Berührt, geführt

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Anands geheime Computerwaffe

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Schnellere, leistungsfähigere Computerprogramme krempeln nahezu alle Lebensbereiche um. Viele Arbeitsplätze und Berufsbilder verändern sich, die Kindererziehung ebenfalls, das Aufwachsen sowieso. Und auch das Schach. Ausprägungen davon gibt es zahlreiche. Wer moderne Partien nachspielt auf Weltspitzenniveau, findet seltener klare „Themen“, wie sie noch in klassischen Lehrbüchern (à la Nimzowitsch beispielsweise) vorkommen; eine Partie dominierende Prinzipien wie das Spiel mit oder gegen einen Isolani, offene Linien oder unterschiedlich wertvolle Leichtfiguren sind selten anzutreffen, wenn überhaupt. Ein wichtiger Grund dafür sind die Computer, ist sozusagen „Big Data“ im Schach – und die Devise: Was geht, das geht. An die Stelle eine persönlichen Einschätzung tritt das klare Rechenergebnis.

Der frühere Weltmeister Viswanathan Anand hat das gerade eindrucksvoll erzählt. Während eines Gesprächs in der indischen Denkfabrik Chennai International Centre (CIC) hat er unter dem Titel „Chess: Evolution from Mind to Machine“ teils ganz persönliche Einblicke in seine Karriere und das Thema gegeben, wie die indische Zeitung „Firstpost“ berichtet.

Darüber, wie Computer und Datenbanken das Schachspiel verändert haben, sagt er etwa: „Früher, sogar wenn du kurz vor dem Spiel dieselbe Stellung vorbereitet hast wie dein Gegner, gab es keine Sicherheit darüber, dass beide Vorbereitungen dieselben sein würden mit denselben Ergebnissen – das hing davon ab, wie akkurat die Vorbereitung war.“ Und er fügt hinzu: „Heute hingegen brauchst du deinem Computer bloß genügend Zeit zu geben, um die Stellung komplett aus zu analysieren und das liefert dir dieselben Schlussfolgerungen, die auch dein Gegner bekommen würde.“

Nach Anands Ansicht folgt daraus, dass die Unsicherheit deutlich gesunken ist, im Vorfeld einer Partie eine Stellung auch wirklich richtig einzuschätzen. Zugleich sei allerdings auch der Anreiz deutlich zurückgegangen, seinen Gegner unbedingt überraschen zu wollen. Das sei der größte Einfluss, den der technische Fortschritt im Bereich der Computer auf das Schach bislang gehabt habe, findet der indische Spitzenspieler und Volksheld.

Glaube an die Geheimwaffe

Der frühere Weltmeister schätzt zudem, dass seine Fähigkeiten, mit Computern umzugehen, ihm einen Vorteil gegenüber seinen wichtigsten Konkurrenten erbracht hätten. Besonders während seines Weltmeisterschafts-Duells gegen Wladimir Kramnik im Jahr 2008 in Bonn sei das wichtig gewesen.

Vor dem Zweikampf habe er eine Software entdeckt, mithilfe derer er über das Internet leistungsfähige, nicht transportierbare Computer habe nutzen können für Schachanalysen, die besonders seiner Eröffnungsvorbereitung einen regelrechten Schub verliehen habe. Bemerkenswert in diesem Wettstreit war tatsächlich, wie Anand in der dritten und fünften Runde jeweils mit den schwarzen Figuren gegen den eigentlich sehr solide spielenden Kramnik auftrumpfte und spektakuläre Siege erspielte. Vor allem fiel auf, dass Kramnik in derselben Variante zweimal hintereinander den Kürzeren zog, weil er offenbar nicht genau genug analysiert hatte.

Anand sagte nun, er sei zwar nicht hundertprozentig sicher, ob dies an einem technologischen  Vorsprung seines Teams gelegen hat. Allerdings habe die Technologie seinen Mitarbeitern zumindest den starken Glauben daran verliehen, über eine Art „Geheimwaffe“ und damit einen Vorteil zu verfügen, der öffentlich noch nicht zugänglich gewesen war.


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