Zwei von zwölf Partien sind vorbei. Fehler sind nicht passiert, riskiert hat auch noch keiner etwas. Der kleine Vorteil, den Weiß in der ersten Phase eines Spiels meist besitzt, hat sich in der ersten Partie etwas später, in der zweiten Partie etwas früher in Luft aufgelöst. Also zwei Remis. Das Match zwischen Magnus Carlsen und Sergei Karjakin hat so normal begonnen, wie man es sich nur denken kann.
Hat jemand gemeckert? Oder sind die beiden nach Partie Nummer zwei so perplex, dass sie in der nur so genannten Pressekonferenz neben ein paar Dutzend Reportern auch Hunderte Schachfans antreffen, darunter ein Dutzend Kinder direkt zu ihren Füßen?

Ohne dass ein kritisches Wort gefallen wäre, sprudelt aus Carlsen heraus: „Ich bitte um Verständnis, dass dies ein langes Match ist. Es kann nicht in jeder Partie ein Feuerwerk geben.“ Karjakin schickt hinterher: „Es werden noch lustige Partien kommen.“ Carlsen dankt allen fürs Kommen und findet, dass sie dem Publikum „mehr Schach“ schulden und zwar idealerweise gleich am nächsten Tag. Wäre Karjakin bereit, das Match gleich am Sonntag fortzusetzen? Da zieht der Herausforderer dann doch den Ruhetag vor und dass es wie geplant Montag weitergeht.
Gemeckert wird freilich, aber nicht gegenüber den Spielern. Schon am Einlass ins Fulton Market Building stauen sich die Schachfans wie vor einer Szenediskothek. Im Obergeschoss erwartet sie die nächste Schlange. Wer ein normales Ticket zu 75 Dollar löst, wartet über eine Stunde, um von einem abgedunkelten, schlecht belüfteten Raum aus durch eine dicke Glaswand die beiden Schachgrößen am Werk sehen zu dürfen. An Sitzplätzen mangelt es fast überall auf der ganz vom Schach besetzten obersten Etage. Mancher würde jetzt viel geben, um sich auf eines der drei Sofas zu fläzen, die manchmal auf dem Bildschirme eingeblendet sind, wenn einer der Spieler den Rückzugsbereich aufsucht.
Als Ursache für das Gedränge nennt ein Sprecher des Veranstalters, dass viele der undatierten Freikarten, die an New Yorker Schachorganisationen verschenkt wurden, ausgerechnet am ersten von zwei eigentlich schon ausverkauften Spieltagen eingelöst werden. Im V.I.P.-Bereich dagegen lässt es sich aushalten. Wer es auf die Einladungsliste schafft oder 600 Dollar berappt, kann mit herrlichem Blick auf den East River bei Cocktails und Sternekoch-Häppchen das Spielgeschehen auf sich wirken lassen. Mit Tageslicht im Rücken sieht auch die Glaskammer von Carlsen und Karjakin gleich viel freundlicher aus.
Das Preisgeld ist gar nicht so üppig
Von innen ist der Spielraum verspiegelt und fast schalldicht. Normalerweise müssen Zuschauer beim Schach Telefone abgeben oder zumindest ausschalten. Dieses Mal sollen sie ihre Smartphones ausdrücklich mitbringen. Wer nochmal 15 Dollar drauflegt, kann damit den Spielerklärungen der weltbesten Schachspielerin Judit Polgar lauschen, Bewertungen des Computers sehen oder die Spieler aus verschiedenen Perspektiven beobachten. Im Angebot sind 360-Grad-Bilder und Virtual-Reality-3D-Brillen, die man vor sein Smartphone klemmen kann.
Das Eventdesign kann sich sehen lassen. Doch welche Informationen Schachfans erwarten, überfordert die vom Weltschachbund beauftragte russische Veranstaltungsfirma Agon immer noch. Auf den meisten Bildschirmen im Zuschauerraum ist weder zu sehen, welches die letzten Züge waren, noch wie viel Bedenkzeit bleibt. Wer gerade mit Polgar im Kommentatorenstudio plaudert, geht an den meisten vorbei.
Selbst am Spielort verschmähen viele die offizielle Übertragung und logen sich lieber auf Websites wie Chess24 oder Chessbomb ein, wo die aktuelle Hauptvariante des Computers angezeigt wird und sekundengenau erfasst ist, wie lange über welchen Zug nachgedacht wurde. Das ist peinlich für Agon-Chef Ilja Merenzon. Eigentlich hat er den Konkurrenten das Abkupfern der Züge untersagt hat, doch beim Versuch, eine Unterlassung zu erzwingen, ist er vor Gerichten in Moskau und New York abgeblitzt.
Die attraktivere Kulisse
Auch das Preisgeld ist nicht üppig. Knapp über eine Million amerikanische Dollar beträgt es für Carlsen und Karjakin zusammen. Vor 26 Jahren spielten Kasparow und Karpow, ebenfalls in New York, um drei Millionen Dollar. Statt aufwärts geht es abwärts im Spitzenschach, wie erklären Sie das Herr Merenzon? „Die besten Spieler der Welt hätten ein höheres Preisgeld verdient, aber der Markt hat nicht mehr hergegeben.“ Dann schlägt er dem Fragesteller tatsächlich vor, selbst Sponsor zu werden. Okay, ich werde es mir überlegen.
Überschaubare Beträge zahlen Norwegens Staatssender und ein norwegischer Wasserabfüller, der Löwenteil des WM-Budgets kommt von einem russischen Düngerhersteller und einem russischen Investmentfond. Wie wichtig das Match in der Heimat des Herausforderers genommen wird, zeigt, dass Präsident Putin seinen Pressesprecher Dimitri Peskow geschickt hat. Karjakin bedient die russischen Reporter jeden Tag separat. Von acht Personen, die bei der Auftaktpressekonferenz auf dem Podium saßen, leben fünf in Russland und kein einziger in Amerika. Hätte der Präsident des Weltschachbunds Kirsan Iljumschinow wegen Verdachts auf Kriegsgeschäfte in Syrien nicht gerade Einreiseverbot, wären es sechs von acht gewesen.

Dafür bietet Amerika die attraktivere Kulisse. Woody Harrelson wurde eingeladen, den ersten Zug auszuführen. Der Filmstar griff sich den Damenbauern des Titelverteidigers und warf dem Herausforderer dabei einen irren Blick zu. Vor lauter Konzentration haben Carlsen und Karjakin Harrelson zwar nicht erkannt, sorgten aber selbst für den nächsten Lacher, als sie den „Trompowsky-Angriff“ aufs Brett brachten. Amerikanische Spieler nennen ihn den „Tromp“. Klingt wie der nächste US-Präsident. Guter Witz, Herr Weltmeister, bitte mehr davon!