Berührt, geführt

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Sensibelchen im Blumenbeet

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Pünktlich zum WM-Kampf ist in deutschen Kinos vorige Woche eine Dokumentation über den Schachweltmeister angelaufen. Ein aktueller Film ist „Magnus – Der Mozart des Schachs“ allerdings nicht. Er endet vor drei Jahren, als Magnus Carlsen in Chennai Weltmeister wurde. Herausgekommen ist das Porträt eines verspielten, von seiner Familie behüteten jungen Mannes. Benjamin Ree, ein Videoreporter des norwegischen Medienhauses Verdens Gang, hat Carlsen bei seinem Aufstieg verfolgt und Hunderte Stunden Videomaterial und Fotos aus dem Archiv der Familie ausgewertet.

Sehr schön erzählt er die erste Begegnung mit dem früheren Weltmeister Garri Kasparow. Carlsen war 13, aber sah aus wie zehn. Vor ihrem Spiel sehen wir ihn auf der Wasserrutsche eines Spaßbads, während Kasparow dem Publikum in Reykjavik als lebende Schachlegende vorgestellt wird. Am Brett gerät der Russe schnell ins Schwitzen, während Carlsen immer wieder von seinem Platz aufspringt und scheinbar sorglos durch den Turniersaal spaziert. Die ganz große Sensation bleibt aus. Mit knapper Not entkommt Kasparow in ein Remis. Und Familie Carlsen feiert mit Hamburgern und Fritten.

Aus dem Videoarchiv von Familie Carlsen

Aus dem Videoarchiv von Familie Carlsen

Zu den berührenden Momenten des Films zählen, wie der sechsjährige Carlsen gedankenverloren in einem Blumenbeet liegt, während alle anderen ein Geburtstagsständchen singen. Wie er als 14jähriger das Mobbing in der Schule schildert und sein Gesicht abwendet, als ihm die Tränen kommen. Wie er nach einer Niederlage, die ihn fast die Qualifikation zum WM-Herausforderer kostete, von Selbstzweifeln geplagt auf seinem Hotelbett liegt. Wie er, fast 23 Jahre alt, ein norwegisches Kinderlied mitsingt. Wie sein Vater ihn auffordert, sich zu bedanken, als er am Telefon die Glückwünsche der norwegischen Premierministerin zum Weltmeistertitel entgegennimmt.

Überhaupt kommt Vater Henrik länger zu Wort als Magnus selbst. Im Grunde, so die Botschaft, ist er immer noch ein behütetes Kind. Sympathisch aber nicht wirklich interessant. Für Carlsens Image ein Eigentor, zumal er in Wahrheit vor Selbstbewusstsein strotzt und alle Rückschläge bisher rasch weggesteckt hat.

Warum ausgerechnet er der beste Schachspieler der Welt werden konnte, erklärt der Film nicht. Dass Carlsens Zugang anders ist als der früherer Weltmeister, wird nur angedeutet. Sonst wäre klar, dass der Untertitel des Films Unfug ist. Carlsen ist nicht der Mozart des Schachs. Seine Partien sind voller Misstöne. Wo er seine Gegner hinlockt, ist keine harmonische Perfektion.

Man hätte seinen Aufstieg auch ganz anders erzählen können, nämlich als Schelmengeschichte. Wie ein ungezogener, undisziplinierter Junge die Mantren eines von Osteuropäern dominierten Spiels erschüttert. Wie er die Korrektspieler mit hässlichen Zügen und Beharrlichkeit narrt. Carlsens Humor, wie er ihn etwa als Donald Duck-Coautor zeigt, wäre einem solchen Ansatz entgegengekommen.

In Rees Film (hier der deutsche Trailer) hat der Zuschauer nicht viel zu lachen. In Norwegen kam er sehr gut an, weil er die menschliche Seite von Carlsen zeigt. Ab Freitag läuft er in einigen amerikanischen Kinos und wird dann auch für Gesprächsstoff am Rande der WM sorgen.


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