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Robert Hübner analysiert einen ganz alten Meister

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Das zeitgenössische Porträt zeigt den österreichischen Schachspieler Wilhelm Steinitz (1836-1900). Er war der erste allgemein anerkannte Schachweltmeister. [ Rechtehinweis: picture-alliance / dpa ]© dpaDas zeitgenössische Porträt zeigt den österreichischen Schachspieler Wilhelm Steinitz (1836-1900). Er war der erste allgemein anerkannte Schachweltmeister.
Ein neues Magazin ist am Kiosk. „Caissa“, die Zeitschrift für Schach- und Brettspielgeschichte, ist nach der Göttin des Schachs benannt, die sich der englische Indologe William Jones im Jahr 1763 in einem gleichnamigen eleganten Gedicht ausgedacht hat. Darin geht es allerdings zunächst mehr um allerlei Nymphen und Mädchen als um offene Linien, Springergabeln und Bauernopfer. Das Spiel folgt bei Jones ganz der Aufforderung – „And guiltless war was in pleasing form display’d“ -, den Kriegsgott erotisch zu besänftigen.

Die Brettspielgeschichte, wie sie im ersten Heft erscheint, war indes nicht immer so lustvoll friedlich. Ein Beitrag skizziert den Einfluss, den die NS-Ideologie auf die Spielzeug-Industrie nahm. Ein anderer zeichnet nach, wie sich in der ostdeutschen Zeitschrift „Schach“ die Wende 1989 dokumentierte. Der längste Beitrag des Heftes ist eine reichhaltige kommentierte Bibliographie von Büchern des siebzehnten Jahrhunderts, in denen Schach eine Rolle spielt. Hier wird dem Schach einerseits zugetraut, Kriegsherren zu schulen, andererseits werden ihm im Unterschied zu anderen, von Zufällen abhängigen Spielen die Tugenden der Langmut, Sanftheit und Bedachtsamkeit zugeordnet – man kannte noch kein Blitzschach.

Höchste Staatsämter auch für Bauern offen

Das klingt wie eine Vorwegnahme der Ansichten von Benjamin Franklin in seinem „Morals of Chess“, wo 1787 behauptet wird, Schach befördere Voraussicht, Umsicht und Vorsicht. Franklin selbst, so merkt der Autor eines glänzenden Beitrages über Schach als Freizeitaktivität im achtzehnten Jahrhundert an, folgte den eigenen Empfehlungen allerdings nur begrenzt: Er spielte schlecht und war ein noch schlechterer Verlierer.

Am Nutzen des Schach zweifelten darum Utilitaristen wie Christen: Es schien ihnen eine Zeitverschwendung und vom Kartenspielen so sehr nun auch nicht unterschieden. Erst als nach dem Jahr 1830 das Konzept der „rationalen Erholung“ aufkam, gewann das Spiel an Ansehen. Es sei einfacher als Mathematik, hieß es, und außerdem schule es in Demokratie, weil die Macht des Monarchen hier begrenzt sei und auf dem Brett die höchsten Staatsämter auch den Bauern offenständen.

Biografisches von Hübner

Der prominenteste und zugleich das Schach selbst am meisten betreffende Beitrag des ersten Heftes von „Caissa“ stammt von Robert Hübner. Der stärkste deutsche Spieler seit Einführung von Weltranglisten hat im vergangenen Jahr seine „Elemente einer Selbstbiographie“ vorgelegt (Edition Marco, Verlag Arno Nickel, Berlin 2015). Sie zeigen in Landschaftsbildern, kurzen Einlassungen zu Fortschrittsglauben und zum modernen Reisen, zu Dopingkontrollen im Schach und zur Angst vor Computern sowie in Vorträgen über Natur- und Geisteswissenschaft oder den Gebrauch von Personalpronomen bei Homer, was eigensinniges Denken sein und leisten kann.

Hübner pflegt diesen vernünftigen Eigensinn auch in seinen Beiträgen zur Schachgeschichte. Er dürfte der einzige Großmeister höchsten Ranges sein, der Bücher geschrieben hat, die sich ausschließlich mit den eigenen Irrtümern beschäftigen: „Fünfundfünfzig feiste Fehler“ (1990) und „66 saftige Schnitzer“ (2015). Sein Buch über den Weltmeisterschaftskampf Emanuel Laskers mit Wilhelm Steinitz im Jahr 1894 (und weitere Zweikämpfe Laskers, Edition Marco, Berlin 2008) ist ein Klassiker – soll heißen: kann seiner klaren Urteile wegen gar nicht oft genug studiert werden.

In der ersten Ausgabe von „Caissa“ kommentiert Hübner den ersten Wettkampf zwischen Joseph Henry Blackburne und Wilhelm Steinitz von 1862. Beide prägten das Schachspiel fast fünfzig Jahre lang. Hübner präpariert zunächst die verstreut und oft unvollständig publizierten Partien dieser frühen Auseinandersetzung heraus. Dann analysiert er sie. Wie beispielsweise hätte Steinitz (Weiß) in dieser Stellung der ersten Match-Partie sofort gewinnen können, wenn er nicht 16. Sce2 gespielt hätte?

(Auflösung: 16. Sh5 Sxh5 17. fxg6 …)

Besonders instruktiv ist die Beobachtung, dass Blackburne nur eine einzige Partie in einem direkten Match gegen Steinitz gewann, aber zwischen den Jahren 1862 und 1899 in Turnierpartien mit neun Siegen bei acht Niederlagen gegen Steinitz abschnitt. Blackburne gewann gegen Steinitz also um so eher, je beiläufiger er auf ihn traf.

Wie knapp jener eine Gewinn in einer Wettkampfpartie war, zeigt Hübners Kommentar zu dieser Stellung:

Steinitz spielte 30. Df6+, woraufhin 30. … Df7 31. Dg5 Dxc4 32. Tc1 De6 und Gewinn für Schwarz folgte.

Was hätte Steinitz stattdessen spielen sollen?

(Auflösung: 30. Lb4+ Se7 31. Dxh6+ Kg8 32. Ta5 und gewinnt.)


4 Lesermeinungen

  1. KSeilberger sagt:

    Gerne mehr Schach in der FAZ
    Danke für den Beitrag, den ich mit Gewinn gelesen habe. Werde mir die neue Zeitschrift einmal besorgen.

    Die FAZ dürfte in ihrer gedruckten Version dem Schach gerne mehr Aufmerksamkeit widmen. Die Beiträge von Herrn Finkenzeller – für sich genommen durchaus lesenswert – haben ja mit Schach nur am Rand zu tun.
    Als Vorbild verweise ich auf die NZZ.

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