Eine der Besonderheiten des Schachs ist die Möglichkeit in mehreren Ligen aktiv zu sein. Die meisten Spieler, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, kommen naturgemäß aus einem Grenzgebiet. Daneben gibt es aber auch Profis, die in vier, fünf oder sechs Ligen spielen – gerade wenn diese am Stück, als Turnier von 1 bis 2 Wochen, ausgetragen werden. Man mag einwenden, dass die Identifikation mit dem Verein unter dieser Freizügigkeit leidet.
Anderseits ist es sehr aufwändig, Spieler für nur ein oder zwei Partien anreisen zu lassen und überschneiden sich viele Wochenend-Termine mit wichtigen Einzelturnieren. Zudem finden Liga-Turniere häufig an attraktiven Orten statt, wo die Mannschaft neun Tage miteinander verbringt, gemeinsam analysiert, isst und trinkt, so dass man am Ende auf eine schöne gemeinsame Zeit zurückblicken kann. Die kroatische Liga ist so ein Turnier.
Sie wird stets Anfang Oktober in einem repräsentativen Hotel an der Adriaküste ausgetragen: die letzten drei Jahre in Bol auf der Insel Brač, dieses Mal etwas weiter nördlich in der Nähe von Šibenik. Beide Orte verfügen über ein malerisches Flair, in dem man sich ebenso gut ins Schach versenken wie die Seele baumeln lassen kann. Das kristallklare Meer glänzt türkisfarben, begrenzt durch pinienbestandene Inseln mit welligen Hügeln und ganz in der Ferne die Horizontkante. Segel- und Ruderboote gleiten in der Stille des Vormittags dahin, nur selten unterbrochen vom Brummen eines Fischkutters. Aber ich schweife ab.
Dieses Jahr genügten die Spielbedingungen im schicken “Hotel Ivan” keinen gehobenen Standards (schlechte Belüftung und hohe Temperaturen, kein Analyseraum, an einigen Brettern weder Liverübertragung noch Standard-Figurensets). Daran hatte auch die prekäre Lage des kroatischen Schachbundes Anteil. Im Herbst 2015 hatte dieser die Jugend-EM in Poreč (Istrien) organisiert und einen lukrativen Deal mit einer örtlichen Hotelgruppe geschlossen, der eine stattliche Provision pro Übernachtungsgast und Nacht enthielt. Bei rund 1000-1200 Teilnehmern und Begleitern kann man sich ausmalen, um welche Summen es hier geht.
Anstelle sich an diesem Turnier gesundzustoßen, schloss der Schachbund es aber mit einem sechsstelligen Defizit ab. In Euro wohlgemerkt. Wohin das Geld versickerte, das ist unklar. Inzwischen tobt ein öffentlich ausgetragener Machtkampf: der neue Vorstand wirft seinen Vorgängern kriminelle Aktivitäten vor (des Kroatischen mächtige Leser können sich auf www.crochess.com informieren). Was wirklich passiert ist und wer die Schuld trägt, ist nicht deutlich. In den Gesprächen, die ich geführt habe, waren Einschätzungen der Geschehnisse kaum von persönlichen Meinungen über die beteiligten Akteure zu trennen. Klar ist aber, dass die kroatische Schachszene ein Korruptionsproblem hat, was sich auch in der Weise zeigt, wie lukrative Trainerstellen auf der Basis von Seilschaften anstelle von Qualifikation an Profispieler verteilt werden.
Iwantschuk mit dabei
Ungeachtet dieser Querelen genügt die Liga gehobenen schachlichen Ansprüchen. Ein Zweikampf zwischen Titelverteidiger Liburnija (aus Rijeka, der drittgrößten Stadt Kroatiens) und dem ŠK Zagreb war vorgezeichnet. Ein pikantes Duell, da – genau wie im kroatischen Fußball – Akteuren des Hauptstadtclubs besondere Nähe zum Verband und zu staatlichen Stellen nachgesagt wird, inklusive der Verwicklung in die genannten Skandale.
Anders als in den meisten europäischen Ligen gilt in Kroatien eine Beschränkung auf zwei Ausländer pro Team (=sechs Spieler). Das macht zum einen die Verpflichtung möglichst spielstarker Ausländer zu einer Priorität und treibt zum anderen die Preise für einheimische Spieler in die Höhe. So kann ein kroatischer Großmeister mit einer Elo von 2500 zum Beispiel mehr Geld verlangen als ein ausländischer Kollege mit Elo 2600, ungeachtet des Klassenunterschieds. In dieser Hinsicht hatte Zagreb die Nase vorn: von den kroatischen Spitzenspielern spielte nur die Nr. 1, Ivan Šarić, bei Liburnija, während Zagreb mit Stević, Palac und Janković gleich drei Nationalspieler aufbieten konnte. Zudem hatte Zagreb mit der ukrainischen Schachlegende Wassili Iwantschuk und dem Weltcup-Halbfinalisten von 2009 und Schnellschach-Europameister von 2011, Wladimir Malachow, die stärksten Legionäre verpflichtet.
Wie eine Bombe schlug daher die Niederlage von Zagreb gegen ETF Osijek in der ersten Runde ein. Liburnija gab sich hingegen keine Blöße und marschierte in den ersten sechs Runden verlustpunktfrei durchs Turnier. In der siebten Runde kam es zum Gipfeltreffen, das in einem umkämpften 3-3-Unentschieden endete. Lange hatte Liburnija einen Punkt Vorsprung, aber es blieb dem großen Wassili Iwantschuk vorbehalten, den Stand auszugleichen und dem bis dahin glänzend aufgelegten Ivan Šarić die einzige Niederlage beizubringen:
Diese Stellung entstand in der Partie Iwantschuk gegen Saric nach dem 56.. …Tfxc2.
Dieses Endspiel wäre mit nur einem Turmpaar natürlich totremis, aber im Doppelturmendspiel entfaltet Weiß eine gefährliche Initiative. Beginnend mit 57. Th7+ Kg6 58. h5+ Kf5 59. Tbf7+ drängte Iwantschuk den schwarzen König vom h-Bauern ab. Wenige Züge später war die folgende Stellung entstanden:
Iwantschuk blies nun mit 64. Ta4+ Kf3 65. Tg3+ Kf2 66. Ta2+ Kf1 67. Tf3+ Kg1 68. Kg3 zum Mattangriff und band damit die schwarzen Türme an die Verteidigung des Königs. Wenige Züge später stand der weiße Bauer auf h7. 1-0.
Eine beeindruckende technische Demonstration von Iwantschuk, der seit 1991 der Weltelite angehört und immer wieder mit tiefen schöpferischen Ideen aufwartet. Zuletzt war es um den manchmal in seiner eigenen Welt lebenden „Planet Chucky“ etwas ruhiger geworden. Sogar die Teilnahme an der Olympiade in Baku hatte er abgesagt um in den schlesischen Wäldern ein offenes Turnier im Damespiel zu bestreiten. Darin ist er ein passabler Amateur. Seine Leistung in Kroatien (7/9 am Spitzenbrett, +5 =4 -0) zeigt allerdings, dass er das Schachspielen keinesfalls verlernt hat. Liburnija bewahrte trotz dieses Partieausgangs zwei Punkte Vorsprung auf Zagreb und sah wie der sichere Meister aus.