Stadien mit Tausenden Zuschauern, die mucksmäuschenstill verfolgen, wie in der Mitte an einem Schachbrett Super-Großmeister grübeln und ziehen – das gibt es nicht. Zu den Bundesliga-Wettkämpfen kommen einige Schach-Begeisterte, schon in der Zweiten Liga spielen die Spieler häufig sogar unter sich.
Es gibt Ausnahmen: Der legendäre deutsche Schach-Manager Hans-Walter Schmitt (ein Interview mit ihm darüber, wie Schach vermarktet werden kann, gibt es hier) hatte viele Jahre lang mit seinen „Chess Classic“ riesige Events auf die Beine gestellt – da gab es Turniere für jedermann, Simultan-Veranstaltungen und Wettstreits zwischen Weltklasse-Spielern inklusive Live-Kommentierungen durch erfahrene Großmeister. Mehrere hundert Zuschauer kamen beispielsweise in die Ballsporthalle nach Frankfurt-Höchst, als Schmitt dort im Jahr 1999 die beiden früheren Weltmeister und Dauerrivalen Kasparow und Karpow ans Brett brachte und man ihnen zusehen und zugleich die Partien auf Großleinwand verfolgen konnte!
Es gibt aber auch immer wieder einmal das Argument, Schachpartien müssten „spannender“ sein – große Figurenopfer mit schönen Kombinationen, so wie das vor hundert Jahren häufiger zu sehen war. Als auch noch gewissermaßen als unehrenhaft galt, solche Opfer-Angebote einfach abzulehnen. Wir wollen ein solches etwas weniger altes Beispiel diesmal in unserer Freitags-Kombi zeigen, aus geht um eine Partie zwischen David Bronstein und Peter Dubinin während der UdSSR-Meisterschaften im Jahr 1945. Nach nur sieben Zügen war diese Stellung erreicht:
Schwarz (Dubinin) hatte gerade seinen Läufer von f8 nach h6 gezogen. Wie zu sehen ist, entstand schon gleich aus der Eröffnung heraus ein offener Schlagabtausch, der einen spannende Partei versprach. Nochmal elf Züge weiter sah das Brett nach einigen Verwicklungen so aus:
Hier hatte Dubinin gerade seinen Läufer vom Feld d7 nach c6 gestellt. Bronstein, der die weißen Figuren führte, hatte einen kleinen Materialnachteil, dafür aber ziemlich aktive Figuren. Reichte das, um sein Gegenüber zu überspielen?
Ja. Bronstein zog den Bauern auf e5 nach e6. Schwarz hatte grundsätzlich mehrere Möglichkeiten an dieser Stelle und deswegen musste Bronstein sie alle auch relativ weit berechnen. Allerdings gewinnt er am Ende immer. Die Partie selbst ging so weiter: 19. …Lxd5, 20. Tf7+ Sxf7, 21. Txf7+ Kh8, 22. Dc3+ Sf6, 23. Txf6, Dxf6, 24. Dxf6+, Kh7, 25. Df5+ Kh6, 26. Dxd5 Kg6, 27. Dd7 – und an dieser Stelle gab Dubinin auf.
Bronstein gegen Dubinin
Vielleicht
1. e6
Wenn 1… Sxe6 dann 2. Tf7+ Kh8 (2… Kg6 3. Dd3+ Kh6 4. Th7+ Kg5 5. Df5# oder 3… Kg5 4. Df5+ Kh6 5. Th7#) 3. Dc3+ Sf6 4. Sxf6 Sg7 (4… Sf8 5. Sxg4+ Df6 (5… Kg8 6. Sh6#) 6. Dxf6+ Kg8 7. Dg7#) 5. Txg7 Kxg7 6. Sxh5+ Kg6 oder Kh6 7. Dg7+ Kxh5 8. Qh7+ Kg5 9. Tf5#
Wenn aber 1… Lxd5 dann 2. Tf7+ Sxf7 3. Txf7+ Kh8 4. Qc3+ Sf6 5. Txf6. Wenn 5… Tg8 dann 6. Th6#. Wenn 5… Dg5 oder Läufer irgendwohin, dann 6. Tg6+ Kh7 7. Dg7#. Wenn 5… Kg8 dann 6. Tg6+ Kf8 7. Dg7+ Ke8 8. Df7#. Wenn 5. Kg7 oder Kh7 dann 6. Tf7+ Kg6 oder Kh6 und schließlich 7. Dg7#.
Gegen 1… Kh7 spielt man wie gegen 1… Lxd5.
Wenn 1… Sh6 dann 2. Dc3+ Kh7 (2… Kg6 Tf6+) 3. Sf6+ Kg6 4. Dd3+ Kg7 5. Dh7+ Kf8 6. Sd7+ Ke8 7. Tf8#
Wenn 1… Kg6 dann 2. Dd3+ Kh6 3. Tf6+ Sxf6 4. Sxf6 Kg7 5. Dh7+ Kf8 5. Sg8+ Ke8 6. Dg6+ Sf7 7. Dxf7+ Kd8 8. Td1+ Kc8 9. Df8+ Le8 10. Dxe8+ Dd8 11. Dxd8#
Die Kommentierung bei Live-Events
Ich zitiere: „…inklusive Live-Kommentierungen durch erfahrene Großmeister.“ – Genau das ist der springende Punkt. Bei jedem Event wird nur noch darauf geachtet, ob der Kommentator irgendein Titelträger ist. Ob dieser Ahnung vom Kommentieren hat, spielt keine Rolle. Und so haben wir heutzutage Kommentatoren, die einfach nur staubtrocken und langweilig rüberkommen und nicht den Funken Ahnung haben, wie man ein Publikum unterhaltet.
Was nützt die fachliche Kompetenz, wenn der Vortragende nicht kompetent genug ist, ein breites Publikum zu erreichen?
Das selbe groteske Spielchen haben wir auch, wenn es um Trainer geht. Ein Großmeister ist eben nicht automatisch ein guter Trainer. Der Titel bedeutet nur, dass jemand im praktischen Spiel überragend gut ist und sagt nichts über dessen Trainerqualitäten aus.
„Schach für Zuschauer“ lautet der Titel und dabei stelle ich mir die Frage, was für ein Zielpublikum heutzutage angestrebt wird.