Berührt, geführt

Der Schachverein ist tot, es lebe der Schachverein!

2016 sind die Mitgliederzahlen im Deutschen Schachbund erstmals wieder gewachsen. Seit der Wiedervereinigung hatten die Abmeldungen die Neuzugänge jährlich um ein paar Hundert oder sogar mehr als Tausend überstiegen (etwas Auf und Ab in den 1990ern dürfte eher an der Erhebungsweise gelegen haben). Von einer Trendwende lässt sich nun bei einem Zuwachs von 78 Mitgliedern oder 0,09 Prozent kaum sprechen. Zumal sich am grundlegenden Trend nichts geändert hat: In den Altersgruppen unter zwölf und über sechzig Jahren legt das Vereinsschach zu, bei den Zwanzig- bis Vierzigjährigen dünnt es aus. Rückläufig ist auch die Zahl der Vereine. Von einmal 3000 deutschen Schachvereinen hat jeder fünfte das letzte Vierteljahrhundert nicht überlebt. Dass es nicht schlimmer kam, ist zu einem nicht geringen Teil der Deutschen Schachjugend zu verdanken. In Sachen Vereins- und Verbandsentwicklung ist die Jugendorganisation dem Deutschen Schachbund nämlich um einiges voraus.

2017 ist bei der Schachjugend das Jahr der Vereine. Dabei ist in ihren Seminaren und Fortbildungen seit langem ein Dauerbrenner, wie Vereine attraktiver werden und auch bisher unterrepräsentierte Gruppen erreichen. Seit Jahren organisiert sie außerdem regionale Vereinskonferenzen. Ende April am Rande der zentralen Bundesligaendrunde findet erstmals eine nationale Vereinskonferenz statt. Auch die kürzlich durchgeführte Mitgliederumfrage dürfte nicht ohne die Schachjugend zustande gekommen sein. Das Thema Schulschach hat der Schachbund bisher nahezu ganz seiner Jugendorganisation überlassen. Eine Intitiative der Schachjugend ist auch die exzellent gemachte Vereinssuchkarte, die neben 2403 Vereinen auch an die 500 besonders aktive Schulschachgruppen aufzeigt. Wer in der interaktiven Deutschlandkarte herumklickt, erkennt schnell, wie es um den typischen deutschen Schachverein beschaffen ist:

Er hat etwas unter dreißig Mitglieder. Das Durchschnittsalter liegt bei Mitte fünfzig, ein oder zwei Jugendliche drücken den Schnitt etwas. Frauen Fehlanzeige. Man kann sich ausmalen, dass Frauen nur beim sozialen Höhepunkt des Vereinslebens, wahrscheinlich ist es ein Grillfest, als Partnerinnen dabei sind. Der wöchentliche Spielabend war früher im Hinterzimmer in einer Gaststätte, inzwischen trifft man sich in einer sozialen Einrichtung. Einige Mitglieder sieht man fast nie. Relativ viele sind seit Jahrzehnten dabei und erinnern sich an die Zeit, als geraucht wurde und ein paar Bierchen zum Schachabend gehörten. Mit zwei Mannschaften beteiligt sich der Verein an den Verbandskämpfen. Oft steht erst kurz vor Sonntag 10 Uhr fest, ob alle acht Bretter besetzt werden können. Wenn die gute Seele des Vereins nicht mehr will oder nicht mehr kann, das ist unausgesprochen fast allen klar, könnte der Verein sterben.

Daneben gibt es aber auch die Erfolgreichen, die großen Vereine. Sie sind sogar gewachsen gegenüber früher. Sie arbeiten mit örtlichen Schulen zusammen und vielleicht auch mit Schachlehrern. Die Hälfte ihrer Mitglieder sind Kinder und Jugendliche. Einigen dieser Vereine ist die Nachwuchsarbeit wichtiger, als in einer hohen Liga vertreten zu sein. Der zweitgrößte deutsche Verein, die Schachzwerge Magdeburg, ist sogar ein reiner Schul- und Kinderschachverein – ein Modell, das noch Schule machen wird. Immer öfter kommen inzwischen Erwachsene durch ihre Kinder zum organisierten Schach. Hauptamtliche Mitarbeiter sind im Vereinsschach zwar eine Rarität, aber Honorartrainer leisten sich schon einige große Vereine und bieten mehr als nur einen Spieltermin die Woche. Wer Kinder für Lärm hält, kommt halt nur zum Vereinsturnier, wenn Turnierruhe herrscht.

Der gegenwärtige Präsident Herbert Bastian ist der beste Schachkenner und -könner, der je dem Deutschen Schachbund vorgestanden ist. Es ist beeindruckend, auf wie vielfältige Art der 64 Jahre alte Saarländer sich schon schachlich engagiert hat. Seine Schwerpunkte als Präsident hat er  allerdings in den letzten sechs Jahren bei der Versportlichung des Schachs gesetzt und sich ansonsten eher allein durchgewurstelt, als Zusammenarbeit und Miteinander zu organisieren. Mehr Impulse für das Vereinsschach wären wohl von Ullrich Krause zu erwarten, jedenfalls wenn man dem Programm folgt, mit dem der 49 Jahre alte Lübecker bei der Wahl Ende Mai gegen Bastian antritt.

Mehr Mitglieder als nötig verliert das Schach bisher durch Ortswechsel. Wer umzieht, hat es im deutschen Vereinsschach nämlich nicht leicht. Bevor man für einen neuen Verein spielen darf, können wegen des einmaligen, frühen Stichtags fünfzehn Monate vergehen. Das wird in anderen Ländern integrativer gehandhabt, wie ein gerade veröffentlichter Erfahrungsbericht, den eine Austauschstudentin aus England mitgebracht hat, zeigt. Viele Ehemalige suchen sich erst gar keinen neuen Verein sondern begnügen sich mit Onlinepartien, zumal die knappe Freizeit nicht unbedingt auf die Tage der Spielabende und Verbandsspiele fallen muss. Um solche vereinslos aktiven Spieler zu erreichen, bietet der Königlich-Niederländische Schachverband eine Onlinedirektmitgliedschaft an.

Apropos Onlineschach. Neuerdings gibt es die weltweite PRO Chess League, die Viererteamkämpfe im Schnellschach übers Internet austrägt. Halbfinale und Finale finden am kommenden Wochenende statt. Die Finalteams kommen aus den USA, Kanada, Schweden und Norwegen – bei den „Norway Gnomes“ spielt übrigens ein gewisser Magnus Carlsen. Dank ihm boomt das Schach in Norwegen. Gewachsen sind dort aber nicht so sehr die Vereine. Die Mitgliederzahlen liegen heute um gut ein Drittel höher als vor zehn Jahren. Viel stärker gewachsen sind im Magnus-Carlsen-Land die Schulschachgruppen und die Zahl der Onlinespieler.

 

 

 

 

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