Während der Schlussrunde des bestbesetzten und wohl auch bestorganisierten Schach-Opens der Welt, des Tradewise Gibraltar Masters, das gestern zu Ende ging, rückten die Weltklassespieler und der Kampf um den mit 23000 Britischen Pfund (27000 Euro) dotierten ersten Platz zwischenzeitlich in den Hintergrund. Die Weltmeisterin Hou Yifan, derzeit die Nummer 112 der Weltrangliste, kam 25 Minuten zu spät, eröffnete nach kurzem Nachdenken wie ein blutiger Anfänger mit den Zügen 1. g2-g4 und 2. f2-f3 und gab nach fünf Zügen auf. Dabei hätte ihr ein durchaus möglicher Sieg gegen den indischen Großmeister Lalith Babu mindestens 8000 Pfund, ein Remis immerhin noch 2200 Pfund mehr Preisgeld eingebracht. Hou fühlte sich nicht in der Lage, eine Partie zu spielen. Sie sagte, sie sei verärgert und unglücklich darüber gewesen, dass sie in den vorangehenden neun Runden gegen sieben andere Frauen gelost wurde, und sie hoffe, dass die Paarungen in Zukunft fairer durchgeführt werden. Sie sprach das Wort nicht aus, aber damit stand der Vorwurf der Manipulation im Raum.
Dazu muss man wissen, dass Hou abgesehen von der Schacholympiade, einem Teamturnier, keine Frauenturniere mehr bestreiten will, solange der Weltschachbund nicht den Modus der Frauen-WM ändert. Um ihr Spiel zu verbessern, müsse sie sich ohnehin mit Männern messen. So bereitete es ihr wenig Freude, nun abermals hauptsächlich gegen Frauen antreten zu müssen. Da in Gibraltar für die bestplatzierten Frauen ausgesprochen großzügige Preise ausgelobt sind, zieht es dort Jahr für Jahr etwa die Hälfte der besten Spielerinnen der Welt an die Bretter. Der Frauenanteil liegt höher als bei anderen Opens, auf je fünf männliche Teilnehmer kam beim Masters eine Teilnehmerin.
Die Wahrscheinlichkeit, in zehn Runden gegen sieben Frauen gelost zu werden, kann man als ähnlich hoch annehmen, wie bei zehn Würfen siebenmal eine Sechs zu würfeln. Das gelingt in etwa einem von 4000 Versuchen. Selten genug, um plausibel zu machen, dass Hou nicht an einen Zufall glaubte. Der Festivalchef Brian Callaghan hat den Manipulationsvorwurf, ebenfalls ohne wirklich klare Worte zu wählen, zurückgewiesen. Die Auslosung werde von einer Maschine erledigt. Gemeint ist eine Software, die nach nachvollziehbaren Regeln stets Spieler möglichst gleicher Punktzahl gegeneinander lost.
Sind also vielmehr die Nerven mit Hou durchgegangen, weil sie ein seltenes Ereignis nicht für einen Zufall halten wollte? In der Nacht vor der letzten Runde hatte sie zudem andere Sorgen, als sich auf Lalith Babu vorzubereiten. Neuerdings wird sie von einer Plattform gesponsert, die Onlinekurse für Börsenwissen anbietet und in Gibraltar gelauncht wurde, wo die Firma auch nach ihrem Umzug nach Kopenhagen ein Büro und ihren Hauptinvestor hat, Enrique Guzman, einen aus Bolivien stammenden früheren Schachspieler, der auch Chess24 finanziert. Aus Marketinggründen verwaltet Hou öffentlich ein Budget. Ihre ersten Investitionen, tätigte sie laut einer Pressemitteilung ihres Sponsors ausgerechnet in der Nacht auf Donnerstag.
Hand aufs Herz, wer wird nicht nervös, wenn er oder sie das erste Mal im Leben in volatile Werte investiert? Auf dem Spiel steht kein virtueller sondern ein niedriger fünfstelliger Betrag, erklärt Tradimo-Chef Sebastian Kuhnert. Wenn es nach der Firma ginge, hätte Hou ihr Portfolio schon vor einigen Wochen eröffnet, so Kuhnert, gedrängt habe man sie aber nicht. Er erwähnt noch, dass sie an diesem Freitag ein Treffen mit einem Tradimo-Mitarbeiter in Gibraltar habe.
Schade nicht nur um Hous Image sondern auch um das Turnier mit seinem feinen Rahmenprogramm, zu dem etwa auch die vergnügliche, in einem improvisierten Boxring ausgetragene Beratungspartie „Battle of the Sexes“ (Fotolink) gehört. Hou steuerte zum Tradewise Gibraltar Masters nicht nur die skandalöseste Partie bei sondern auch in Runde sieben die vielleicht schönste und jedenfalls spektakulärste Partie (hier nachspielen), bevor sie in Runde acht auf ihre Landsfrau Ju Wenjun traf:

Dieses Prestigeduell hat Hou laut Beobachtern in Gibraltar sichtlich Nerven gekostet. Nach hochklassigem Kampf (hier nachspielen) erlaubte sie mit ihrem 32. Zug der Dame von d6 nach d5 (richtig war 32. f6! mit der Drohung 33. Th8+ Kxh8 34. Df8+ Kh7 35. Dxg7 matt bzw. 33. … Kg6 34. fxg7+ Kxg7 35. Dh6 matt) einen gewinnbringenden Konter. Sehen Sie, wie Ju in der folgenden Stellung mit Schwarz am Zug das Ruder herumriss?
Hou Yifan – Ju Wenjun nach 32. Dd5
Ju Wenjun liegt in der Weltrangliste nun keine vierzig Elopunkte mehr hinter Hou und darf wohl als erste Anwärterin auf die WM-Nachfolge gelten. Wenn nicht schon bei der am Freitag in Teheran beginnenden K.o.-WM, dann im nächsten WM-Zweikampf 2018, für den Ju sich als Grandprix-Siegerin bereits qualifiziert hat (ihre Gegnerin ist die Gewinnerin der K.o.-WM bzw. die hinter ihr Zweitplatzierte). Die 26 Jahre alte Chinesin gewann in Gibraltar den mit 15000 Pfund (17500 Euro) dotierten Frauenpreis. Mit einem Sieg in der letzten Runde hätte Ju sogar den Stichkampf um Platz eins erreicht (hier die Tabelle). Diesen erreichte ihr Bezwinger und Landsmann Yu Yangyi, scheiterte dann aber nach einer langen Remisserie im Blitzen an Hikaru Nakamura. Danach setzte sich der nervenstarke Amerikaner auch noch gegen den aufstrebenden Spanier David Antón durch, der dank der besten Performanceleistung der regulären Runden im Dreierstechen auf den Sieger zwischen den anderen beiden hatte warten dürfen. Die Top-Ten-Spieler Maxime Vachier-Lagrave und Fabiano Caruana wurden Vierter bzw. Dreizehnter.
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Sehr gelungener Artikel, mit viel fundiertem Hintergrundwissen.
Ich habe unter meinem buddhistischen Mönchsnamen einige Jahre die Website „yifanhou.net“ betrieben, die ausschließlich der Würdigung dieser außergewöhnlichen jungen Frau gewidmet war.
Mich hat die Geschäftsverbindung mit einer Gesellschaft aus dem Bankensektor maßlos enttäuscht, da diese Geschichte ihrem Charakter und ihren natürlichen Anlagen vollkommen zuwiderläuft. Ich habe die Seite im vergangenen Jahr schließlich trotz des enormen Zeitaufwands, der damit über die Jahre verbunden war, schweren Herzens gestoppt, um nicht am Ende Aktivitäten des Bankensektors zu fördern. Die persönliche Entwicklung der jungen Chinesin seit dieser Zeit stimmt mich auch heute noch maßlos traurig. Aus dem stillen, fast etwas spirituellen jungen Mädchen mit außergewöhnlichen intuitiven Gaben ist eine Geschäftsfrau geworden. Mit der Entscheidung, ihr Studium fortzusetzen, wird sich das Problem in Bezug auf den Schachsp