Berührt, geführt

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2018 wird besser

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Ein ereignisreiches Schachjahr 2018 hat begonnen. Im März wird in Berlin der nächste WM-Herausforderer ermittelt. Im November wird sich dieser in London mit Magnus Carlsen matchen. Im September steht im georgischen Batumi bei der Schacholympiade nicht nur ein spannender Nationenvergleich an sondern nach fast 23 Jahren wohl das Ende von Kirsan Iljumschinows Präsidentschaft im Weltschachbund. Dagegen war der internationale Schachkalender 2017 vergleichsweise entspannt. Trotzdem ist Denkwürdiges passiert. Ein Rückblick.

Durch Nichtspielen in die Schlagzeilen

So viel in den Medien wie 2017 war das Frauenschach vielleicht noch nie. Nicht weil die Frauen im Vergleich mit den Männern Fortschritte gemacht hätten. Berichtet wurde vielmehr, wenn Frauen gar nicht erst antraten. Den Ton vorgegeben hat Nazi Paikidze-Barnes. Am Brett hat die Amerikanerin georgischer Abstammung Zweitliganiveau, doch ihre engagierte Weigerung, mit Kopftuch bei der WM im Iran anzutreten, brachte sie in die Weltpresse. Die heimische Dorsa Derakshani durfte dort nicht antreten, weil sie im Ausland ohne Kopftuch spielte, doch der geschickt provozierte Rauswurf aus dem iranischen Team verhalf ihr zum erwünschten Stipendium an einem amerikanischen College und einer Selbstbeweihräucherung in der New York Times. Die ukrainische Großmeisterin Anna Musitschuk wurde zum Star der Weltmeisterschaften im Blitz- und Schnellschach, weil sie auf die Reise ins Frauen unterdrückende Saudi-Arabien und dort relativ leicht verdienbares Preisgeld verzichtete. Und Hou Yifan, die beste aktive Spielerin, wählte in Gibraltar eine skurrile Art des Nichtschachspielens, nämlich fünf krause Anfängerzüge zu machen und dann aufzugeben.

Spitze trotz Durchhänger

Dass Magnus Carlsen das Jahr als Weltmeister im Blitzschach abschloss, kann nicht darüber wegtäuschen, dass es sein schwächstes seit langem war. An fünf hochklassigen Einladungsturnieren hat der Norweger teilgenommen, gewonnen hat der Weltmeister allerdings kein einziges und musste dabei sechs Niederlagen hinnehmen. Dass der 27-Jährige die Weltrangliste immer noch mit Vorsprung anführt, liegt eher am Schwächeln seiner eigenen Generation.

Wesley So, 24, der das Jahr noch so stark begann, wie er 2016 beendete, blieb in den letzten Monaten farblos. Fabiano Caruana, 25, zeigte erst im Dezember in London nach langem mal wieder Siegerqualitäten. Sergei Karjakin, 27, knüpfte nicht annähernd an seine Leistungen von 2016 an, als er das Kandidatenturnier gewann und nahe dran war, Carlsen den Titel abzunehmen. Maxime Vachier-Lagrave, 27, spielte zwar beständig, verpasste aber die Teilnahme am Kandidatenturnier nach allen drei Kriterien jeweils knapp. Anish Giri, 23, kam dagegen nicht einmal in die Nähe der Qualifikation. Und Wei Yi, 18, fehlten die Einladungen, um sich stärker zu profilieren.

Richtig aufwärts ging es 2017 für zwei ältere Spieler: Schachrijar Mamedscharow, 33, der den Grandprix gewann und auf Platz drei der Weltrangliste vorrückte, und Lewon Aronjan, 36, der nicht nur mehrmals als Turniersieger glänzte sondern auch durch eine Glanzpartie gegen Carlsen.

Kränkung der Schachprogrammierer

Der stärkste Schachspieler der Welt ist freilich schon lange nicht mehr ein Mensch. Das Londoner Forschungsinstitut DeepMind veröffentlichte im Dezember erste Partien des Programms AlphaZero, das anders als alle herkömmlichen Schachprogramme zu seinen Zugentscheidungen kommt, dabei rasch dazulernt und offenbar überlegen spielt.

Scheich oder Exweltmeister?

Wer nach der nächsten Wahl ab September an der Spitze des Weltschachbunds stehen wird, ist unklar. Der seit 1995 amtierende Präsident Kirsan Iljumschinow genießt intern kaum noch Unterstützung, seit er wegen angeblicher Finanzgeschäfte in Syrien auf eine Sanktionsliste der USA steht. Sein Stellvertreter Georgios Makropoulos versucht, Scheich Sultan bin Khalifa al Nahyan, der der schwerreichen Herrscherfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate angehört und bereits als Präsident des Asiatischen Schachverbands firmiert, für eine Kandidatur zu gewinnen. Iljumschinow will das Feld aber nicht kampflos räumen, obwohl inzwischen auch der Russische Verband von ihm abrückt und wohl den früheren Weltmeister Anatoli Karpow als Kompromisskandidat in der Hinterhand hält.

Überzogene Strenge

Alle vier Jahre werden vom Weltschachbund die Turnierregeln angepasst, man kann es auch direkt so sagen: verschärft. Seit 1. Juli 2017 gilt es als regelwidriger Zug, wenn man bei der Rochade, beim Schlagen einer gegnerischen Figur oder beim Umwandeln eines Bauern, der die gegnerische Grundreihe erreicht hat, die zweite Hand einsetzt. Auch wer ohne zu ziehen die Uhr des Gegners in Gang setzt (selbst wenn es in der Absicht geschieht, die Uhr anzuhalten, um einen Schiedsrichter beizuziehen, und man nur die richtige Stoptaste der gerade vor einem stehenden Digitaluhr nicht gefunden hat) hat damit einen regelwidrigen Zug gemacht. Schon länger regelwidrig und damit verlusträchtig ist es, nach der Bauernumwandlung einen umgedrehten Turm als Dame einzusetzen oder einen im Schach stehenden König zu schlagen (korrekterweise muss man in einem solchen Fall einen illegalen Zug reklamieren). Obwohl solche strengen Regeln nicht für Freizeitspieler taugen, werden sie fast überall übernommen.

(Update am 11. Januar:) Wenigstens hat man sich zwischenzeitlich entschlossen, die Verschärfung teilweise wieder zu entschärfen: Ein erster regelwidriger Zug verliert noch nicht, sondern führt nur zu einer Zeitgutschrift für den Gegner, zwei Minuten in einer langen Partie, eine Minute im Blitz- oder Schnellschach. Sowohl bei langer als auch kurzer Bedenkzeit führt der zweite regelwidrige Zug zur Niederlage.

Deutscher Schachfrühling

Zuversichtlich stimmt die Entwicklung in Deutschland. Die positive Entwicklung im Schulschach wird an der Spitze des Deutschen Schachbunds endlich ernstgenommen. Der engagierteste Schachsponsor Grenke hat sein Weltklasse-Einladungsturnier mit dem größten deutschen Open (über Ostern) zusammengelegt. Ein weiteres Großereignis ist die zentrale Ausrichtung der letzten Runden der Schachbundesliga in Berlin Ende April. Beides wiederholt sich in diesem Jahr, das dem Gedenken an den vor 150 Jahren geborenen einzigen deutschen Weltmeister Emmanuel Lasker gewidmet ist. Der sportlich reizvollste Wettbewerb des Jahres ist aber das Kandidatenturnier ab 10. März in Berlin. Ein Schachfrühling steht uns bevor.

 

 

 


2 Lesermeinungen

  1. hoka2013 sagt:

    Frauen und Schach
    Sollte der erste Abschnitt, der sich Frauen widmete, lustig gemeint sein? Angekommen ist da wenig. Vielleicht sollte der Autor und die männlichen Schachspieler sich mal mit Kopftuch, langen Kleidern ausstatten und dann Schach spielen. Und sich in diesen Kleidern bewegen müssen. Von morgens bis abends. Und dann noch einmal diesen Text lesen. Ich finde es – Pardon – abscheulich, dass man Frauen zwingt, sich derart anzuziehen, um Schach spielen zu dürfen. Wer das entschieden hat, dieses Turnier in Saudi-Arabien stattfinden zu lassen, hat sich für die FIDE disqualifiziert. Merkwürdig, dass ein Spiel, das Intelligenz fordert, von so instinktlosen und offenbar frauenfeindlichen Funktionären geführt wird.

    • sloeffler sagt:

      Den von Ihnen angeführten Kleidungsvorschriften waren Frauen während der Schnell- und Blitzschach-WM in Riad weder am Spielort noch in den Hotels unterworfen, sondern nur beim Transfer und etwaigen Ausflügen. Das macht doch einen ganz erheblichen Unterschied. Eine „politisch korrekte“ Entscheidung gegen Saudi-Arabien hätte wahrscheinlich bedeutet, dass die Schnell- und Blitzschach-WM 2017 entfällt. Dann wären einigen Berufsspielern und -spielerinnen erhebliches Einkommen entgangen. Auch die FIDE kann Einnahmen in Höhe von 400 000 Dollar gut brauchen. Und es bestand zumindest die Chance, dass die Saudis israelischen Teilnehmern Visa erteilen und ein sportpolitischer Durchbruch gelingt.

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