartoon offensive, we apologise. But those that accuse Gazzetta (and poor Marini) of racism are going overboard.“
    Lustig, das Ganze. Denn natürlich war der Cartoon rassistisch, nichts anderes. Und die Zeitung sollte nicht deshalb vorsichtig sein, weil heutzutage alles, „wirklich alles“ fehlinterpretiert werden kann, sondern weil man keine rassistischen Cartoons veröffentlicht. Und die Zeitung sollte sich nicht deshalb entschuldigen, weil bestimmte Leser sich beklagt haben, sondern weil sie ihren Irrtum einsieht und die Veröffentlichung des rassistischen Cartoons bereut. „Poor Marini“, my foot!

  9. Savall sagt:

    Da bin ich mit Ihnen ganz...
    Da bin ich mit Ihnen ganz einer Meinung, Herr Ingendaay. Mit der zunehmenden Boulevardisierung der Medien verschwindet zunehmend das Gefühl dafür, daß man so etwas eben nicht tut. Nicht, weil man hinterher Dresche beziehen könnte, sondern weil es sich schlicht nicht gehört. Balotelli soll ja auch im italienischen Liga-Alltag permanent solchen Anfeindungen ausgesetzt sein. Umso mehr bewundere ich seine Reaktion und die beiden Tore waren ja auch wirklich Spitzenfußball. Trotzdem setze ich morgen auf Spanien. Ich hatte das schon vor der EM vorausgesagt und erntete nur ungläubige Blicke.

  10. Madrid sagt:

    EgonOne, Sie haben einen...
    EgonOne, Sie haben einen schönen Brief geschrieben. Vielen Dank. Ähnliche Briefe habe ich auch schon bekommen, und es fällt mir immer noch schwer, sie nicht zu lesen. Das ist wohl der fiktive (und fiktionale) Anteil unserer Existenz.

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