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Carlsen verzockt und läuft davon

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Ein gut gelaunter Karjakin nach seiner ersten gewonnenen WM-Partie (Foto: Max Avdeev for Agon Limited)Ein gut gelaunter Karjakin nach seiner ersten gewonnenen WM-Partie (Foto: Max Avdeev for Agon Limited)

Sergei Karjakin ist mit 4,5:3,5 in Führung gegangen. Er hat in der achten Partie (hier zum Nachspielen) die Nerven gewahrt und mit Schwarz gewonnen. Carlsen hat bei seinen Gewinnversuchen mehrmals das Risiko zu hoch getrieben. Jan Nepomnjaschtschi, ein mit beiden Finalisten befreundeter russischer Großmeister, sagt: „Etwas in der Art habe ich von ihm erwartet. Wenn er länger nicht gewinnt, versucht er es mit der Brechstange.“

Nun liegt Carlsen in einem WM-Kampf zurück. Nach dem Spiel wartete er zwei Minuten vergeblich, dass auch Karjakin, der noch hinter der Bühne Fernsehinterviews gab, zur Pressekonferenz kommt, und machte sich dann, ohne Fragen beantwortet zu haben, davon. Karjakin sagt: „Früher oder später musste jemand gewinnen, und ich bin froh, dass ich derjenige bin.“

Hier die wichtigsten Momente dieser aufregenden ersten Gewinnpartie bei dieser WM:

Dieser Aufbau im Damenbauernspiel ist nach Ludiwg Zukertort benannt, der 1886 im allerersten WM-Kampf in New York spielte. Konkrete Varianten gibt es kaum, man kann von Anfang an einfach Schach spielen.

Trotz der annähernd symmetrischen Stellung hat Carlsen ein bisschen etwas erreicht: Sein Läufer auf d3 steht besser als der auf c5, sein Springer auf c4 besser als der auf d7, und mit seinem letzten Zug 13. a3 hat er die Drohung b2-b4 aufgestellt, was Karjakin mit 13. … a5 beantwortet, wonach der schwarze Bauer auf b6 zum Angriffsziel werden kann, allerdings auch der weiße Bauern auf a3.

Carlsen hat gerade vorsichtig De2-e1 und Ld3-f1 gezogen, worauf Karjakin nun mit 18. … Sg4! aktiv wird. Es droht 19. … Dc7 und falls 20. g3? e5 und nach Wegzug des Springers 21. … Dc6. Auf 19. h3 Sge5 tauscht er einen Verteidiger von a3. Carlsen verhindert 19. … Dc7 und 19. … Sge5 gleichzeitig mit 19. Sb5, worauf laut Computer 19. … Dg5 der beste Zug wäre. Karjakin hat einige verrückte Varianten berechnet, setzt aber lieber einige Abtäusche in Gang, als sich in unüberschaubare Komplikationen zu stürzen.

Wenn Carlsen hier mit dem Turm oder Läufer auf c4 schlägt, kann er nicht schlechter stehen, aber ein Remis ist wahrscheinlich. Stattdessen schlägt er 24. bxc4!?, um Fall des Turmtauschs auf d4 mit dem e-Bauern wiederzuschlagen oder aber den schwarzen Turm zum Wegziehen zu nötigen und die d-Linie unter Kontrolle zu bringen. Der jetzt vom Bauern c4 verstellte Läufer kommt bald auf der langen Diagonale zum Einsatz.

Carlsen hat gerade mit Sa7-c6 die schwarze Dame auf e7 angegriffen, und sie ist von dort nach a3 gezogen. Nach 31. Txd7 Sxd7 32. Dxd7 Dxe3+ 33. Kf1 Dc1+ 34. Kf2 Dxc4 35. Lf3 stünde Weiß nicht schlechter. 31. g4!? ist eine wilde Option. Carlsen versucht bei knapper Zeit das Bauernopfer 31. h3?! und kommt ab hier langsam ins Hintertreffen.

Carlsen hat noch einen Bauern geopfert, um mit der Dame ins schwarze Lager eindringen zu können. Nun droht er 38. De7. Karjakin verwirft hier 37. … Da4, weil ihm die Konsequenzen von 38. Dxb6 nicht klar sind, und zieht stattdessen das schwächere 37. … Dd3. Carlsen blitzt seine Antwort und man sieht ihm dabei seine Erleichterung an:

Der Springer kann nicht auf e6 zurückschlagen, weil er die Dame decken muss. Nach 38. … fxe6 39. De7+ Kg8 40. Dxf6 a4 41. e4 ist Weiß nun wieder im Spiel. Dass Carlsen mit e3-e4 die Deckung von g6 unterbricht, habe er in Zeitnot vor 37. … Dd3 nicht mehr gesehen, sagt Karjakin hinterher.

Viele hätten hier an Carlsens Stelle mit 44. Dg6+ ein Remis angestrebt. Falls Schwarz nicht die Dame dazwischenstellt, sondern 44. …  Kh8 spielt, ist die Zugwiederholung 45. e5 a3 46. Db1 Db8 47. Dg6 Df8 48. Db1 möglich. Carlsen ist aber immer noch nicht zufrieden mit einem halben Punkt und zieht die Dame nach c6.

Carlsen spielt hier 49. Da5?, und nach seiner Antwort 49. … Dc5 fühlt Karjakin, dass die Stellung für ihn gewonnen ist. Das pragmatische 49. e5!, um den Läufer in das Aufhalten des a-Bauerns einzuschalten hätte wohl noch immer Remis gehalten.

Noch ein wichtiger Moment: Wie kann Schwarz seinen a-Bauern in Gang bringen? Auf 49. … Da5 folgt 50. De7+ Sf7 51. e5. Sofort 49. … Sf7 50. e5! Dxe5 51. Dg4+ Dg5 52. Dd4+ bringt ihn auch nicht weiter. Dieses Schachgebot auf und ein mögliches Gegenspiel mit g3-g4, h3-h4 und g4-g5 entkräftet Karjakin mit seinem starken Zug 51. … h5!

Statt einem zäheren Zug wie 52. Da6 hat Carlsen 52. h4? erwidert, worauf ihm Karjakins 52. … a2! den Gnadenstoß gibt. Nach 53. Dxa2 Sg4+ 54. Kh3 Dg1 55. Db2+ Kg6 hat er kein Schachgebot mehr und müsste mit 56. Lf3 Sf2+ 57. Dxf2 Dxf2 die Dame für den Springer geben. Da kann er ebenso gut gleich aufgeben.


3 Lesermeinungen

  1. easyrider01 sagt:

    Der Fluch der guten Tat
    Hat doch die Schachwelt auf spannendere Partien gehofft, was Carlsen fast mit der Brechstange durchgesetzt hat. Dabei hat ihn jedoch das Gefühl für die Gefahr im entscheidenden Moment verlassen, als er a3-a2 übersah. Wenigstens werden die kommenden Partien unter ganz anderen Vorzeichen gespielt und Spannung ist nun garantiert!

  2. garnichtsoeinfach sagt:

    Eingetreten was ich vor eienr Woche vermutet habe
    Am Freitag schrieb ich einem Kommentar zu folgendem Artikel:

    https://www.faz.net/aktuell/sport/schach-wm/schach-wm-2016-in-new-york-interview-mit-jan-christian-schroeder-14531724.html

    Karjakin hat m.E. nur eine Chance wenn er Carlsen dazu bringt eine Partie irgendwann mal zu überziehen. Eine Art Schach-Catenaccio bei dem er auf das Eigentor von Carslen wartet/hofft.
    —-

    Und da ist das Eigentor……

  3. VGerber sagt:

    WCC 2016: Carlsen vs Carlsen
    Schade, dass Magnus Carlsen in diesen Tagen eklatante mentale Schwächen zeigt. Das haben wir in dieser Form zum letzten Mal beim Kandidatenturnier 2013 in London gesehen, als er sich am Ende als Nervenbündel knapp gegen Vlad Kramnik durchsetzen konnte.

    Sergey Karjakin hat in keiner Partie durch eigene Initiative einen Vorteil erlangt. Er spielt mit dem Charme eines russischen Schach-Computers und profitiert nur von den Schwächen des Titelträgers. Ihm fehlen Intuition, Kreativität und Charisma. Nicht nur, aber auch wegen der dümmlichen Putin-Shirts: So sieht kein würdiger Weltmeister aus. Legenden wie Bobby Fischer, Garry Kasparov und Vishy Anand haben die Messlatte in persönlicher Hinsicht sehr hoch gelegt.

    Es bleibt zu hoffen, dass Magnus Carlsen das bessere Ende für sich hat. Der junge Norweger hat mit seinen fast 26 Jahren Herausragendes für die Popularität des Spiels geleistet, er ist der mit Abstand beste Spieler unserer Zeit, ein geradezu idealer Botschafter des

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