Berührt, geführt

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Das Schachblog von FAZ.NET

Bella Figura

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Wo Schachgroßmeister mit russischen Oligarchen, Diplomaten, Bankern, Edeluhrmachern und schönen Frauen anstoßen wie bei der Party zum Auftakt des Genfer Grandprixturniers, wirkt die internationale Schachwelt noch in Ordnung. Doch hinter dem schönen Schein brodelt es. Dem Weltschachbund ist die Veranstaltungs- und Vermarktungsfirma Agon des Russen Ilja Merenzon inzwischen mehrere Hunderttausend Euro an Lizenzabgaben schuldig. Die Preisgelder des vorigen Grandprixturniers in Moskau wurden den Profis, wie Chess.com erfuhr, mit sechs Wochen Verspätung bezahlt – gerade noch rechtzeitig, um die Stimmung nicht zu verderben.

Die Grandprixserie leidet unter zahlreichen Konstruktionsfehlern, die vorwiegend dem Weltschachbund anzulasten sind: Zu viele deutlich schwächere Teilnehmer sind dabei, unausgekämpfte Remis werden geduldet, kein einziger Teilnehmer kriegt eine faire Farbverteilung (also gleich oft Weiß wie Schwarz). Agon hat reichlich Geld verpulvert, um ein exklusives Recht zur Übertragung der Züge als Veranstalter durchzusetzen und ist damit vor den Gerichten abgeblitzt. Auf der Strecke blieb die Übertragung der Partien, deren Qualität weit hinter den Standards anderer Weltklasseturniere bleibt. Ohne die professionelle Redakteursarbeit des anscheinend ausgeschiedenen Dylan Loeb McClain ist die eigens für die Präsentation solcher Events lancierte Website Worldchess.com kaum noch der Rede wert. Die Nachbereitung beschränkt sich auf kurze Videointerviews und Ergebniskommentierung. Eine kostenpflichtige Kommentierung wird aus der Moskauer Ferne geleistet und kaum nachgefragt. Partien zum Nachspielen oder zum Download findet man leichter anderswo. Trotz der sportlichen Bedeutung – immerhin qualifizieren sich die beiden Erstplatzierten der aus vier Turnieren bestehenden Grandprixserie für das WM-Kandidatenturnier – wird das Genfer Event unter anderem von Chess24 ignoriert. Der in Genf lebende Weltranglistenzweite Wladimir Kramnik ist gar nicht dabei, sondern treibt sich lieber bei der Möhrenbande herum.

Zumal kürzlich auch noch die Verhandlungen über die Ausrichtung der Schach-WM 2018 in Olso gescheitert sind, sieht es also gar nicht gut aus für Agon. Aber machen wir Bella Figura und loben ein zu wenig beachtetes Projekt der Firma, nämlich einen prächtigen Bildband über Schachfiguren und ihre Gestaltung.

„Master Works“ ist in Zusammenarbeit mit dem Londoner Designverlag Fuel entstanden. Auf dem Cover ist ein Napoléon Bonaparte als Königsfigur aus einem der besonders im 19. Jahrhundert beliebten, historische Konfrontationen darstellenden Sets.

Indische Elfenbeinspiele erfreuten sich schon seit etwa 1750 besonderer Nachfrage. Da sie von der East India Company vertrieben wurden, laufen sie unter dem Namen „John Company Sets“. Schachsammler stöhnen darüber, dass der Handel und Tausch solcher Sets wegen Sanktionen gegen den Elfenbeinhandel schwierig bis unmöglich geworden sei.

Indisches Schachset aus Elfenbein (Fotos: Fuel)

„Master Works“ erzählt auch die Geschichte des Figurendesigns, das sich Nathaniel Cooke 1849 in London patentieren ließ. Bekannt wurde sie unter dem Namen des damaligen englischen Spitzenspielers Howard Staunton, der Cookes Figuren in seinen Kolumnen propagierte. Die Stauntonform hat sich international durchgesetzt und auch die abstraktere, leichter zu drechselnde Bundesform verdrängt.

Der Band enthält einzelne Arbeiten von Künstlern – etwa Max Ernsts „Der König spielt mit der Dame“, das für die großartige Ausstellung der Fundació Joan Miró über Marcel Duchamp und die Kunst des Schachspiels nicht freigegeben worden war.

Der König spielt mit der Dame von Max Ernst

Neben ästhetischen und kunsthistorisch wichtigen Arbeiten stellt „Master Works“ aber auch außergewöhnliche Spiele vor wie diese von einem politischen Häftling aus Draht gefertigten Figuren:

Drahtfiguren aus einem sowjetischen Lager

Von Knappheit in einer Zeit großen Bedarfs für das Spiel zeugen auch Figuren, die auf bedrucktem Karton während der Belagerung Leningrads verbreitet wurden, um der hungernden Bevölkerung etwas Ablenkung beim Schach zu verschaffen.

König aus Karton während der Belagerung Leningrads

Die beiden letztgenannten Spiele stammen aus der vorzüglichen Sammlung des Moskauer Schachmuseums, die anderen von privaten Sammlern wie Jon Crumiller, die mit ihrem Wissen auch inhaltlich beigetragen haben. Dylan Loeb McClain hat den vorzüglich ausgestatteten Band editiert, Kevin Dutton steuerte die Fotos bei.

Master Works, Fuel London 2017, 232 Seiten, 34,95 Pfund

 

 


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