Berührt, geführt

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Der König gibt sich die Ehre

| 5 Lesermeinungen

Am kommenden Freitag beginnt die Deutsche Einzelmeisterschaft im Schach. Ein Aushängeschild des deutschen Schachs ist sie schon lange nicht mehr. Die diesjährige Auflage ist so erbärmlich besetzt wie noch nie. So sehr sich der Lübecker SV als einer der bestgeführten Schachvereine Norddeutschlands als Ausrichter ins Zeug legt, ist diese Deutsche Meisterschaft ihren Namen nicht wert. Angeführt wird die Teilnehmerliste für Lübeck von der deutschen Nummer 24 Rasmus Svane.

Der nächstbeste angemeldete Spieler ist gerade noch die Nummer 99 der deutschen Rangliste. Nicht einmal zur Förderung von Nachwuchs-Talenten taugt der Wettbewerb noch. Man sollte ihn in Deutsche Amateurmeisterschaft umbenennen. Leider geht das nicht, weil dieser Titel bereits durch eine kommerzielle Turnierserie ohne leistungssportlichen Anspruch belegt ist.

Der Präsident des Deutschen Schachbunds Herbert Bastian bekennt sich einerseits zum Leistungs- und Profischach und steht andererseits voll hinter einem Modus, der praktisch ausschließt, dass Deutschlands beste Spieler Deutscher Meister werden wollen. Kein Widerspruch für Bastian, der als Saarländischer Meister selbst mehr als zwanzig Deutsche Meisterschaften bestreiten durfte, ohne je zur deutschen Spitze gehört zu haben.

Ullrich Krause, der als Organisator in Lübeck den Deutschen Schachbund über ein weiteres Jahr vor der Schmach, ohne Meisterschaft dazustehen, rettet, will im kommenden Jahr Bastians Nachfolger werden. Wenn Krause weniger am Posten als am Schach in Deutschland liegt, sollte er in seiner Eröffnungsrede eine Gratwanderung wagen: So sehr er sich um ein für Spieler und Sponsoren gelungenes Turnier bemühe, soll es die letzte Deutsche Meisterschaft in dieser Form gewesen sein.

Spektakuläre Wanderung

Ganz anders: Am Wochenende hat die Deutsche Vereinsmannschaftsmeisterschaft ihre Saison begonnen. Die Bundesliga ist die Leistungsschau des deutschen Schachs, auch wenn die Hälfte der Bretter von ausländischen Profis besetzt sind. Das hat den Vorteil, dass hier und da ein Weltstar des Schachs zum Zug kommt.

In Hamburg setzte sich am Samstag Antoli Karpow für den Schachverein Hockenheim ans erste Brett. Anfang voriger Woche hatte der 65 Jahre alte Russe in Murmansk ein Nostalgie-Match gegen den gleichaltrigen Jan Timman mit 1,5:2,5 verloren. Dieses Mal lief es besser für den Weltmeister der Jahre 1975 bis 1985. Sehen Sie, wie er hier mit Weiß am Zug ausnutzte, dass sein Gegner ihm gerade den falschen Turm auf der d-Linie entgegengesetzt hat?

Karpow (Hockenheim) – Kempinski (Hamburg) nach 27. … Tfd8

Karpow zog hier 28. Td6! Neben der Inbesitznahme der d-Linie droht auch Materialgewinn mit 29. Lb6 oder 29. Tc6. Nach 28. … Txd6 29. exd6 Dd8 30. Td1 erhält Weiß nicht nur einen starken Freibauern sondern wird auch den c-Bauern erobern. Zwanzig Züge später gab Kempinski auf.

Hockenheim gewann gegen den Hamburger Schachklub. Beim Sieg gegen Werder Bremen am Sonntag (Partien hier) war Karpow schon nicht mehr dabei. Dass dieser mit 6:2 sehr hoch ausfiel, war die größte Überraschung der ersten Doppelrunde. Keinem der vier Aufsteiger gelang ein Punkt außer im direkten Vergleich. Die Favoriten setzten sich mehr oder weniger klar durch. Dass sich der Schachverein Mülheim-Nord von den Schachfreunden Berlin kein Bein stellen ließ, war einem spektakulären Sieg am ersten Brett zu verdanken.

Navara (Mülheim-Nord) – Piorun (Berlin) nach 18. …c5

Mit 19. b4 konnte der Prager Großmeister David Navara hier risikolos seinen Vorteil ausbauen. Doch dann würde seine Partie nicht hier stehen. Es folgte Txc5!? Ld7 20. De4 f5 21. Dc4 dxc5 22. Lxc5+ Ke8 23. Td1 Tc8 24. b4 Tc6 25. Td3 Te6 26. Lxa7 Le5 27. Lc5 Db8 28. Ta3 Db5 29. Dc2 Lb8 30. Dxf5 (Eine schnelle Computeranalyse sieht die Stellung dank eines möglichen Dauerschachs im Gleichgewicht: 30. … Kd8 31. Ld4 Txe2 32. Df6+ Kc8 33. Sb6+ Kb7 34. Sxd7 Te1+ 35. Kg2 Df1+ 36. Kf3 D2+ 37. Kg2 Df1+. Piorun verfügte allerdings über kaum mehr Bedenkzeit als jene dreißig Sekunden, die nach jedem Zug dazukommen.) 30. … Dxe2? 31. Sf6+ Txf6 32. Dxf6 De1+ 33. Kg2 De4+ 34. f3 De2+ 35. Lf2 Lh3+ 36. Kxh3 Df1+ 37. Kg4 h5+ 38. Kxg5 Tg8+ 39. Kh6 Dxf2

In Navara – Wojtaszek, Biel 2015, lief Navaras König bei vollerem Brett bis zur gegnerischen Grundreihe und anschließend wieder zurück. Hier reicht es, dass sich der Wanderkönig auf der siebten Reihe die Ehre gibt. Er zog 40. Kh7 und sein Gegner gab auf.


5 Lesermeinungen

  1. nobodicos sagt:

    Karpow-Kempinski
    28. Td6 Txd6 29. exd6 (29. Dxa8+ Td8) Dd8. Der d6 Bauer, der ungestört auf d7 ankommen wird, die Kontrolle der weißen Dame auf c6, die Schwäche des c4 Bauern und die geringe Mobilität der schwarzen Figuren können dann gefährlich werden.

  2. Hockeyplayer sagt:

    Guter Artikel
    Es ist genauso wie es dargestellt wurde. Während die Bundesliga eine Ansammlung von Großmeistern ist, gerät die Deutsche Einzelmeisterschaft zu einer reinen Amateuerveranstaltung. Egal wer deutscher Einzelmeister 2016 wird, dieser Titel ist wertlos.
    Es ist an der Zeit, dass sich ein Sponsor (Grenke-Leasing) bereit erklärt eine Deutsche Einzelmeisterschaft (als Einladungsturnier ohne Vorqualifikation) als Rundenturnier z.B. mit 10 Teilnehmern nach holländischem Vorbild zu finanzieren oder aber diese Veranstaltung aus dem jährlichen Turnierkalender zu streichen.
    Baku 2016 sollte als letzte Warnung eigentlich reichen, aber beim Deutschen Schachbund scheint man ja leider schmerzfrei zu sein.
    Das ist keine gute Nachricht, es sei denn der Schachsport organisiert sich endlich nach sportlichen Vorgaben oder aber es gibt eine Entwicklung wie auch beim DOSB.
    Dann aber sollte das BMI (Bundesinnenministerium) die Sportförderung drastisch kürzen.

  3. FNeumann sagt:

    Und wo bleibt das Positive ...
    … mag man mit Erich Kästner sagen. Ja, es ist richtig – ohne Preisgelder bleiben Profis zu Hause. „Schmerzfrei“ ist der Deutsche Schachbund nicht. Das Gesamtbild muss stimmen, eine „Spitze“ ist ohne „Breite“ nicht möglich. Alle wichtigen Funktionärsträger werden in Lübeck sein und alle werden sich dafür einsetzen, dass es auch 2017 diese Meisterschaft geben wird. Es muss und es wird Veränderungen geben, dafür ist Kritik wichtig, sie wird ernst genommen !

  4. ThomasTexel sagt:

    Was ist in den Niederlanden besser?
    Ich kenne mich da etwas aus, da ich Spieler und Organisatoren befragt habe. Es gibt eine Reihe Faktoren: die finanziellen Konditionen stimmen (DEM 2016 ganz ohne Preisgeld), Austragungsort Amsterdam, die Spieler respektieren und mögen den Turnierdirektor (oder verehren/lieben ihn gar), die Spieler sind oft miteinander befreundet. War alles in NL nicht immer der Fall. Es ist übrigens kein Einladungsturnier, man kann und musss sich dafür qualifizieren. Rundenturnier mag besser sein als Schweizer System, Deutschland hat nun einmal föderale Strukturen.
    Erfolge der Nationalmannschaften sind total unabhängig vom Format der Einzel-Landesmeisterschaft. In Baku landeten die Niederlande am Ende direkt vor Deutschland. Vor dem Sieg bei der EM in Porto Carras hatte Deutschland dieselben Meisterschaften. Armenien, Aserbaidschan und Ukraine haben auch keine „perfekten“ Landesmeisterschaften mit ihren besten Spielern.

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