Berührt, geführt

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Der peinlichste Moment

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Magnus Carlsen hatte seinem Gegner Anish Giri gerade erlaubt, einen Bauern in eine Dame umzuwandeln, um nun, da waren sich die Kommentatoren sicher, seine siebte Partie beim Tata Steel Masters im holländischen Badeort Wijk aan Zee mit Schach, Schach und Matt abzuschließen. Oder vielmehr, dass Giri nach dem folgenden, ja völlig auf der Hand liegenden Zug aufgeben würde. Doch welch ein Schock:

Statt 56. Tc8+ (und nach Wegzug des Königs 57. Tf7+ Kh6 58. Th8 matt) zog der Weltmeister 56. Lf7+. Nach 56. … Kh8 57. Th5+ Kg7 58. Lxe6+ Kf6 59. Th6+ Ke5 60. Lh3 Dd2+ 61. Lg2 Dxh6 62. Txc6 drückte Carlsen zwar noch fünfzig Züge lang, aber die Stellung war und blieb remis. Nach der Partie stellte sich heraus, dass auch Giri den banalen „Dreizüger“ nicht gesehen hatte. Doch die Demut der Ahnungslosigkeit wich schnell. „Das ist der peinlichste Moment in Carlsens Karriere. Für mich interessiert sich niemand, aber er ist schließlich eine Legende, und er tut mir jetzt richtig leid“, stichelte Giri und wies darauf hin, dass Carlsen ihn zwar oft überspiele, aber dann fast nie auch schlussendlich besiegt habe. Carlsen wäre wohl lieber bis nach dem Turnier ahnungslos geblieben, was er da ausgelassen hat. Aber das ist im Computerzeitalter natürlich völlig undenkbar.

Seine folgende Partie gegen Richard Rapport spielte er mit der Brechstange auf Gewinn und wurde von dem 20 Jahre alten Ungarn rasch bestraft. Statt mit einem Sieg gegen Giri und einem Remis gegen Rapport mit an der Spitze zu stehen, liegt der Weltmeister nun bei fünf noch ausstehenden Runden einen Punkt hinter dem führenden Wesley So. Auch Giri hat seine folgende Partie verloren.

Kurioserweise begab sich in der gleichen Runde wie Carlsen – Giri ein weiteres Beispiel beidseitiger Schachblindheit auf höchstem Niveau. Carlsens WM-Herausforderer Sergei Karjakin entging, dass sein Gegner Lewon Aronjan mit seinem letzten Zug 10. … f6, was zwar den Bauern e5 deckt aber dem Läufer auf e6 seine Deckung nimmt, eine Figur einstellte:

Karjakin zog 11. d4 und erreichte damit einen kleinen Vorteil. Stattdessen konnte Weiß 11. c4 und auf 11. … Sdb4 12. c5 ziehen, was einen der beiden hängenden schwarzen Läufer erobert. Worüber nur hatte Aronjan vor 10. … f6 fast eine Viertelstunde und Karjakin vor 11. c4 immerhin neun Minuten lang nachgedacht? Sehr wahrscheinlich entdeckte zumindest Aronjan, während sein Gegner brütete, seinen Lapsus. So etwas steckt nicht jeder cool weg. Jedenfalls ließ sich der Armenier anschließend eine haltbare Stellung von dem noch ahnungslosen Karjakin abnehmen. Wenigstens bekam Aronjan seine Strafe sofort und gewann am Sonntag, übrigens gegen Giri, die bisher beste Partie (hier zum Nachspielen) des noch bis zum nächsten Sonntag dauernden Turniers, das von Chess24 außer an diesem Montag und Donnerstag jeweils ab 13.30 Uhr live übertragen wird.

 


2 Lesermeinungen

  1. easyrider01 sagt:

    Schön zu sehen, das die Super-Großmeister auch nur Menschen sind.
    Das Schachspiel lebt von Fehlern und falschen Einschätzungen, doch krasse Überseher wie in dieser Runde sind natürlich ein gefundenes Fressen für Amateure wie mich, deren eigene Unzulänglichkeiten dann nicht mehr ganz so schlimm aussehen…

  2. DeVeritate sagt:

    Kostenlose Live Übertragung
    Die kommentierte Übertragung auf chess24 erfordert eine kostenpflichtige Premiummitgliedschaft, während der Turnierveranstalter eine eigene kostenfreie kommentierte Übertragung bereitstellt, in welcher die Spieler selbst zu Wort kommen und ihre Partien kommentieren.

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