Was für eine Enttäuschung. Schachfans rund um den Globus hatten sich auf ein wirklich spannendes WM-Finale eingestellt. Nach elf Runden hatten Schachweltmeister Magnus Carlsen wie auch sein Herausforderer Sergej Karjakin jeweils fünfeinhalb Punkte in ihrem Zweikampf erzielt. Beide hatten vor der letzten Begegnung einen Tag Zeit zum Regenerieren, Varianten analysieren, Eröffnungen vorbereiten.
Die Erwartung, gerade der favorisierte Titelverteidiger würde mit den weißen Steinen eine harte und lange Auseinandersetzung suchen, war groß und eindeutig. Peter Swidler, ein aus Russland stammender Schachgroßmeister, der selbst zur erweiterten Weltspitze gehört, teilte über Twitter mit, wie aufgeregt er schon sei, diese Begegnung live kommentieren zu dürfen.
Und dann das: Nach gerade einmal 30 Zügen und einer guten Stunde war die zwölfte und letzte reguläre Runde der Schachweltmeisterschaft in New York auch schon vorbei. Beide Spieler hatten sich auf ein Unentschieden geeinigt, die entstandene Stellung war tatsächlich danach. Jeder hatte noch seinen König, einen Läufer und gleich viele Bauern – auf diesem Niveau kann das kein Spieler in dieser Situation ernsthaft auf Gewinn spielen.
Das Enttäuschende war denn auch nicht die Entscheidung in der Schlussstellung. Auch dem für Russland spielenden Herausforderer Sergej Karjakin ist nichts vorzuwerfen. Er führte die schwarzen Spielsteine und ist nach internationaler Elo-Wertungszahl der schwächere Spieler – dass er seine Strategie eher auf ein Unentschieden anlegte und nicht auf riskanteste Abspiele, war nur logisch und vollkommen zu erwarten.
Was ist mit Carlsen los?
Enttäuscht hat vielmehr der aus Norwegen stammende Champion Magnus Carlsen. Mit zwei souverän gewonnenen WM-Zweikämpfen und vielen anderen Turniersiegen im Rücken, den weißen Figuren und der höheren Spielstärke wäre zu erwarten gewesen, dass er nun weltmeisterlich aufspielt und wirklich danach greift, den Titel zu behalten. Tatsächlich versuchte er es nicht einmal, zumindest nicht ausweislich seiner Varianten-Wahl. Er eröffnete abermals mit dem Königsbauern und akzeptierte eine Variante der sogenannten Berliner Verteidigung, einer Eröffnung, mit der Schwarz in den vergangenen Jahren ordentliche Ergebnisse vorzuweisen hat. Und mit der bekanntlich auch schon der frühere Champion Wladimir Kramnik dem Ansturm des Langzeitweltmeisters Garry Kasparow standgehalten hatte und diesen schließlich entthronte.
Wenn ein Spitzenspieler wie Carlsen diese Zugfolge in einer so entscheidenden Partie wählt, dann – so dachten zumindest die geneigten Zuschauer -, weil er zuvor wohl einen neuen Kniff herausgefunden hatte, eine neue wirklich erfolgversprechende Idee. Nach ganz wenigen Zügen zeigte sich jedoch, dass das nicht der Fall war. Er wählte bekannte Pfade, die natürlich auch Karjakin kennt; dieser konnte sehr schnell viele Figuren abtauschen, die Stellung vereinfachen, in ein Endspiel überleiten und ohne große Anstrengung ein Unentschieden erreichen. Es gab keine brenzlige Situation, keine komplizierte Kombination. Was ist bloß mit Carlsen los?, lautet eine nun dieses WM-Duell irgendwie begleitende Dauerfrage.
Und nun? Nun folgt die Verlängerung. Am Mittwoch treffen beide Spieler wieder aufeinander für vier Partien mit kürzerer Bedenkzeit. Jeder hat 25 Minuten Zeit. Gibt es auch danach noch keinen Sieger, wird die Zeit abermals verkürzt. Am Ende stünde dann eine sogenannte Armageddon-Partie, in welcher der Weiß-Spieler fünf und der Schwarz-Spieler vier Minuten Bedenkzeit bekommt. Dafür muss Weiß gewinnen, sonst ginge der Weltmeistertitel an den Schwarz-Spieler. Am Mittwochabend irgendwann, soviel ist zumindest sicher, werden wir wissen, wer Weltmeister bleibt oder wird.