Sanchos Esel

Sanchos Esel

Spät essen, laut reden, wenig schlafen, kein Fahrrad haben, die Mülltrennung vergessen, dem berühmtesten Fußballverein der Welt zugucken, bei Rot

Kafé Kafka

| 13 Lesermeinungen

Mit drei kurzen Flügen kam ich an diesen mir unbekannten Ort im Norden Europas. Ich wusste noch nicht einmal, wie man den Namen ausspricht. Bei der Ankunft war es etwa 25 Grad kälter als in Madrid.

Mit drei kurzen Flügen kam ich an diesen mir unbekannten Ort im Norden Europas. Ich wusste noch nicht einmal, wie man den Namen ausspricht. Bei der Ankunft war es etwa 25 Grad kälter als in Madrid. Der erste Spaziergang am späten Nachmittag führte mich zum Hafen. Alles sah so anders aus! Es waren nicht viele Menschen unterwegs. Das mag daran liegen, dachte ich, dass dieses Land nicht viele Einwohner hat. Sie verteilen sich auf eine ziemlich große Fläche, und für kleine Städte wie diese hier, deren Namen ich immer noch nicht richtig aussprechen konnte, bleiben nicht so viele übrig.

Da sah ich in der Mitte des Häuserblocks einer zum Hafen abfallenden Straße ein Café. Ich hatte die Wahl: entweder dieses Café oder der Laden gleich gegenüber, der sich „Piccadilly Pub“ nannte. Aber natürlich musste ich in das Café. Draußen hing ein Schild:

Bild zu: Kafé Kafka

Später sah ich, dass meine Kamera nur milchige Bilder produzierte, als wollte sie die Düsternis des Ortes, an den ich geraten war, aufhellen. Aber es wird nur der Weißabgleich gewesen sein. Ich setzte mich und sah mich um. Drüben an einem anderen Tisch las eine Frau in ihrem Telefon. Sie wirkte konzentriert und bildete eine hübsche Einheit mit dem Gemälde, das über ihr hing. Das Bild hätte von Kafkas Großneffen stammen können. Ich war drauf und dran, die Frau zu fragen, ob sie gerade Kafkas Erzählungen lese. Vielleicht war sie eine bestellte Leserin, die zur Ausstattung gehörte. Aber dann fragte ich doch nicht. Die wichtigen Fragen im Leben stellt man nie. 

Bild zu: Kafé Kafka

Ich schaute auf die Speisekarte. Nicht alle Wörter waren entzifferbar, aber doch einige. Vor allem fiel mir auf, dass Kafka auch hier seine Spuren hinterlassen hatte.

Bild zu: Kafé Kafka

Gern hätte ich den Koch gefragt, ob es spezielle Zubereitungsmethoden gab, die dem Namensgeber der Speisen angemessen waren. Da ich es draußen düster genug fand, zog ich es vor, die Kafka-Spezialitäten nicht zu probieren.

Bild zu: Kafé Kafka

Ich musste an Nikolaus Heidelbach denken und sein schönes Kafka-Buch. Mir schien, ich hörte seine Stimme mir zurufen: „Wenn die Leute nur wüssten, wie komisch Kafka ist! Man lacht sich kaputt!“ Ja, das dachte ich in diesem Augenblick auch. Kafka ist saukomisch. Käme er jetzt in dieses Café, würde er sich aufs Sofa werfen und aus dem Lachen nicht mehr herauskommen.

Die Bedienung kam und fragte, was ich wolle. Ich bestellte Bier und Salat. Die Bedienung war blond und lächelte. Sie bot einen Kontrast zu der morbiden Einrichtung des Cafés, und ich dachte: Diese Norweger spielen nur. Das ist ihre Form von Humor. Er kann sicherlich sehr lustig sein, der Norweger. Warum hat mich niemand darauf vorbereitet? O. Bevor ich es vergesse. Unten sehen Sie, wie die Leute in dieser Gegend leben. Zumindest einige von ihnen.

Bild zu: Kafé Kafka

Später erzählte ich jemandem, dass mein erster Gang in Bodø mich in das Kafé Kafka geführt habe, und er sagte: „Wirklich? Da war ich noch nie drin! War das Essen in Ordnung?“

Ja, das Essen war in Ordnung. Während ich aß, sammelten sich draußen vor dem Fenster des Kafé Kafka die Dorfhärtesten von Bodø. Der Wind konnte ihnen nichts anhaben. Manche trotzten der Kälte mit schwarzen T-Shirts, ich sah lange Haare, Tattoos, Piercings, Rockerjacken und selbstgedrehte Zigaretten. Toll, dachte ich. Das sind Kafkas Adepten. Dafür musste ich nach Bodø kommen.

Drei Tage später begegnete ich einer Möwe, die über etwas nachzudenken schien. Ich setze das jetzt hierher, damit Sie verstehen, warum ich diese Möwe zeigen will. Ich rief: „Möwe!“ Aber sie beachtete mich nicht.

Bild zu: Kafé Kafka

Im Kafé Kafka spielten sie jetzt T-Rex, was an sich schon erstaunlich genug gewesen wäre. Ich kenne niemanden, der eine Platte von T-Rex hat. Unsere Kinder kennen noch nicht einmal den Namen. Aber dort, im Kafé Kafka, spielten sie mehrere Songs von T-Rex hintereinander, und das habe ich seit den siebziger Jahren nirgendwo auf der Welt mehr erlebt. Das ist Bodø, dachte ich. Das ist Norwegen. Das ist unser großes, reiches, unfassbares Europa.

                                                                 [ Fotos : Sanchos Esel ]


13 Lesermeinungen

  1. Gatamad sagt:

    Eine wahre Reise in der Zeit....
    Eine wahre Reise in der Zeit. Darf ich meine Lieblings songs melden<' Wahrscheinlich sind es nicht die besten, aber es sind die, die mir besonders wichtig sind aaaaaaaahhhaaa..... Ganz einfach nur mein Geschmack und meine Emotionen. https://www.youtube.com/watch?v=19IqwU3itFk
    https://www.youtube.com/watch?v=mCUIuCuzdII
    https://www.youtube.com/watch?v=Xgcxd9wtXUE
    Herr Ingendaay, pardel, danke für diese Reise in die Vergangenheit, für diese Verjünjungskur. Und so ganz unsauertöpferisch. Reine Generationsemotion, obwohl ich älter bin.

  2. Strizz sagt:

    Etwa Mitte der Siebziger...
    Etwa Mitte der Siebziger veranstaltete die WimS den Wettbewerb „Schildern Sie uns Ihr kafkaeskestes Ferienerlebnis“. Das Niveau der Einsendungen war offensichtlich erschreckend. Selbst Leser Josef Kapunkt („Jemand mußte mich verleumdet haben, denn ohne daß ich etwas Böses getan hätte …“ und so 200 Seiten weiter) fiel durch: „Wir hatten ‚Ferienerlebnis’ gesagt, Herr Kapunkt, nicht ‚Justizschelte’!“ Die „pardon“ soll ja wiederkommen. Enthielte sie auch eine neue WimS und sollte der Wettbewerb neu aufgelegt werden – mit der, ein wenig angeflotteten, Kafé-Geschichte hätten Sie alle Chancen.
    Die „Kafka ist komisch“-Nummer geht wohl auf Hans Mentz (aka Robert Gernhardt) zurück. Ich kann damit nichts anfangen. Komisch auf der dritten Metaebene, von mir aus. Aber das gluckert doch selbst im Teich postmoderner Belanglosigkeiten ab.
    Ich glaube nicht, dass Marc Bolans Karriere ihn zu etwas wie der „Station to Station“ getragen hätte. Es gibt einfach kein großes Popmusik-Alterswerk.

  3. Madrid sagt:

    <p>Gatamad, "Hot Love" war...
    Gatamad, „Hot Love“ war einer der prägenden englischsprachigen Songs in meinem Leben als bewusster Radiohörer. Ich spreche mal nicht von „Yellow Submarine“, da war ich noch sehr klein. Sondern von den Jahren, als die Stones „Brown Sugar“ und CCR „Hey tonight“ herausgebracht haben. Und das Radio in Köln dauernd die Sachen von Sweet und Slade und Middle of the Road spielte. Oder The Cats aus den Niederlanden. All of them early seventies. Allerdings … Außer CCR würde ich mir zu Hause nichts davon mehr einwerfen und freiwillig anhören. Geht nur bei zufälligen Begegnungen im Autoradio und auf Revival-Partys, auf die ich aber nicht gehe.
    *
    Strizz, das mit Marc Bolans Alterswerk habe ich mir auch so gedacht, aber da ich kein Experte bin, dachte ich, halte ich mal besser den Mund. Habe es gestern nochmal überprüft. Bolan starb zwei Wochen vor seinem dreißigsten Geburtstag. Nicht viel Gelegenheit für ein Alterswerk.

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