Schon mal was von Sergej Karjakin gehört? Er ist 26 Jahre alt, stammt aus der Ukraine – und will Schachweltmeister werden. Im November tritt er gegen den norwegischen Titelinhaber Magnus Carlsen an. Der hat es zu einiger Prominenz gebracht, weit über Schachkreise hinaus. Carlsen, ebenfalls Jahrgang 1990, ist auf dem internationalen Schachparkett seit Jahren unangefochtene Nummer eins, Karjakin hingegen derzeit nur die Nummer neun der Weltrangliste. Er gehört außerdem bisher nicht zum Kreis jener Spieler, die schon einmal die Spielstärkern-Schallmauer von 2800 Elo-Punkten übersprungen haben. Er hat sich aber im Ausscheidungswettstreit überraschend durchgesetzt und das Recht erspielt, gegen den Weltmeister im Zweikampf anzutreten. Hat er gegen Carlsen eine Chance?
Einen Hinweis wird das Spitzenturnier im spanischen Bilbao liefern, das an diesem Mittwoch beginnt. Dort werden beide aufeinander treffen. Die Veranstalter verkündeten es, als wäre ihnen ein großer Coup gelungen. Dabei war es eigentlich Zufall. Ursprünglich eingeladen waren nämlich der aus Indien stammende frühere Weltmeister Vishy Anand und Lewon Aronjan, der eine Wohnung an der Concha, dem Strand der baskischen Nachbarstadt San Sebastian besitzt. Beide hatten informell zugesagt, entdeckten dann aber eine Vertragsklausel, der zufolge sie am 23. Juli, dem letzten Spieltag in Bilbao, bereits zu Promotionzwecken in St. Louis sein müssen, wo ihr nächstes Turnier eigentlich erst am 1. August losgeht.

So kommen Karjakin und Carlsen in Bilbao nun gleich zweimal gegeneinander zum Zug. Ein weiteres Treffen während der Schacholympiade im September in Baku, wo beide ebenfalls starten wollen, ist eher unwahrscheinlich. Fraglich ist natürlich, ob die beiden in diesen Spielen schon so ziehen wie sie das im WM-Zweikampf vorhaben, denn keiner will sich in die Karten schauen lassen. Bis zur Weltmeisterschaft, die 10. November in New York losgeht und sich über zwölf Runden zieht, sind es immerhin noch einige Monate, die beide nutzen können, um neue Ideen zu neutralisieren. Gegenüber dem russischen Sport-Express sagte Karjakin kürzlich: „Ich kann es mir nicht leisten, meine volle Stärke zu zeigen. Ich muss mein Spiel etwas tarnen und Neuerungen bis November zurückhalten.“ Während seines letzten Turniers in der aserbaidschanischen Stadt Schamkir „habe ich auf Energiesparmodus geschaltet und mir nicht das Ziel gesetzt, Erster zu werden“.
Mit dieser Einstellung hatte sich Karjakin schon im Januar dieses Jahres durch das Spitzenturnier in Wijk aan Zee gequält. Hoch motiviert ging er wiederum im März in Moskau ans Brett, als die besten der Welt ausspielten, wer um die Weltmeisterschaft antreten darf. Karjakin ging konzentriert zu Werk und setzte sich dank einer fast optimalen Chancenverwertung durch.
In solcher Form hat er natürlich auch im November eine Chance. Überdies ist seine persönliche Bilanz gegen Carlsen besser als die vieler anderer Weltklasse-Spieler: Karjakin spielte gegen den Champion meistens Remis. Dreimal hat er in Partien mit langer Bedenkzeit gegen Carlsen zwar schon verloren, ihn aber auch schon ein Mal geschlagen. Und auch ihre letzte nicht unentschieden ausgegangene Begegnung ging an Karjakin. Das war vorigen Oktober in Berlin während der Blitzschach-Weltmeisterschaft, wo anschließend für Carlsen gar nichts mehr lief.
Ein Putin-Fan
Klar ist aber: Carlsen wird im November ebenfalls hochmotiviert seinen Titel verteidigen. Im Gegensatz zu Karjakin und beispielsweise auch seinem Vorgänger Anand will der junge Norweger immer an die Spitze. Carlsen betrachtet jedes Einzelturnier schon als Misserfolg, bei dem er nicht zumindest den ersten Platz teilt. Natürlich will er auch in Bilbao vorne landen. Gut möglich ist aber auch, dass in Spanien keiner der beiden ganz vorne landet – vor allem drei Spieler, die ihre Wurzeln in Asien haben, haben ebenfalls ordentliche Aussichten: Die für die Vereinigten Staaten spielenden Hikaru Nakamura und Wesley So sowie Anish Giri, der die Niederlande vertritt. Außenseiter-Chancen dürfte der sechste Teilnehmer haben, der erst 17 Jahre alte Wei Yi aus China.
Karjakin wiederum ist eines der größten Schachtalente seit dem Ende des Kalten Krieges. Schon im Alter von zwölf Jahren und acht Monaten erfüllte er alle Kriterien, um den Titel Schachgroßmeister zu tragen – ein bis heute nicht gebrochenen Rekord. Ein Jahr darauf, es war 2003, lernte ich den Jungen während eines Opens in Wien kennen und interviewete ihn das erste Mal gemeinsam mit seiner Mutter: Nach drei Jahren in Kramatorsk im Osten der Ukraine, wo er eine Schachschule besuchen konnte, waren sie zurück auf die Krim gezogen. Einen Sponsor hatte der jüngste Großmeister der Welt nicht, aber seine Mutter und er waren optimistisch, dass das bald klappen würde. Es klappte nicht.
Nach seinem Kandidatenturniersieg in diesem Frühjahr fragte ich ihn, warum er sich nicht so entwickelt hat wie der zehn Monate jüngere Carlsen. Weil Carlsen Sponsoren und Trainer hatte, während er nach Erreichen des Großmeister-Titels praktisch auf sich allein gestellt gewesen sei, so Karjakin. Es waren sieben verlorene Jahre, bis er 2009 das Angebot bekam, den Verband zu wechseln. In Russland warteten ein Stipendium, eine Wohnung in Moskau und Trainer ersten Kalibers. Mit der Ukraine hatte er zwar die Schacholympiade gewonnen, doch Ukrainisch sprach er nicht. Nein war keine Option – auch weil er schon als kleiner Junge davon träumte, Schachweltmeister zu werden und nur so eine Chance bekommen konnte, das auch zu versuchen.
So wurde er Russe und später, als seine Heimat, die Krim, annektiert wurde, ein glühender Putin-Verehrer. Ganz oben auf seinem Twitter-Account steht ein Foto, das ihn zusammen mit dem russischen Präsidenten zeigt. Früheren Freunden in der Ukraine wie dem Schachgroßmeister Ruslan Ponomarjow, der ihn als Jungen zum Training eingeladen hatte, geht das alles viel zu weit. Auf der Suche nach russischen Sponsoren aber punkten Karjakin und sein Manager Kyrill Zangalis mit dem zur Schau gestellten Patriotismus. Das könnte auch daran liegen, dass sportliche Hoffnungsträger derzeit rar sind in Putins Reich. Und vielleicht auch im ganz konkreten Fall, weil nun schon sehr lange kein Schachweltmeister mehr aus Russland gekommen ist.
Schade das der Sport, fast immer auch für Politik missbraucht wird
Das war leider auch schon im altem Rom so.
Wird sich vermutlich auch nie ändern.
Checkmate & Home run
Beste Glückwünsche zum neuen FAZ Schach-Blog! Der erste Beitrag hat bei mir schon zu Kurzweil und Erkenntnisgewinn geführt; wusste bisher z.B. nicht, dass man den indischen Namen Viswanathan mit „Vishy“ abkürzt. In freudiger Erwartung weiterer Beiträge über das perfekteste und schönste Spiel der Welt, verbunden mit der Anregung, über die Einrichtung eines Blogs zum zweitschönsten Spiel der Welt (Baseball) nachzudenken, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen an den Autor, alle Leser, Spieler und Interessierte.