Wenige Eröffnungen sind so verrufen wie die Berliner Variante der Spanischen Verteidigung. Seitdem Wladimir Kramnik damit im Jahr 2000 Garri Kasparow ausbremste, haben sie unzählige Spieler mit Schwarz verwendet, um Beton anzurühren. Am zweiten Spieltag des Kandidatenturniers hat sich Kramnik selbst als Weißer gegen Sergei Karjakin die Zähne daran ausgebissen. Am dritten Spieltag konnte der Exweltmeister sie mit Schwarz gegen Lewon Aronjan anbringen. Das war eine Überraschung, eröffnet der Armenier doch nur sehr selten mit 1. e2-e4. Kramnik konnte einen lange gehütete Neuerung anbringen, die einen spektakulären Sieg für ihn einleitete.

Aronjan ließ sich (nach 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 Sf6) nicht auf die zähen Varianten mit 4. 0-0 Sxe4 ein, sondern hatte 4. d3 Lc5 5. Lxc6 dxc6 6. 0-0 De7 7. h3 vorbereitet. Damit lief er geradewegs in eine originelle, von Kramnik lang gehütete Eröffnungsmine. „Ich habe enormes Glück, dass ich hier in einer so wichtigen Partie dazu kam. Ich rechnete damit vielleicht gegen Carlsen oder Anand. Aronjan war der letzte, gegen den ich das erwartete.“
Mit dem originellen 7. … Tg8! und der Idee g7-g5-g4 brandmarkte er den letzten weißen Zug (7. h3) als Schwächung, die sich zur raschen Öffnung des Königsflügels ausnutzen ließ. Kaum zu glauben, doch Kramniks Analysen zufolge steht Weiß selbst bei bestem Spiel bereits etwas schlechter. Nun droht 8. … g5 und falls 9. Lxg5 Lxh3 10. gxh3 h6. Darum evakuierte Aronjan mit 8. Kh1 seinen König von der g-Linie, doch einen Kramnik hält man so leicht nicht auf. Es folgte ein Kraftzug auf den anderen: 8. … Sh5! 9. c3 g5! 10. Sxe5 g4!
Aronjan hoffte, den schwarzen Angriff mit 11. d4 Ld6 12. g3 Lxe5 13. dxe5 Dxe5 14. Dd4 abschwächen zu können, doch Kramnik behielt die Damen mit 14. … De7 auf dem Brett. Nach 15. h4 c5
verpasste Aronjan die zäheste Verteidigung 16. Dd3 Ld7 17. c4 0-0-0 18. Sc3. Er zog stattdessen 16. Dc4? Le6 17. Db5+ c6 18. Da4, und nach dem kräftigen 18. … f5! stand Schwarz praktisch schon auf Gewinn.
Die Pointe lautet 19. exf5? Sxg3+! 20. fxg3 Ld5+ 21. Kg1 De2 22. Tf2 De1+ 23. Tf1 Dxg3 matt. Aronjan versuchte 19. Lg5, doch nach 19. … Txg5! 20. hxg5 f4 21. Dd1 Td8 22. Dc1 fxg3 23. Sa3 Td3 24. Td1 lag das k.o. in der Luft. Kramnik überlegte noch einmal länger und krönte die Partie mit einem Läuferopfer, das einen Mattangriff einleitet:
24. … Ld5! und nach 25. f3 gxf3 26. exd5 (noch besser hätte Kramnik 26. Txd3 Dxe4 27. Te3 f2+ 28. Txe4 Lxe4 matt gefallen) 26. … De2! 27. Te1 g2+
gab sich Aronjan angesichts von 28. Kh2 g1D+ 29. Kxg1 f2+ 30. Kh1 Sg3+ nebst 31. … fxe1D+ geschlagen. Hier kann man die Partie online nachspielen.

Kandidatenturnier nach 3 von 14 Runden: 1. Kramnik 2,5, 2.-3. Caruana, Mamedscharow je 2; 4.-5. Ding, Grischtschuk je 1,5; 6.-7. Aronjan, Karjakin je 1; 8. So 0,5
Vierte Runde Mittwoch 14. März ab 15 Uhr. Liveübertragungen u.a. bei Chess24 oder bei Chessbase.
Solche Tretminen sind im Computerzeitalter selten geworden.
Aronian wird sich vorwerfen, nicht bei seinen angestammten Eröffnungen geblieben zu sein. Aber das Turnier ist noch lang, noch ist alles drin. Immerhin zeigte er, das man auch nach einem Verlust der Pressekonferenz direkt nach der Partie aktiv beiwohnen kann.