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Carlsen bleibt Weltmeister

| 3 Lesermeinungen

Carlsens Kalkül ist aufgegangen. Der beste Spieler der Welt zeigte sich im Stechen in Weltmeisterform. Er hat das Stechen dominiert und mit 3:1 gewonnen. Als er auf die Bühne kommt, applaudieren die Zuschauer nicht nur, sondern bringen dem Norweger, der an diesem 30. November 26 Jahre alt wird, ein Geburtstagsständchen, bevor er Fragen beantwortet.

Vier Schnellpartien mit je 25 Minuten plus zehn Sekunden pro Zug waren angesetzt. Die erste Partie wird remis, ohne dass das Gleichgewicht ernsthaft gestört worden wäre. In der zweiten Partie wird Karjakin von Carlsen langsam überspielt, konnte aber eine zwischenzeitlich verlorene Stellung sehenswert in ein Patt retten. In der dritten gewinnt Carlsen sehenswert durch ein feiner Bauernopfer. Und in der vierten Partie krönt der alte und neue Weltmeister das Match mit einem prächtigen Damenopfer 50. Dh6+! zum Abschluss:

1.Stichpartie Karjakin – Carlsen remis

Gleich in der ersten Stichpartie (hier nachspielen) ist es einmal mehr Carlsen, der als erster eine Überraschung anbringt und schnell einen Vorteil auf der Uhr erzielt. Gerade hat er den Springer von c6 nach b8 zurückgezogen, um mit c7-c5 seine Kontrolle im Zentrum zu verbessern und dann mit Springer nach c6 zurückzukehren. In der zweiten Partie zog er hier 9. … Sa5, in der elften Partie 9. … Le6.

Fünfzehn Züge sind gespielt, und es ist noch nichts abgetauscht, doch das wird nicht länger so bleiben nach Lc8-e6, dem ersten Zug, für den sich Carlsen in dieser Partie Zeit nimmt. Wenn Weiß auf e6 tauscht, taucht ein Bauer auf e6 auf, der dem Springer g3 das angestrebte Feld f5 nimmt. Da Schwarz 16. … bxc3 17. Lxe6 cxb2 droht, kann Karjakin den Läufer aber nicht einfach stehen lassen. Sein Zug 16. Lc4 ist eine exzellente Reaktion. Würde Schwarz dann auf c4 und auf c3 tauschen, bekäme Weiß zwar Doppelbauern auf c3 und c4, doch früher oder später würde er Sg3-f1-e3-d5 folgen lassen, und sein schwarzfeldriger Läufer wäre auf Dauer aktiver als der schwarze Gegenpart.

Karjakin hat die gesündere Bauernstellung und den aktiveren Läufer, doch auf den offenen Linien zeichnet sich der Abtausch von Schwerfiguren und nach Carlsen Tb8-b4 zudem der Abtausch der a-Bauern ab. Mit Bauern nur am Königsflügel werden die weißen Gewinnchancen ziemlich beschränkt sein.

Carlsen hat gerade mit Ld8-b6 die Drohung Dc5-g1 matt aufgestellt. Karjakin verteidigt mit 36. Dd1, worauf Carlsen mit 36. … Dd5 Damentausch anbietet. Karjakin tauscht, und die erste Stichpartie endet remis.

2.Stichpartie Carlsen – Karjakin remis

In der zweiten Partie (hier nachspielen) schlägt Carlsen auf. Wie in der fünften Partie kommt Italienisch aufs Brett.

Weiß droht, mit 18. Lb2 Sd7 19. Sg5 das Läuferpaar zu erobern. 17. … h6 wäre die kleinliche Antwort. Karjakin antwortet energischer 17. … b5 mit der Pointe, dass 18. Sa5 nur auf den ersten Blick stark ist. Nach 18. … Tfc8 19. axb5 cxb5 20. Dxc7 Txc7 21. Lxb5 Tb8 erhält Schwarz den Bauern sofort zurück bei völligem Ausgleich. Carlsen reagiert auf 17. … b5 mit 18. Se3, was mehr Leben in der Stellung hält.

Carlsen hat einen Bauern geopfert. Verständlich, dass Karjakin hier keinen weißen Freibauern auf c6 oder b6 zulassen will und nun mit 23. … cxb5 24. Dxe4! Dxc1! 25. Dxd5 Dc7 26. Dxb5 abwickelt, wonach diese Stellung entsteht:

Materiell steht es mit zwei Leichtfiguren gegen Turm und Bauer ungefähr gleich, praktische Gewinnchancen hat freilich nur Weiß, der mit seinen Figuren angreifen kann. Eine Stellung ganz nach Carlsens Geschmack, zumal er hier auch einigen Zeitvorteil hat.

Carlsen hat sich schnell in eine gute Stellung manövriert, die er mit einem Bauernsturm weiter verstärken kann. Schwarz hat kaum gute Züge und ist auch auf der Uhr hinten. Karjakin entschließt sich hier, ohne dass es schon nötig wäre, einen Bauern zu geben. Nach 36. … Se7? 37. Dxe5 (37. Sxe5? g6) 37. … Dxe5 38. Sxe5 Sg6 39. Lxg6 Txe5 40.Ld3 entsteht dieses Endspiel:

Klare Sache, dass nur Weiß gewinnen kann. Hat Karjakin dieses Endspiel als remis abgeschätzt? Oder sagt er sich, dass er dieses Endspiel bei weniger Bedenkzeit eher hält als in der Stellung des vorigen Diagramms einen Angriff gegen seinen König?

Carlsen hat seinen f-Bauern geopfert, um mit dem König nach g6 zu kommen. Wenn er jetzt noch zu Lf8xg7 käme, wäre Karjakin k.o. Der richtige Weg ist 62. Kf7!, doch Carlsen spielt lascher 62. Lg4.

An dieser Stelle kann Carlsen 73. Le6+ Kf8 74. Lf8 spielen, und laut Computer setzt Weiß dann in 21 Zügen matt. Stattdessen spielt Carlsen 73. Ld6. Danach steht Karjakins Verteidigung wieder.

78. … h5! ist eine exzellente Entscheidung von Karjakin. Nach 79. gxh5 verbleibt Carlsen nur noch mit Randbauern und kann ein Endspiel mit dem weißfeldrigen Läufer nicht gewinnen. Karjakin opfert mit 79. … f5 80. Lxf5 den Bauern und mit 80. … Txe7 81. Kxe7 die Qualität, weil er gesehen hat, dass danach ein theoretisches Remis auf dem Brett ist:

Schwarz kann immer mit dem König zwischen h8 und g8 pendeln. Wenn Weiß aber (mit Kf7 oder Kf8) verhindert, dass der schwarze König ziehen kann, folgt g7-g5 und nach Schlagen des Bauern ist Schwarz patt. So kommt es drei Züge später: Remis.

3. Stichpartie Karjakin – Carlsen 0:1

In der dritten Stichpartie (hier nachspielen) ist es endlich einmal Karjakin, der als erster abweicht. In der zweiten regulären Partie hat er d3-d4 gespielt, hier versucht er es mit 11. b4 und auf 11. … Sc6 12. Sd5.

13. Sg5 und falls der Läufer wegzieht 14. Sxe7+ Dxe7 15. f4 ist Karjakins Idee. Doch Carlsen ist offenbar vorbereitet. Er zieht fast ohne zu zögern 13. … Lxd5 14. exd5 Sd7 und lässt auch nach 15. Se4 f5 16. Sd2 f4 17. c3 Sf5 im Eiltempo folgen.

So eine dynamische Stellung gab es im ganzen Match noch nicht. Weiß hat das Läuferpaar und die Mehrheit am Damenflügel Druck, doch am Königsflügel hat nur Schwarz Chancen, und da steht der König. Leichter zu spielen ist die Stellung daher wohl eher für Schwarz.

Nach Carlsens 19. … Dg6 tauchen Ideen wie 20. … f3 21. Dxf3? Sh4 auf. Karjakin verhindert das mit 20. f3. Später kann Schwarz die Schwächung von e3 nutzen und dort seinen mächtigen Springer platzieren.

Mit 22. … a5! wird Carlsen mal eben am Damenflügel aktiv. Nach 23. axb5 axb4 24. Ld2 bxc3 25. Lxc3 Se3 erreicht sein Springer sein Traumfeld e3.

Hier fürchtet Karjakin offenbar um seinen Bauern d5 und tauscht mit dem wahrscheinlich fragwürdigen 29. Sxf6? seinen starken Blockadespringer ab. Einige Computer würden gerne 29. … gxf6 antworten, um anschließend auf der g-Linie anzugreifen. Carlsen ist dagegen mit 29. … Lxf6 zufrieden, denn er hat bereits das Bauernopfer e5-e4 geplant.

Der geplante Durchbruch 30. … e4! Nach dem Abtausch der schwarzfeldrigen Läufer kommt erst die Dame über e5 ins Spiel und dann der Turm über die a-Linie.

Computer, die die Stellung noch im Gleichgewicht sehen, liegen falsch. Schwarz steht in höherem Sinn auf Gewinn. Der weiße Läufer ist von den eigenen Bauern eingesperrt, alle schwarzen Felder im weißen Lager sind schwach und Schwarz kann in Ruhe seinen Schlussangriff vorbereiten. Als erstes macht Carlsen aber mit 34. … h6 ein Luftloch für seinen König, um ein Grundreihenmatt auszuschließen.

Der einzige Zug, der das sofortige Aus verhindert ist 38.Tb1, und dann ist zumindest kein sofort entscheidender Angriff zu sehen. Karjakin zieht stattdessen 38. Txc7? und gibt sich nach 38. … Ta1 geschlagen. Es riecht nach Vorentscheidung. Im Zuschauerraum wird lange applaudiert. Karjakin liegt 1:2 zurück und müsste mit Schwarz gewinnen, um eine Verlängerung zu erzwingen.

4. Stichpartie Carlsen – Karjakin 1:0

In der vierten Partie (hier nachspielen) muss Karjakin unbedingt gewinnen und versucht es mit Sizilianisch. Carlsen lässt sich aber nicht auf etwa eine scharfe Najdorf-Variante ein, sondern spielt hier mit 5. f3 supersolide. Die Pointe ist, dass Schwarz nach 5. … e5 6. Sb3 d5? 7. Lg5 Probleme kriegt.

Schwarz fehlen Hebel, und Weiß kann seinen Raumvorteil, angefangen mit 15. b4 axb3 e.p. (en passent) 16. axb3 Dd8 17. Sd3 befolgt von 18. Sb4 langsam ausbauen.

Karjakin hat gerade den Springer von f6 nach d7 gezogen, um sowohl c4-c5 zu verhindern, als auch damit der Bauer h4 vom Läufer gedeckt ist. Carlsen spielt hier unbeeindruckt 23. g3, um seinen weißfeldrigen Sorgenläufer über h3 ins Spiel zu bringen.

Nach 34. Sb5 versucht Karjakin das Qualitätsopfer 34. … Txb3 35. Sd4 Dxc4 36. Sxb3 Dxb3. Probleme kann er damit nicht mehr stellen. Im Gegenteil setzt sich der weiße Materialvorteil langsam aber sicher durch. Nach 49. … Kh7 steht es schließlich so:

Schwarz droht auf verschiedene Weise matt. Doch Weiß ist am Zug. Carlsen krönt das Match mit dem prächtigen 60. Dh6+! Wie Schwarz auch nimmt, setzt einer der weißen Türme matt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


3 Lesermeinungen

  1. APorch sagt:

    mon Dieu
    „An dieser Stelle kann Carlsen 73. Le6+ Kf8 74. Lf8 spielen, und laut Computer setzt Weiß dann in 21 Zügen matt. Stattdessen spielt Carlsen 73. Ld6.“ Wie konnte Carlsen das Matt in 21 Zügen in einer Schnellschachpartie nur übersehen? 😉

  2. Welsl sagt:

    Titel eingeben
    Vielen Dank für die Ausführliche Berichterstattung!

  3. ThomasTexel sagt:

    Matt musste Carlsen nicht sehen
    (in der zweiten Schnellpartie), klare Gewinnstellung – da hätte wohl auch der zähe und trickreiche Karjakin, spätestens nach einigen weiteren Zügen, aufgegeben – reicht völlig. In der vierten Schnellpartie hat Carlsen zum Schluss ein forciertes Matt gesehen, konnte sie allerdings auch anders/langsamer gewinnen. Das war übrigens nicht der einzige Weissieg im Match – wenn Carlsen die zehnte Partie mit klassischer Bedenkzeit nicht gewonnen hätte, hätte es keine Schnellschach-Verlängerung gegeben, stattdessen wäre Karjakin Weltmeister.

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