Keines der fünf wichtigsten Einladungsturniere konnte Magnus Carlsen dieses Jahr gewinnen. Mit seiner Dominanz sei es vorbei, meint Jan Nepomnjaschtschi. Die Konkurrenz komme inzwischen besser mit Carlsen zurecht. Außerdem falle es dem Weltmeister schwerer, sich zu motivieren, nachdem er schon alles gewonnen habe. Wenn Carlsen tatsächlich die Motivation abgeht, sollte er sich Yoshiharu Habu zum Vorbild nehmen. Der Japaner hat kürzlich einen bemerkenswerten Rekord aufgestellt. Habu gewann das renommierte Ryuo-Turnier zum siebten Mal und hat damit die sieben bedeutendsten Shogiturniere allesamt schon mindestens siebenmal gewonnen. Wer ein solches Turnier siebenmal gewonnen hat, trägt den Titel bis zu seinem Tod. Habu hält nun alle sieben Titel, auch „sieben Kronen“ genannt, auf Lebenszeit.

Shogi ist das japanische Schach. Einen Weltmeister gibt es nicht. Das klänge auch merkwürdig. Auf hohem Niveau wird Shogi nämlich nur in Japan gespielt. Alle 164 männlichen Profis sind Japaner. Und unter den 52 Berufsspielerinnen ist nur eine Nichtjapanerin, die Polin Karolina Styczinska, und das auch erst seit Februar. Der führende Spieler ist seit fast einem Vierteljahrhundert Yoshiharu Habu. 1996 schrieb er Geschichte, als er alle sieben großen Shogititel nacheinander gewann. Der 47jährige hat schon 150 Profiturniere gewonnen. Fast jedes Jahr schließt er auf der Preisgeldrangliste des Japanischen Shogiverbands als Nummer eins ab. 2013 gewann allerdings Akira Watanabe mehr. Das ist der Rivale, den Habu nun im Finale des Ryuo-Turniers besiegte.
Habu spielt auch exzellent internationales Schach. Hätte er nicht nur alle paar Jahre Zeit für ein Turnier, wäre er wohl ein starker Großmeister. 2006 hat Habu bei einem Open in Philadelphia eine Großmeisternorm erfüllt. Vor vier Jahren in Krakau verpasste er knapp eine zweite Norm. In Schaukämpfen maß er sich schon mit Garri Kasparow und in beiden Spielen parallel mit Maxime Vachier-Lagrave.

Der stärkste französische Schachspieler hat im Shogi immerhin den ersten Amateur-Dan erreicht. Ebenso wie der Spitzenspieler Dänemarks Peter Heine Nielsen, jener der Schweiz, Yannick Pelletier, oder auch der Aachener Bundesligaspieler Christian Seel. Noch eine Spur stärker sind die beiden aus der Bundesliga bekannten Großmeister Twan Burg und Sergei Krivoshey. Die europäische Shogiszene ist recht überschaubar. Shogi Deutschland zählt derzeit zwölf regelmäßige Shogitreffs und 172 gemeldete Spieler und richtet kommenden Juli in Berlin die Europameisterschaften aus. Relativ am meisten aktive Spieler finden sich in der Ukraine oder Weißrussland. Bei der letzten Shogi-EM hatte aber Österreich die Nase vorn, das mit Andreas Diermair einen Schachnationalspieler im Team hat.
Erleichtert wird der Wechsel zwischen den beiden Spielen durch Gemeinsamkeiten. Es geht darum, den gegnerischen König mattzusetzen. Anders als das chinesische Xiangqi wird Shogi nicht auf den Schnittpunkten sondern wie Schach auf den Feldern gespielt. Statt acht mal acht sind es neun mal neun Felder. Allerdings sind die Regeln insgesamt etwas komplizierter. Eine Armee besteht nicht aus 16 sondern 20 Figuren. Statt sechs Figurentypen sind acht verschiedene im Spiel. Und sich verwandeln – oder wie der Shogispieler sagt: befördert werden – dürfen nicht nur die Bauern. Im Shogi gibt es zwar keine Figur, die es an Stärke mit der Dame aufnehmen kann. Dafür dürfen geschlagene Figuren als eigene wiedereingesetzt werden. Darum haben alle die gleiche Farbe, sie schauen dann einfach in die entgegengesetzte Richtung. Dadurch geht es von Anfang an taktisch zu, und Remis sind sehr selten. Partien dauern aber deutlich länger – zwischen Profis sind es im Durchschnitt über hundert Züge pro Seite, beim Schach weniger als fünfzig.

Als größte Hürde gelten nicht die umfangreicheren Regeln sondern, dass die Figuren nicht plastisch sondern durch Schriftzeichen markiert sind. Es wird wohl ein Schachspieler gewesen sein, der die oben zu sehende Alternative ersonnen hat. Wer, wie mancher Schachklub, noch alte Bundesformfiguren hat, kann sich daran zu Lanzen und Silbergenerälen verhelfen. Allerdings braucht man einen zweiten Figurensatz, um genügend Bauern zu haben und geschlagene Figuren in der eigenen Farbe einsetzen zu können.
Shogi beginnt man am besten mit einer der kleineren Varianten. Neben Generalshogi und Minishogi auf jeweils fünf mal fünf Feldern, gibt es Mikroshogi auf vier mal vier Feldern und auf vier mal drei Feldern Dobutsu-Shogi, das auch als „Catch-the-Lion“ bekannt ist. Als Figuren hat man vier Tiere, die stets nur ein Feld weit ziehen dürfen: nämlich je einen in alle Richtungen ziehenden Löwen, eine gerade ziehende Giraffe, einen diagonal ziehenden Elefanten und ein nur vorwärts ziehendes Küken, das sich auf der gegnerischen Grundreihe in ein Huhn verwandelt, das dann in alle Richtungen ziehen darf – nur nicht diagonal rückwärts. Punkte zeigen an, wie die Figuren ziehen. Geschlagene Figuren dürfen als eigene wiedereingesetzt werden. Zum Gewinnen gibt es zwei Wege: Den gegnerischen Löwen fressen oder mit dem eigenen Löwen auf die gegnerische Grundreihe durchstürmen.

Das Spiel ist ein Geniestreich. Eine Minute reicht zum Erlernen. Und es wird so schnell nicht langweilig. Der Grazer Trainer Gert Schnider setzt Dobutsu-Shogi im Schachunterricht ein. Inzwischen gibt es ein abgeleitetes Shogiset mit Tierfiguren für das große Brett, das sich bei japanischen Kindern großer Beliebtheit erfreut. Vielleicht auch vor noch nicht langer Zeit bei Fujii Sato. Diesen Sommer sorgte er als gerade mal 14jähriger Jungprofi in Japan für Schlagzeilen, als er mit 29 Shogisiegen bei Profianlässen in direkter Folge einen neuen Rekord setzte. Ein junges Gesicht soll dem eingefahrenen Spiel neues Leben einhauchen.
