Berührt, geführt

Berührt, geführt

Das Schachblog von FAZ.NET

Schach unterm Hidschab

| 0 Lesermeinungen

Seit einer Woche stehen die Schachwebsites voller Bilder wie diesem. Die Frauen-Schach-WM findet in Teheran statt. „Erste Hidschab-Schachweltmeisterschaft“ höhnte der englische Großmeister Nigel Short. Wer teilnehmen will, darf nur Gesicht und Hände zeigen. Der größte Teil der Haare muss bedeckt sein. Die Teilnehmerinnen gehen, wie man sieht, durchaus kreativ damit um. Doch welch eine Aufregung gab es im Vorfeld. Nazi Paikidze-Barnes, eine Amerikanerin georgischer Herkunft, führte eine Kampagne gegen die Entscheidung und rief zu ihrem Boykott auf. Ihr Name stand in zahlreichen internationalen Medien. Was man zur Einordnung noch alles wissen musste, fehlte oder ging unter.

So hat es die Georgierin Sopiko Guramischwili gelöst.

Paikidze-Barnes ist unter den aktiven Turnierspielerinnen die Nummer 98 und absolut etwa die Nummer 3000 der Welt. Ihre Chancen, die WM zu gewinnen, war also ziemlich gering. Sie genießt das Privileg, dass die Frauenmeisterschaft der Vereinigten Staaten, bei der sie 20.000 Dollar gewann, von einem Mäzen großzügig alimentiert ist. Die meisten Berufsspielerinnen verdienen dagegen nirgends so gut wie bei der alle zwei Jahre im K.o.-Modus ausgetragenen WM. Das ganze System der Frauen-WM ist weniger auf sportliche Aussagekraft ausgerichtet als darauf, die Berufsspielerinnen zu versorgen.

Darum konnte es sich der Weltschachbund gar nicht leisten, den Iran als Ausrichter abzulehnen. Nirgends sonst waren 450.000 Dollar Preisgeld und die auch nicht unerheblichen Organisationskosten aufzubringen. Darum wurde die Entscheidung auch gar nicht beim letzten Kongress im September in Baku offen diskutiert sondern klammheimlich ins Protokoll geschrieben, das die Delegierten Wochen später erhielten. Es gibt so wenige Optionen, die Titelkämpfe und Grandprix-Turniere der Frauen unter den ehrgeizigen Vorgaben unterzubringen, dass ständig Termine verlegt werden müssen und am Ende oft wieder Russland einspringt.

Man sollte auch wissen, dass Schach im Iran einen kleinen Beitrag zur Stärkung der Frauenrechte leistet. Der Anteil der Frauen und Mädchen unter den Turnierspielern liegt höher als im Westen oder in anderen muslimischen Ländern, nur in Aserbaidschan ist er auf ähnlichem Niveau. Iranerinnen wehrten sich gegen Paikidzes Boykottaufruf mit dem Aufruf, ihnen eine der wenigen internationalen Frauensportveranstaltungen nicht auch zu nehmen. Im übrigen hat der Iran einen der rührigsten Schachverbände in Asien und ist gerade in der Nachwuchsförderung auf einem guten Weg. Mehr als die Hälfte der iranischen Spitzenspieler sind noch keine zwanzig Jahre alt.

Zu Recht in der Kritik wäre die WM-Vergabe gewesen, wären damit israelische Spielerinnen um ihre Chance gebracht worden, denn sie hätten nicht einreisen dürfen. Doch keine Israelin war qualifiziert. Paikidze-Barnes´ Boykott folgten erklärtermaßen nur die Nummer 32 der Frauenweltrangliste Irina Krush, ebenfalls aus den Vereinigten Staaten, und die Ukrainerin Maria Musitschuk, die die K.o.-WM vor zwei Jahren und daher 2016 nochmals ein schönes Preisgeld in einem WM-Zweikampf gewann. Die Weltmeisterin Hou Yifan ist dagegen aus dem ganzen Frauen-WM-Zyklus ausgestiegen. Um sportlich weiterzukommen, muss sie sich mit Männern messen. Seit dem Karriereende von Judit Polgar ist sie die klare Nummer eins. Doch ihr Vorsprung schrumpft. Vor zwei Wochen in Gibraltar verlor sie die Nerven auch in Folge einer empfindlichen Niederlage gegen Ju Wenjun, die nun in Teheran als Nummer eins gesetzt ist.

Turnierfavoritin Ju Wenjun, rechts, gegen Nancy Lane aus Neuseeland vor iranischer Kunst (Foto: David Llada)

Ju und die anderen Topspielerinnen Anna Musitschuk, Antoaneta Stefanova, Alexandra Kostenjuk und Nana Dzagnidze haben mittlerweile das Achtelfinale erreicht, das an diesem Freitag beginnt und hier live übertragen wird. Die einzige deutsche Teilnehmerin Elisabeth Pähtz fiel nicht wegen ihrem eigenwilligen Umgang mit den Hijab-Vorschriften aus dem Wettbewerb, sondern sie scheiterte sportlich am Donnerstag im Stechen mit verkürzter Bedenkzeit gegen die Schwedin Pia Cramling.

Elisabeth Pähtz mit Mütze und entblössten Unterarmen (Foto: David Llada)

Als Turnierfotograf wurde der Spanier David Llada verpflichtet. Seiner Beobachtung nach gehen die Frauen gelassen mit den Vorschriften um, und etwas Nervosität, ob das Tuch auch richtig sitzt, sei nach der ersten Runde verschwunden. Llada gelangen Aufnahmen, die an Madonnenbilder der Renaissance oder an Vermeer erinnern:

Nino Churdsidze aus Georgien
Alexandra Gorjaschtkina aus Russland

Von den vorab befürchteten Einschränkungen im Kontakt zwischen Spielerinnen und männlichen Trainern hat Llada nichts mitbekommen. Auch als Fotograf könne er frei seiner Arbeit nachgehen (hier sein sehenswerter Fotostream). Welche Bilder die iranischen Gastgeber planten und verbreitet sehen wollen, zeigt sich indessen an den aufwändigen Fototapeten mit Kunst- und Tourismusmotiven, vor denen gespielt wird.

Anastasja Bodnaruk und Olga Girija aus Russland vor Tourismuswerbung (Foto: David Llada)

Sehen Sie, wie die ukrainische U20-Weltmeisterin Natalja Buxa mit Weiß hier kurzen Prozess mit der seit Kindestagen in Ungarn lebenden Hoang Than Thrang machte?


Hinterlasse eine Lesermeinung