Berührt, geführt

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Die Einsamkeit des Wesley So

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Zwei sind erstmals bei einem WM-Kandidatenturnier dabei, Ding Liren und Wesley So. Während sich der 25jährige Chinese gegen zwei der Favoriten behauptet hat und somit gut ins Turnier gekommen ist, hat So als einziger seine ersten beiden Spiele verloren und steht einsam am Tabellenende. Dabei war er vor einem Jahr die klare Nummer zwei im Schach hinter Magnus Carlsen und schaffte es, 67 Spiele auf höchstem Niveau ohne Niederlage zu bleiben. Warum er nun nicht in Form ist, kann der 24 Jahre alten Amerikaner philippinischer Herkunft selbst nicht sagen. Nach Berlin ist er eigens sieben Tage vor dem ersten Spiel angereist – nur mit seiner Adoptivmutter, ohne Sekundant oder Trainer. Fast sein ganzes Leben hat er alleine an seinem Schach gearbeitet. Wie weit er es gebracht hat, spricht für sein enormes Talent. Im Kandidatenturnier als einziger schachlich auf sich alleingestellt, wirkt er nun überfordert.

Wesley So und seine Adoptivmutter Lotis Key (Foto: Austin Fuller/St. Louis Chess Club)

Gewöhnlich ist Wesley So recht gut darin, Gefahren kommen zu sehen und frühzeitig zu neutralisieren. Doch gleich im ersten Spiel gegen Caruana geriet er nach einer hier bereits gezeigten Fehleinschätzung im 23. Zug in einen Angriff, der bald nicht mehr zu parieren war. Noch früher erwischte es ihn gegen Alexander Grischtschuk, der ebenfalls seine erste Partie verloren hatte:

Grischtschuk – So nach 20. … Lf6

Hier brauchte der Russe nur noch seine Figuren gegen Sos Königsflügel in Stellung zu bringen: 21. Tg4! Kh8 22. Tc5! Tad8 23. Dc1, und gegen die brachiale Drohung 24. Lxh6 half nur noch 23. … Sxd4 24. Sxd4 Te4, doch nach 25. Txc7 Dxd4 26. Le3 Txg4 27. hxg4 De4 28. f3 ging der schwarze Läufer auf b7 und bald auch die Partie verloren (ganze Partie nachspielen).

Während seines brillianten Laufes vor einem Jahr hatte Wesley So Unterstützung des ukrainischen Trainers Wladimir Tukmakow. Der gab kürzlich der Website Chess-News.Ru ein bemerkenswertes Interview. Dessen Passagen über seine Zusammenarbeit mit Wesley So sind von Chess24 ins Englische übersetzt worden.

Ihr Austausch fand zunächst ausschließlich über Skype statt. Weil So keine klassische Schachausbildung bekommen hatte, sei es leicht gewesen, einige Lücken zu schließen, die seiner Spielstärke einen Sprung nach oben brachten. Als sie einander dann persönlich trafen, habe die Chemie nicht gestimmt. Tukmakow verglich es mit der Ernüchterung zwischen zwei Menschen, die sich online kennengelernt und verliebt haben und sich nun erstmals leibhaftig gegenüberstehen. Zudem war So gewohnt, selbst zu entscheiden, gegen wen er wie eröffnete. Diese Entscheidungen in der Vorbereitung gemeinsam mit Tukmakow zu treffen, bewährte sich nicht. Nach schwächeren Resultaten trennten sich ihre Wege. Ein neuer Trainer ist nicht bekannt.

Wesley Sos Weg ist gezeichnet von Trennungen und Enttäuschungen. Er hat sich von seiner leiblichen Familie losgesagt. Er hat sich vom philippinischen Verband getrennt, weil er dort nicht die versprochene Hilfe bekam. Ein Studium an einer Privatuni, die ihm ein Stipendium gab, hat er abgebrochen. Selbst die Unterstützung des amerikanischen Mäzens Rex Sinquefield und dessen Klubs in Saint Louis nimmt er wenig in Anspruch.

Stattdessen lebt er zurückgezogen in Minnesota in der Familie von Lotis Key, einer von den Philippinen stammenden Schauspielerin. So hat die Gläubigkeit seiner Adoptivmutter angenommen. Key begleitet ihn zu allen Turnieren und steht ihm auch in Berlin zur Seite. Hilfe, um aus dem dunklen Loch zu kommen, suchen Wesley So und Lotis Key wohl bei Gott.

Kandidatenturnier nach 2 von 14 Runden: 1.-3. Kramnik, Caruana, Mamedscharow je 1,5; 4.-6. Aronjan, Ding, Grischtschuk je 1; 7. Karjakin 0,5; 8. So 0

Dritte Runde Montag 12 März ab 15 Uhr. Liveübertragungen u.a. bei Chess24 oder bei Chessbase.


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