Russland soll endlich wieder Gold holen. Eigens dafür schlüpft Andrei Filatow, der Milliardär an der Spitze des Russischen Schachverbands, während der nun unmittelbar bevorstehenden Schacholympiade in die Rolle des Kapitäns. Studierter Schachtrainer ist er schließlich, auch wenn er dann ins Business umgestiegen ist und es als Transportunternehmer mit guten Beziehungen zum Kreml weit gebracht hat. Zuletzt gewann Russland diesen Wettbewerb im Jahr 2002 – damals noch mit dem mittlerweile ungeliebten früheren Champion Garri Kasparow am Spitzenbrett.
Die höchste durchschnittliche Elo-Zahl aller Teams, nämlich 2760, hat Russland immer noch. Trotzdem hat Filatow vor der Abreise nach Baku, wo das zweijährliche Stelldichein der internationalen Schachwelt an diesem Donnerstagabend feierlich eröffnet wird, vorsorglich darauf verwiesen, dass ja alle die Vereinigten Staaten als Favoriten ansehen. Die Amerikaner haben zwar im Durchschnitt nur 2740 Elo-Punkte, können aber drei Spieler an den vier Brettern aufbieten, die derzeit zu den Top Ten der Welt zählen – und würden von keinem geringeren als Kasparow trainiert.
Oder doch China?
Offiziell ist das zwar nicht. Und als erklärter Kritiker des Alijew-Regimes wird der frühere Weltmeister auch nicht in Aserbaidschan dabei sein, aber man glaubt es sofort: Kasparow lebt in Amerika, und zwar – wie böse Zungen behaupten – davon, Russland schlechtzureden.
Es kann freilich gut sein, dass Russen und Amerikaner am Ende den in der nominellen Hackordnung an Nummer drei gesetzten Chinesen (Elo-Schnitt 2735) den Vortritt lassen müssen. Vor zwei Jahren im norwegischen Tromsö hat China den wichtigsten Mannschaftswettbewerb schließlich auch und sogar überlegen gewonnen. Mit gemittelt 2705 Elo will auch Gastgeber Aserbaidschan als viertstärkstes gesetztes Team vorne mitreden.
Ohne Anand und Iwantschuk
Überschattet wird der Wettbewerb von der Absage Armeniens. Dass das Siegerland der Jahre 2006, 2008 und 2012 Baku aus politischen Gründen fernbleibt, stand hier schon vorige Woche. Der prominenteste Abwesende ist der frühere und aus Indien stammende Weltmeister Vishy Anand. Schacholympiaden sind nicht sein Ding, und auch ohne ihn gewann das junge indische Team vor zwei Jahren immerhin die Bronze-Medaille.
Überraschender ist, dass Wassili Iwantschuk nicht am Brett sitzen wird wie eigentlich immer seit dem Jahr 1992, als die Ukraine erstmals ein eigenes Team stellen durfte. Der mehrmalige Medaillengewinner Israel tritt mangels Geld ohne Boris Gelfand, Ilja Smirin und Emil Sutovsky dieses Mal chancenlos an. Ungarn spielt ohne Peter Leko, Frankreich ohne Etienne Bacrot – Brett eins hätten beide nicht mehr bekommen.
Am deutschen Spitzenbrett wird mancher Arkadi Naiditsch erwarten. Bei der vorigen Schacholympiade schlug er Weltmeister Magnus Carlsen. Der 30jährige hat allerdings voriges Jahr ein Angebot des Olympiade-Ausrichters angenommen und spielt nun am vierten Brett für Aserbaidschan. Aus Sicht der Funktionäre war er seit Jahren ein Störfaktor. Ausgerechnet jetzt fungiert nicht mehr der von Naiditsch vielfach angegriffene Uwe Bönsch als Bundestrainer sondern der rumänische Großmeister Dorian Rogocenko. Nominell sind die deutschen Herren mit Elo-Schnitt 2644 die Nummer zwölf im Feld. Ein Platz unter den ersten zehn wäre ein Erfolg. Im parallelen Frauenwettbewerb ist der übliche Dreikampf zwischen Chinesinnen, Russinnen und Ukrainerinnen zu erwarten.
FIDE-Tagung in Baku
Umgerechnet 15 Millionen Euro soll sich Aserbaidschan die Ausrichtung kosten lassen. Nicht nur beim Budget herrschen neue Maßstäbe sondern auch bei der Vorbeugung gegen Betrug: Die Spieler dürfen weder Uhren noch Kugelschreiber in den Turniersaal mitbringen (elektronische Geräte natürlich sowieso nicht). Eigene Anti-Cheating-Schiedsrichter sollen Kontrollen durchführen.
Während der Schacholympiade tagt der Weltschachbund FIDE. Obwohl keine Wahlen anstehen, fürchtet Präsident Kirsan Iljumschinow um seine Position. Voriges Jahr hat ihn das US-Schatzamt wegen des Verdachts von Geschäften mit dem syrischen Diktator Assad auf seine Sanktionsliste gesetzt. Dass die FIDE im letzten Jahr weit mehr ausgegeben als eingenommen hat, hilft ihm auch nicht. Ian Wilkinson vom Jamaikanischen Schachverband hat ein Ablösungsverfahren beantragt. Wilkinson zählte im Jahr 2014 zum Team um Kasparow, das Iljumschinow ablösen wollte, aber die Abstimmung deutlich verlor. Dass der Antrag nicht in die Tagesordnung aufgenommen wurde, bedeutet hingegen wiederum nicht, dass Iljumschinows Ablösung in Baku ausgeschlossen ist.