Berührt, geführt

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Und ewig lockt h7

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Eigentlich hätte Lewon Aronjan sogar einen noch stärkeren Zug gehabt, der wahrscheinlich auf banale Weise zum Sieg geführt hätte. Doch die Chance, den Weltmeister mit einem klassischen Läuferopfer auf dem Feld h7 fertigzumachen, kriegt man nur einmal im Leben. So begab es sich zwischen Aronjan und Magnus Carlsen in der vierten Runde des „Alitbox Norway Chess“-Einladungsturniers in Stavanger nach 16 Zügen, dass der weiße Läufer sein Leben für den schwarzen h-Bauern aushauchte.

Seit dem WM-Kampf im November läuft es nicht rund für Carlsen. Erst im Stechen behauptete er damals seinen Titel gegen Karjakin. In Wijk aan Zee stahl im Wesley So die Show. Dann im April beim Grenke Chess Classic in Karlsruhe und Baden-Baden war es Lewon Aronjan, wobei sie sich damals eine wildromantische Remispartie geliefert hatten. Carlsens Vorsprung in der Weltrangliste schmilzt und schmilzt. Aktuell beträgt er gerade noch 13 Elopunkte. Hier seine spektakulärste Niederlage seit langem Zug für Zug:

Aronjan – Carlsen

1. d4 d5 2. c4 c6 3. Sf3 Sf6 4. Sc3 e6 5. e3 a6

Die Idee, auf 6. Dc2 c5 den Damenspringer nicht nach d7 sondern c6 zu entwickeln, ist seit einigen Jahren in Mode, und 6. b3 ist darauf inzwischen der Hauptzug geworden.

6. b3 Lb4 7. Ld2 Sbd7 8. Ld3 0-0 9. 0-0 De7 10. Lc2!

Dieser auf den ersten Blick mysteriöse Rückzug des Läufers nimmt Schwarz die Gelegenheit zum thematischen Zwischentausch auf c4 im Fall von 10. … Ld6 11. e4 dxc4?, da nun 12. e5 eine Figur erobert. Aber auch das nach 10. … e5 mögliche Figurenopfer 11. Sxd5! cxd5 (11. … Sxd5 12. cxd5 Lxd2 13. dxc6) 12. Lxb4 Dxb4 13. dxe5 funktioniert nur, weil Schwarz keine Gelegenheit bekommt auf c4 zu nehmen.

10. … Td8 11. a3! Lxa3

Den Bauern ausschlagen befriedigt auch nicht: 11. … La5? 12. Sxd5 cxd5 13. Lxa5 verliert selbst einen Bauern, und 11. … Ld6 12. e4 dxe4 13. Sxe4 Sxe4 14. Lxe4 Sf6 15. Lc2 gibt Weiß das angenehmere Spiel.

12. Txa3! Dxa3 13. c5

Ein brilliantes Konzept. Aronjan hat einen Bauern und die Qualität (Turm für Läufer) investiert, um Damenfangdrohungen ins Spiel zu bringen. Das ganze geht übrigens nur, weil Carlsen sich mit seinem zehnten Zug den direkten Rückweg über a5 nach d8 verbaut hat, so dass 13. … Da5 an 14. Sxd5 scheitert.

13. … b6 14. b4

Nun droht 15. Sb1 nebst Lb3 und Lc3 die Dame zu fangen. Carlsen reagiert nun, wie der exzellente Kommentator Peter Swidler in seiner Videoanalyse für Chess24 ausführt, sehr menschlich, indem er selbst zwei Bauern anbietet, um die seine Dame umzingelnden weißen Leichtfiguren zu reduzieren.

14. … Se4 15. Sxe4 dxe4 16. Lxe4 Tab8

Besser war laut Swidler 16. … bxc5 17. bxc5 a5, auch wenn er Weiß nach 18. Lxc6 im Vorteil sieht. Eines der schwarzen Probleme ist, dass der Turm auf b8 bald ungedeckt steht. Dass Weiß nun mit 17. Dc2 Sf6 18. Sg5 h6 19. Lc3! und der Drohung 20. Ta1 sogar noch stärker fortsetzen konnte, darf man Aronjan nicht vorwerfen. Den Weltmeister mit einem Läuferopfer auf h7 zur Strecke zu bringen, ist gar zu verlockend.

17. Lxh7+ Kxh7 18. Sg5+

Auf 18. … Kg6 19. Dg4 f5 20. Dg3 Kf6 entscheidet nun 21. d5! Falls 21. … cxd5 erobert 22. c6 bei anhaltendem Angriff Material zurück, und nach 21. … exd5 22. Dd6+ Kxg5 23. e4+ wird der schwarze König zur Strecke gebracht. Um den Kampf fortsetzen zu können, gibt Carlsen einen Großteil seines Materialvorteils zurück.

19. Dh5 Sf6 20. Dxf7+ Kh8 21. Dc7 Ld7 22. Sf7+ Kg8 23. Sxd8 Tc8 24. Dxb6 Sd5 25. Da7 Txd8 26. e4 Dd3

Stellt eine Falle, die allerdings nicht schwer zu durchschauen ist. Auf 27. Lg5? folgt nicht 27. … Sf6? 28. Lxf6 gxf6 29. Dc7 und Weiß gewinnt, sondern 27. … Dxe4 28. Lxd8 Sf4 29. f3 De2 30. Tf2 De1+ 31. Tf1 Se2+ 32. Kh1 Dxf1 matt. Bessere Verteidigungschancen hätte Swidler zufolge allerdings 26. … Sf6 gewahrt.

27. exd5 Dxd2 28. Dc7 Dg5 29. dxc6 Lc8 30. h3 Dd5 31. Td1 e5 32. Td3 exd4?

Beschleunigt die Niederlage. Nach 32. … e4 33. Tg3 Dxd4 34. Txg7+ Dxg7 35. Dxd8 hätte Aronjan noch arbeiten müssen.

33. De7! Lf5 34. Tg3 Lg6 35. Dh4+ Schwarz gab auf.

Nach vier von neun Runden in Stavanger hat Carlsen nun eineinhalb Punkte Rückstand auf den führenden Hikaru Nakamura und einen Punkt weniger als Aronjan und Wladimir Kramnik. Überhaupt tut er sich bei seinem Heimturnier schwer. Voriges Jahr verlor er zwar ebenfalls gegen Aronjan, endete aber wenigstens im vierten Anlauf auf dem für ihn allein standesgemäßen Platz eins. 2015 dagegen erlitt er in Stavanger das größte Debakel seiner Karriere.

Insofern ist es Carlsen vielleicht recht, dass er seinen Titel im November 2018 wohl doch nicht in Norwegen verteidigen wird. Gerade wurde das Scheitern der Verhandlungen über die Ausrichtung in Oslo bekannt. Offiziell, weil die Finanzierung in der erwarteten Zeit nicht geschafft wurde. Tatsächlich fehlte den norwegischen Geldgebern wohl weniger die Zeit – schließlich sind es bis zum Matchtermin noch 17 Monate – als die Transparenz, wie Chess.com berichtet. Statt einem durchschaubaren Bieterverfahren bot die vom Weltverband beauftragte Vermarktungsfirma Agon nur direkte Verhandlungen. So kann sich die Vergabe leicht hinziehen, bis Ende März 2018 Carlsens Herausforderer feststeht.


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