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Karjakin strauchelt, aber fällt nicht

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Mit knapper Not übersteht der Herausforderer die dritte WM-Partie ungeschoren mit einem weiteren Remis. Am Ende verpasst Carlsen zwar den Gewinn, doch immerhin quält er Karjakin über mehr als sechseinhalb Stunden (hier zum Nachspielen).

Karjakin zieht den Köningsspringer - die "Berliner Mauer" ist auf dem Brett. (Foto: Ilja Iwanow für Agon Limited)Karjakin zieht den Köningsspringer – die „Berliner Mauer“ ist auf dem Brett. (Foto: Ilja Iwanow für Agon Limited)

Die gefürchete „Berliner Mauer“ der Spanischen Eröffnung ist auf dem Brett. Sie heißt so, seit sich Kasparow als Weißer im WM-Kampf 2000 gegen Kramnik in der Hauptvariante mit 5. d4 Sd6 6. Lxc6 dxc6 7. dxe5 Sf5 8. Dxd8+ Kxd8 die Zähne ausbiss. Carlsen hat diese Variante selbst mit Schwarz im Repertoire.

In seinen WM-Kämpfen gegen Anand kam er damit mit Schwarz nie ernsthaft in Gefahr zu verloren und gewann einmal damit. Als Weißer damit konfrontiert spielt er nicht 5. d4 sondern 5. Te1, was schon im allerersten WM-Kampf 1886 zwischen Steinitz und Zukertort in gleich fünf Partien aufs Brett kam und heutzutage zwischen Weltklassespielern meist auf ein Remis hinausläuft. Doch Carlsen hat sich etwas Giftiges dabei gedacht.

Carlsen hat gerade den Turm von e5, wo er vom Läufer angegriffen war, nach e2 zurückgezogen. Falls Schwarz 10. … Te8 erwidert und die Türme tauscht, kann Weiß nun mit dem Läufer zurückschlagen. Oder mit der Dame und anschließend mit Ta1-e1 die e-Linie kontrollieren. Karjakin hat sich wohl nur auf das meistgespielte 10. Te1 vorbereitet und versinkt in 20-minütiges Nachdenken, bevor er hier 10. … b6 zieht.

Carlsen erwidert darauf ohne zu zögern Te2-e1. Als wollte er sagen, dass Schwarz den Bauern lieber auf b7 statt b6 hätte, weil seine Struktur geschwächt ist, wenn er nach vorherigem Sd6-f5 oder Sd6-e8 den Bauern nach d5 zieht. Statt 11. Te1 scheint 11. Lf4 gut, doch nach 11. … Sf5 12. c3 (12. Td2 c5) 12. … La6 mit Abtausch der Läufer hätte Schwarz ausgeglichen. Karjakin verbraucht nochmals zehn Minuten für seinen nächsten Zug 11. … Te8, so dass Carlsen ihm mit seinem Turmmamöver eine halbe Stunde Bedenkzeit abgeluchst hat. Zeit, die dem Herausforderer später fehlen wird.

Nachdem sich auf der e-Linie ein Turmpaar und die Damen getauscht haben, befragt Karjakin mit 17. … g5 den Läufer. Carlsen sieht, dass er auch mit je zwei Leichtfigurenpaaren weniger auf dem Brett Vorteil behält und reagiert mit 18. Lxd6 Lxd6 19. Lg2.

Angenehm steht Schwarz nicht, aber nach 30. … Lh6 31. Tg3 Tf8 kommt Weiß nicht weiter. Stattdessen handelt sich Karjakin hier mit dem vermeintlich aktiven 30. … Ta2? Probleme ein. Carlsen erwidert einfach 31. b3. Verhindert Karjakin Tg1-g5 nun mit 31. … Lh6, so folgt 32. Tg8. Er entschließt sich stattdessen zur Antwort 31. … c5!? – was praktisch auf ein Bauernopfer hinausläuft.

Carlsens Magie hat wieder einmal gewirkt: Aus einem kleinen Vorteil wird ein Materialvorteil, denn der Bauer auf d4 ist nicht zu halten (auf 34. … Lc5 folgt 35. Ke4). Karjakin nutzt seine beste Chance und gibt den Bauern mit 34. … d3! sofort her. Danach verbleibt Weiß mit vier isolierten Bauern, die sich nicht gegenseitig decken können. Carlsens Einschätzung: „Fast nicht zu gewinnen.“

Carlsen nimmt hier, was naheliegt, mit dem Turm auf d7. Bessere Gewinnchancen gibt 44. Ke4! Th3 45. Txd7+ Ke8 46. Tb7 Txh2 47. Sf3 nebst Se5.

48. … Txb3? 49. Sd8+ Kf8 50. Se6+ Kf7 51. Sg5+ Kf8 52. Sxh7+ Kg8 53. Sg5 verliert schnell und auch 48. … Lf6 49. Te6! ist gewinnträchtig für Weiß. Doch Karjakin behauptet sich hier mit 48. … Th5+! 49.Kg4 Tc5.

Nun greift Karjakin fehl. Statt mit 61. … Td5 weiter zu verteidigen, versucht er mit 61. … Lg5? einen Konter, der nach hinten losgeht: 62. Te4 Td3+ 63. Kg4 Tg3+ 64. Kh5 Le7 65. Se5+ Kf6 66. Sg4+ Kf7 67. Te6! und Carlsen gewinnt den Läufer.

Beide schätzen, dass Weiß mit seiner Mehrfigur auf Gewinn steht, doch wie er gewonnen soll, können beide nach der Partie nicht sagen. Hier zieht Carlsen 71. Sa5 und nach 71. … Th1! 72. Tb7 Ta1 73. Tb5+ Kf4 kann der weiße König nicht auf h4 nehmen wegen 74. … Th1 matt, so dass Carlsen nach 74. Txb4+ Kg3 75. Tg4+ Kf2 76. Sc4 (76. Kxh4 Txa5 ist auch remis) 76. … h3 nicht mehr hat als eine Zugwiederholung. 71. Te1! ( 71. … Txb3? 72. Sd4+) hätte wahrscheinlich für Weiß gewonnen.

Großmeister Niclas Huschenbeth erklärt die Partie ausführlich auf diesem 27minütigen Video.


4 Lesermeinungen

  1. nobodicos sagt:

    30... Lh6
    Vielleicht ist 30… Lh6 doch nicht gut:

    30… Lh6 31. Tg3 Te8 32. Th3 Kg6 33. Sxf5 Lxf4? 34. Kxf4 und wenn 34… Te4+ dann einfach 35. Kxe4

    Ich frage mich, ob 30… Ta4 nicht besser gewesen wäre, um ein bisschen Druck auf f4 zu üben. Ich weiss nicht, ob Weiß 31. Tg5 Txd4 spielen könnte. Und wenn nicht 31. Tg5 dann 31. c3 und erst jetzt 31… Ta2.

    • sloeffler sagt:

      Sie haben Recht, da habe ich zwei Varianten durcheinander geworfen. Hier muss natürlich 31. … Tf8 geschehen. Danke für den Hinweis!

  2. Hockeyplayer sagt:

    Die erste richtige Partie
    und es war die erwartete Berliner Mauer, die aufs Brett kam. Hier war ganz offensichtlich Carlsens Vorbereitung besser. Letztendlich hat es leider nicht zum Sieg für Carlsen gereicht, aber jetzt muss er auch zeigen, dass seine Vorbereitung mit Schwarz besser ist als die von Karjakin.
    Ich hoffe immer noch, dass Najdorf oder Anti-Najdorf gespielt wird, weil ich gerade diese Eröffnung als eine ansehe in der noch sehr viel Potential steckt insbesondere bei einer sehr guten Vorbereitung.
    Oder spielt Karjakin in der vierten Partie 1. d4 Wer ist in der heutigen Partie besser vorbereitet – Karjakin oder erneut Carlsen?

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