Berührt, geführt

Berührt, geführt

Das Schachblog von FAZ.NET

Remisbreite

| 0 Lesermeinungen

Fabiano Caruana hat in der zehnten Runde ein für ihn ganz wichtiges Remis gehalten. Damit behauptet der Amerikaner im Kandidatenturnier einen halben Punkt Vorsprung. Eine Niederlage gegen den Zweitplatzierte Schachrijar Mamedscharow, „wäre ein Desaster gewesen“, gestand Caruana ein. Mamedscharow wäre zwar nur einen halben Punkt vor ihm gelegen, weil der direkte Vergleich aber das erste Kriterium nach der Punktzahl ist, hätte er in den ausstehenden vier Runden einen vollen Punkt mehr als Mamedscharow benötigt. Alle Partien der zehnten Runde wären remis geendet, hätte Lewon Aronjan in Zeitnot nicht ein Matt übersehen. Abgesehen vom letzten Zug in Aronjans Partie blieben alle Begegnungen auf unterschiedliche Weise innerhalb der berühmt-berüchtigten Remisbreite.

Die Remisquote ist so etwas wie das Fieberthermometer eines Spitzenschachevents, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Liegt die Remisquote niedrig, geht es heiß her. Liegt sie hoch, sagen wir bei achtzig Prozent, krankt das Feld. Es wird nicht genug gekämpft, zu wenig riskiert, zu langweilig eröffnet. Von bisher vierzig Partien dieses Kandidatenturniers endeten 25 ohne Sieger. Vor zwei Jahren in Moskau waren es am Ende bei 56 Partien 40 Remis. Die Remisquote in Berlin liegt eher niedriger als in einem so ausgeglichen besetzten Feld zu erwarten ist, in dem die acht Teilnehmer höchstens um 45 Elopunkte auseinander liegen.

Eine Remispartie kann ereignislos dahinplätschern wie in der zehnten Runde jene zwischen Alexander Grischtschuk und Sergei Karjakin. Von solchen Partien kommt das Imageproblem des Remis. Es kann eine überschaubare Komplikationsphase gegen wie zwischen Ding Liren und Wesley So, der am Anfang einen Bauern opferte, wofür seine Figuren schneller ins Spiel kamen und der König seines chinesischen Gegners in der Mitte stecken blieb. Ding gab den Bauern bald zurück, um in ein völlig ausgeglichenes Endspiel abzutauschen. Ein korrektes Remis, aber auch hier hielt sich der Unterhaltungswert in Grenzen.

Nun hat Ding schon zehn Remis aus ebensovielen Spielen. Bei ihm gab bisher auch nicht annähernd eine solche Serie. Wofür ihn der erstaunlich gut gelaunte So neckte, „du magst Anish Giri. Noch vier Runden durchhalten!“ Dass Giri vor zwei Jahren in Moskau sämtliche 14 Runden remis spielte, wird dem Niederländer nach lange nachgehalten. Und das droht nun auch Ding.

Wesley So (rechts) neckt „Anish“ Ding nach dessen zehntem Remis (Foto: WorldChess)

Ein Kampfremis lieferten sich die beiden Führenden. Obwohl Caruana mit Schwarz vor allem nicht verlieren wollte, legte er die Partie scharf an. In einer Katalanischen Eröffnung gab er Mamedscharow die Gelegenheit, seinen Fianchettoläufer für einen Springer auf c6 und einen Bauern auf e5 einzutauschen.

Hier hätte Caruana mit 13. … h4!? ein interessantes Figurenopfer bringen können. Nach 14. fxg4 hxg3 15. hxg3 Dd3 verbietet sich 16. b3 Ld5 17. e4? Dxg3 matt, und Weiß müsste die Figur sofort zurückgeben. Besser ist 15. Df3 Txh2, und der Computer sieht nach 16. Dxg3 Th4 17. Tf4 Dd3 und sogar nach 16. Dxc6+ Dd7 17. Dxd7+ Kxd7 18. Sf3 Tbh8 die Stellung trotz weißer Mehrfigur exakt im Gleichgewicht. So etwas Wildes passte freilich nicht zu Caruanas Turniersituation. Angefangen mit 13. … Dd3 wickelte er in folgende Stellung ab:

Schwarz hat erst einmal zwei Bauern weniger aber offenbar gute Chancen, e5 und h5 zurückzukriegen. Allerdings hat er am Damenflügel selber Sorgen. Weiß muss hier zumindest etwas Vorteil haben. Mamedscharow sah seine Chancen im Endspiel und suchte hier mit 17. Df3 Tb5 18. Df5 den Damentausch. Einige Züge später glaubte sich Caruana irrtümlich im Vorteil:

Weiß hat zwar einen Bauern mehr, aber Schwierigkeiten, seinen Turm a1 zu befreien, da 26. Lb2? an 26. … Td2+ scheitert. Und es droht Th7-f7-f1. Mamedscharow verschaffte seinem König hier Platz mit 26. h4 (mit der Idee 27. Kh3 und 28.Lb2), denn 26. … g5? 27. hxg5 Thh1 28. g6 braucht er nicht zu fürchten. Nach dem Eindringen des zweiten Turms opferte der Aserbaidschaner mit Lg5 und Txe7 die Qualität und behielt leichte Vorteile. Caruana verteidigte sich aber genau und geriet nie in ernste Verlustgefahr. Als er gegen Ende zu Mamedscharow rüberschaute, ob der Remis machen wollte, machte der Aserbaidschaner lieber noch ein paar Züge, bis nur noch die nackten Könige auf dem Brett standen. Hier können Sie die Partie nachspielen.

Bis zuletzt auf Remiskurs waren auch Wladimir Kramnik und Lewon Aronjan. Anfangs sah es zwischen den beiden ältesten Teilnehmern überhaupt nicht nach Spektakel aus, und hätte Aronjan den starken nach f7 schauenden Läufer mit Le6 abgetauscht wäre ein Friedensschluss abzusehen gewesen. Doch er sah Chancen für sich am Damenflügel und setzte darauf, Kramnik zu einem vielleicht nicht korrekten Opferangriff zu provozieren, wie er ihn am Vortag gegen Karjakin losbrach und verlor.

Nach dem letzten Zug 21. Tef1 haben beide die Brücken hinter sich abgebrochen. Der Nahkampf kann beginnen. Offensichtlich liegt ein Qualitätsopfer auf f6 in der Luft. Aronjan glaubte, es aushalten zu können, Kramnik vertraute auf den weißen Angriff. Die nächsten Züge waren 21. … cxb4 22. De1! Sechs Züge später bewertete der Computer die Stellung als praktisch ausgeglichen. Dabei stand das Brett in Flammen.

Der schwarze Bauer hat sich bedrohlich der weißen Grundlinie genähert. Doch wenn Kramnik ihn nimmt, ist sein Angriff vorbei: 29. Dxd2 Ta1+ 30. Kf2 (30. Kh2? Dc7) 30. … Da5 führt zu Damentausch und einem Endspiel, das nur Schwarz gewinnen kann. Also Augen zu und durch: 29. Dg3+ Kf8 30. Tf1 Ta7! 31. Sg6+ Kg7 32. Sf4+ Kh8 33. Sh5 f6! 34. Sxf6 Tf8 35. Df4 (auf 35. De5 hält 35. … Dc7! 36. Dxe6 De7! 37. Dd5 Ta6! den Laden zusammen) 35. … Th7 36. De5

Aronjan zog hier 36. … Dc7, was mit dem Turm auf h7, wo er seinem König ein Feld verstellt, ein schwerer Patzer ist. Sehen Sie, nach welchem Zug der Armenier sofort aufgab?

Die einzig richtige Verteidigung für Schwarz in der obigen Stellung war 36. … Tg7. Weiß erwidert 37. Lxe6, und nach 37. … Dc6 sieht der Computer mehrere Wege zu einem Dauerschach: Eher banal ist 38. Lg4 d1D 39. Txd1 Dxf6 40. Dxb5 Txg4 41. hxg4 Df2+ 42. Kh2 Dh4+ mit Remis. Mehr Knalleffekt hat 38. e4 Tg5 39. Sg4 (nach 39. Dd4 Dc5! 40. Dxc5 Txc5 41. Lg4 Txc2 42. Ld1 Tc1 43. e5 b4 hat eher Schwarz Gewinnchancen) 39. … Txe5 40. Txf8+ Kh7 41. Tf7+ Kh8 42. Tf7+ (42. Sf6? d1D 43. Kh2 Dxe4 und Schwarz wird nicht matt) 42. … Kh7 mit Remis.

Heute habe er wirklich solide spielen wollen, meinte Kramnik anschließend, aber nicht einmal wenn er so langweilig eröffne, gehe es ohne Komplikationen ab. Nach zuletzt vier Niederlagen binnen sechs Runden, hat er wieder Oberwasser. Als nächstes trifft er auf Caruana und könnte mit einem Sieg noch einmal alles aufmischen. Aronjan aber, der mit seinem mutigen Spiel abermals Schiffbruch erlitt, steht jetzt alleine am Tabellenende.

Kandidatenturnier nach 10 von 14 Runden:

1. Caruana 6,5, 2. Mamedscharow 6; 3. Grischtschuk 5,5 4.-5. Ding, Karjakin je 5; 6. Kramnik 4,5, 7. So 4, 8. Aronjan 3,5

Zehnte Runde Freitag 22. März ab 15 Uhr. Liveübertragungen u.a. bei Chess24, bei  Chessbase oder bei WorldChess.


Hinterlasse eine Lesermeinung