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Hat Wei Yi keine Lobby?

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Wei Yi ist siebzehn, der stärkste Junior der Welt und schon in den Top dreißig. Dass er „erst“ 2725 Elopunkte hat, liegt nur daran, dass er gelegentlich Opens spielen muss und sich dabei öfter Gegnern zu erwehren hat, die stärker als ihre Rating und überaus zufrieden mit einem Remis gegen ihn sind.  Einladungen zu Weltklasseturnieren hat der vielleicht künftige Weltmeister nämlich so gut wie keine. Seit Donnerstag läuft eines in der südchinesischen Wirtschaftsmetropole Shenzhen. Doch nicht einmal im eigenen Land ist Wei mit von der Partie. Hat der Junge denn keine Lobby? Magnus Carlsen konnte sich in dem Alter vor Einladungen kaum retten. Dabei hat sich der heutige Weltmeister damals bei seinen ersten Weltklasseturnieren vergleichsweise nicht so gut geschlagen wie Wei.

Hat das Zeug zum Weltmeister aber keine Einladungen: Wei Yi, 17 (Foto: Alina L´Ami für Tata Steel Chess)

Voriges Jahr holte der Chinese in Wijk aan Zee fünfzig Prozent, dieses Jahr schon den dritten Platz. Eine Leistung auf dem gleichen Niveau dürfte genügen, um sich in der diesjährigen Grandprixserie des Weltschachbunds für einen der beiden begehrten Plätze im nächsten WM-Kandidatenturnier zu qualifizieren. Doch – man kann es sich fast denken – Wei ist gar nicht dabei. Sein Name stand zwar auf der 24 Spieler umfassenden Liste, doch er ist kurzfristig durch Hou Yifan ersetzt worden. Die Exweltmeisterin bringt zwar Abwechslung in das nicht besonders illustre Feld. Das Talent ihres mehr als fünf Jahre jüngeren und in der Weltrangliste neunzig Plätze vor ihr platzierten Landsmanns hat Hou aber offenbar nicht.

Warum tut der Chinesische Schachverband nicht mehr für seinen größten Hoffnungsträger? Schließlich könnte Wei Yi das „Big Dragon Project“ vollenden. Nachdem Schach während der Kulturrevolution einige Jahre geächtet gewesen war, trafen sich 1974 in Kuala Lumpur Schachfunktionäre und Geschäftsleute der chinesischen Diaspora und formulierten einen ehrgeizigen Plan mit vier Etappen. Erst sollte China bei den Frauen dominieren, dann bei den Männern. 1991 wurde Xie Jun als erste Chinesin Weltmeisterin, 1998 gewannen die Chinesinnen den Frauenwettbewerb der Schacholympiade, 2014 gewannen Chinas Männer ihre erste Schacholympiade. Was fehlt ist der höchste Titel im Schach, der Einzelweltmeister.

Wenn Wei dieses Ziel erreichen soll, braucht er Chancen, sich mit Carlsen und Co zu messen. Möglich wäre das beim Grenke Classic in der Osterwoche in Karlsruhe und Baden-Baden, doch dort sitzt wieder nur Hou Yifan am Brett. Beim ebenfalls über Ostern laufenden „Kortchnoi Zurich Chess Challenge“ findet man Wei ebenso wenig. Die Grand Chess Tour mit Stationen in Paris, Leuven, St. Louis und London hat ihn auch nicht gefragt und lässt lieber weiter die Immergleichen gegeneinander antreten. Stavanger will im Juni „das stärkste Turnier der Welt“ präsentieren und hat nur etabliertes Top-Ten-Personal eingeladen. Vielleicht kommt Wei wenigstens im Juli beim Sparkassen-Chess-Meeting zum Zug. Die Teilnehmer dieser 45. Dortmunder Schachtage werden in der Regel Anfang April bekannt gegeben.

Vielleicht braucht Wei außer ein paar Elopunkten mehr und, nun ja, einem cooleren Outfit einen Manager, der seine Teilnahme den Veranstaltern schmackhaft macht. Echte Schachkenner wissen derweil längst, was sie an ihm haben. Der Junge liefert immer wieder brilliante Partien ab. Im Januar kombinierte er den WM-Finalisten Karjakin aus und verwertete den dabei eroberten kleinen Materialvorteil zügig und sauber. Vor zwei Wochen teilte er bei einem Open in Saigon Platz zwei und zeigte dabei spektakuläres Schach. Besonders stark ist er auf der weißen Seite der Sizilianischen Eröffnung. Diese kam auch in seinem bisherigen Meisterstück gegen den Kubaner Lazaro Bruzon aufs Brett. Sehen Sie, wie Wei mit Weiß, anstatt hier auf d5 zurückzuschlagen, eine sehenswerte Treibjagd auf den schwarzen König begann?

Wei – Bruzon, Danzhou 2015

(ganze Partie zum Nachspielen)


2 Lesermeinungen

  1. Clossius sagt:

    Also wirklich
    Die Frage der Überschrift wird im Text nicht beantwortet. Der fehlende Manager kann es kaum sein, noch das uncoole Outfit (das kann man umgehend abstellen, wenn es denn ein Kriterium sein sollte). „Fehlende Lobby“ im chinesischen Kontext ist Codewort für sonstwas, und ich hätte mit irgendeiner politischen oder ethnischen Minderheitensache gerechnet. Und dann kommt – gar nichts.

    • sloeffler sagt:

      Der Text fragt nicht, warum Wei Yi keine Lobby hat, sondern ob der stärkste Junior der Welt überhaupt eine hat. Um zu erklären, warum der Chinesische Schachverband nicht mehr für ihn tut, fehlen mir Informationen. Soweit ich weiß, ist Wei Han-Chinese, also keiner Minderheit angehörig. Ein in der Schachszene gut vernetzter Manager könnte in seinem Fall durchaus etwas bewirken, nämlich die Kommunikation mit Veranstaltern in Europa und Amerika und mit den für diese Veranstalter relevanten Medien erheblich erleichtern.

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