Berührt, geführt

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Spielen, Tagen, Feiern

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Um die zuletzt sportlich unbedeutende Deutsche Meisterschaft aufzuwerten, gibt es künftig anstelle einer an Meisterspielern eher armen Meisterschaft ein echtes Meisterturnier und ein Hauptturnier sowie weitere, parallel ausgetragene Wettbewerbe. Die Funktionäre des Schachbunds tagen nicht länger fernab vom Schachleben sondern Seite an Seite mit ihren besten Spielern. Damit macht der Schachkongress ein Comeback in Deutschland, wo er zwar nicht erfunden wurde aber bis 1914 aufblühte und Pate für die ältesten Turnierserien in Hastings und Wijk aan Zee stand.

Bürgerliches Schach auf dem Höhepunkt: Deutscher Schachkongress 1914 in Mannheim (Foto: DSB)

Der allererste Schachkongress wurde im Sommer 1857 von der British Chess Association in Manchester durchgeführt. Noch im gleichen Jahr folgte der erste American Chess Congress in New York. In Deutschland fasste das Konzept mit dem Rheinischen Schachcongress 1862 in Düsseldorf Fuß. Turniere mehrerer Klassen wurden mit einem Wettbewerb in der Komposition von Schachaufgaben und mit sozialen Anlässen kombiniert. Damit Schach Stadtgespräch wurde, verpflichtete man den vor 185 geborenen Louis Paulsen, zehn Blindpartien simultan zu spielen. Nach einer Reihe regionaler Kongresse fand 1877 in Leipzig erstmals ein Deutscher Schachcongress statt. Bei dessen Wiederholung wurde zwei Jahre später der Deutsche Schachbund aus der Taufe gehoben.

Die Schachkongresse der Kaiserzeit waren ein Ausdruck bürgerlicher Spielkultur. In üppigen Kongressbüchern sind nicht nur die gespielten Partien und Turniertabellen dokumentiert sondern auch die Bankette, die anwesenden Honoratioren, Festreden und Trinksprüche. Auch Spieler aus dem Ausland waren zugelassen. Der Deutsche Schachbund nahm sogar Schachvereine aus Ländern auf, die noch keinen eigenen nationalen Verband hatten. Der 19. Deutsche Schachkongress 1914 in Mannheim am Vorabend des Ersten Weltkriegs war kurz davor, eine internationale Schachföderation ins Leben zu rufen. Nach der elften Runde wurde die allgemeine Mobilmachung bekannt. Der Kongress wurde abgebrochen. Spieler aus Russland, dem Deutschland den Krieg erklärte, darunter der spätere Weltmeister Alexander Aljechin, waren nun feindliche Ausländer und wurden interniert.

Spätere Deutsche Schachkongresse waren nationale Veranstaltungen und konnten nie wieder an die Blüte während der Kaiserzeit anknüpfen. 1950 hielt der Verband seine wichtigste Tagung letztmals während der Meisterschaft. In den Landesverbänden lebte die Kongressidee mit hierarchischen Turnieren mit Auf- und Abstiegsregelung weiter. Auch international wurde sie dankbar adaptiert. Der seit 1895 ausgetragene Hasting Chess Congress fand in den Weihnachtsferien zum 93. Mal statt. Tata Steel Chess in Wijk aan Zee (Liveübertragung und Partien der Weltklassegruppe), wo Hunderte Amateure im gleichen Saal wie die Weltklasse spielen (wie auch am 29. März bis 2. April beim Grenke Open in Karlsruhe), hat eine bis 1938 zurückgehende Geschichte und lief bis 1999 unter dem Namen Hoogovens Schaaktoernooi.

Weltklasse und Amateure spielen in Wijk aan Zee fast Seite an Seite (Foto: Tata Steel Chess)

Als Festival mit vielen Turnieren und Aktivitäten haben sich die Deutschen Jugendmeisterschaften mit zuletzt 1200 Teilnehmern, Begleitern, Trainern und Helfern vorbildlich entwickelt. In vielen Ländern sind die Meisterschaften der Erwachsenen mit zahlreichen Turnierkategorien als Treffpunkte der nationalen Schachszene etabliert. Die letzte Niederländische Meisterschaft in Amsterdam fiel zudem durch ein inspirierendes Beiprogramm aus Schachvarianten und Kultur besonders auf. Dagegen hat die Deutsche Meisterschaft einen langen Niedergang hinter sich. Was weniger an der isolierten Ausrichtung lag als daran, dass die 17 Landesverbände ihre Landesmeister dabeihaben wollen, obwohl diese weit von der nationalen Spitze entfernt sind. 2016 erreichte die Deutsche Meisterschaft ihren sportlichen Tiefpunkt. An der geldpreislosen Austragung in Lübeck nahm gerade mal ein einziger Top-Hundert-Spieler teil.

Der damalige Mitorganisator Ullrich Krause ist inzwischen Präsident des Deutschen Schachbunds. Als eines seiner ersten Projekte leitete er eine Arbeitsgruppe zur Reform der Meisterschaft. Für das neue Konzept „Meisterschaftsgipfel“, zu dem auch ein nationales Pokalturnier im K.o.-Modus und Seniorenmeisterschaften gehören werden, wurde mit dem Dresdner Dirk Jordan und seinem Team bereits ein Veranstalter gefunden, der erfolgreich ein Turnier nach dem anderen samt abwechslungsreichen Rahmenprogrammen über die Bühne bringt.

Ab der Deutschen Meisterschaft 2019 werden die Landesmeister im Hauptturnier teilnehmen. Das Meisterturnier mit höchstens zehn Teilnehmern ist den Besten der vorangehenden Meisterschaft und Spitzenspielern der deutschen Rangliste vorbehalten. Stattfinden wird das 2019, 2020 und 2021 im sächsischen Städtchen Radebeul. Dass der Sponsor der Nationalmannschaft, die Windkraftfirma UKA, seit langem mit Jordan zusammenarbeitet und in Meißen wenige Kilometer von Radebeul entfernt ihren Sitz hat, weckt Hoffnung, dass genug Preisgeld zusammenkommt, um die besten Großmeister anzulocken.

Die gleiche Struktur mit Meister- und Hauptturnier soll es bei den Frauen geben. Die besten Spielerinnen hätten sportlich mehr davon, wenn sie, wie in Spanien oder der Schweiz, bei den Männern mitspielen, doch hinter separaten Wettbewerben steht in Deutschland eine starke Lobby.


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